Eisenbahngewerkschaft fordert Verkehrswende
Der Klimawandel stand im Mittelpunkt der diesjährigen Mitgliederversammlung der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) am 13.9. in Radolfzell. Die Beschäftigten-Organisation will von der Bundesregierung schnell Taten sehen und verlangt vom „Klimakabinett“ noch im September Weichenstellungen für eine „echte Verkehrswende“. Die Gewerkschaft hat sich mit der Fridays-for-Future-Bewegung solidarisiert und ihre Mitglieder aufgerufen, sich an den für 20.9. geplanten Klimaschutzaktionen zu beteiligen.
Thema der Versamlung waren außerdem die immer rüder werdenden Ausschreibungspraktiken der öffentlichen Hand beim Busverkehr, die stets zu Lasten der Lohnabhängigen gehen, allen voran die BusfahrerInnen. Letztes Beispiel dafür: Die Schließung der Niederlassung der Bahntochter SBG in Radolfzell, als Folge der Neuvergabe des regionalen Busverkehrs durch den Landkreis Konstanz.
Wir veröffentlichen die Medienmitteilung der EVG zur Mitgliederversammlung im Wortlaut.
„Jeder weiß, dass wir unser Umweltverhalten dringend ändern müssen, doch nur die wenigsten sind dazu wirklich bereit“, sagte der Leiter der Karlsruher EVG-Geschäftsstelle Walter Greiner. „Deshalb muss die Regierung Impulse und Anreize setzen. Die dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden; spätestens im September, auf der nächsten Sitzung des Klimakabinetts müssen die richtigen Entscheidungen fallen“, machte Greiner deutlich.
Mehr Klimaschutz sei nur mit einer echten Verkehrswende zu erreichen. Deshalb forderte der EVG-Vertreter: Wir müssen endlich damit anfangen, mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern.“
Derzeit gebe es eine Reihe von Vorschlägen, mit denen endlich Benachteiligungen des Verkehrsträgers Schiene abgebaut werden können, die von der EVG immer wieder angeprangert würden. Beispielsweise die Einführung einer Kerosinsteuer. Greiner begrüßte in diesem Zusammenhang den „Mut der Franzosen“, die den Flugverkehr besteuern werden, um die daraus generierten Einnahmen auch in den Ausbau der Schiene zu stecken. „Das halten wir als EVG auch in Deutschland für erforderlich, das ist längst überfällig.“
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Es sei aber wichtig, nicht nur hier und da an einzelnen Stellschrauben zu drehen – „es muss ein Gesamtkonzept her“, forderte Greiner. „Die Infrastruktur ist viel zu knapp bemessen, um eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen aufzunehmen, wie es der aktuelle Koalitionsvertrag vorsieht,“ kritisierte der EVG-Vertreter. Auf vielen Strecken und in vielen wichtigen Bahnhöfen sei bereits heute die Kapazitätsgrenze erreicht. Auch sei die Schieneninfrastruktur heute überaltert und altere jeden Tag weiter. Der Investitionsrückstau laufe nach Berechnungen der EVG inzwischen auf 60 Milliarden Euro zu.
„Die Schiene kann einen wesentlichen Beitrag für den Klimaschutz leisten, wenn sie entsprechend gefördert wird“, führte der Gewerkschafter aus. „Nach unseren Berechnungen kann sie 20 Prozent der CO2-Einsparungen leisten, die der Verkehrssektor nach den nationalen Klimaschutzzielen erbringen muss. Wer das will, muss dafür Geld in die Hand nehmen, deutlich mehr als heute.“ Die Gewerkschaft gehe von bis zu 70 Milliarden Euro zusätzlich bis 2030 aus, „um den Turnaround zu schaffen – also die Verjüngung der Infrastruktur, eine Modernisierung der Fahrzeugflotte und ausreichend gut qualifiziertes Personal. Das ist viel Geld. Aber es ist wenig im Vergleich zu den Lasten, die künftige Generationen zu tragen haben, wenn wir jetzt nicht die richtigen Schritte einleiten.“
Der Karlsruher Geschäftsstellenleiter griff in seinem Vortrag aber noch ein weiteres Thema auf, das den EVG-Mitgliedern gerade im Südwesten auf den Nägeln brennt. „Der Ausschreibungswettbewerb im Busverkehr wird immer irrer“, kritisierte Walter Greiner. „Immer kürzere Vertragslaufzeiten, immer kleinere Linienbündel – die Zeche bezahlen stets und ständig die Beschäftigten, allen voran die Busfahrerinnen und Busfahrer.“ Anders als beim Regionalverkehr auf der Schiene gebe es für den Busbereich keinerlei soziale Absicherung. „Da klafft im Personenbeförderungsgesetz eine riesige Regelungslücke – zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“ Zwar hätten die Vergabebehörden auf Basis der EU-Verordnung 1370 durchaus die Möglichkeit, in ihren Ausschreibungsbedingungen die Einhaltung von tariflichen und sozialen Mindeststandards vorzuschreiben. „Sie nutzen sie aber nicht, weil sie den Aufwand scheuen, das nachzuprüfen und zu kontrollieren. Ergebnis: Bei jedem Betreiberwechsel müssen Busfahrerinnen und Busfahrer schlechtere Bezahlung und Sozialbedingungen in Kauf nehmen – bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes. Dass unter diesen Bedingungen sich niemand mehr findet, um diesen verantwortungsvollen Beruf zu machen, ist wirklich kein Wunder.“
Leider spiele die DB RegioBus, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn, dieses Spiel mit. Greiner kritisierte die andauernden Versuche, eigene Leistungen an Subunternehmen zu vergeben, so wie derzeit bei der SüdbadenBus in Radolfzell, oder Tochtergesellschaften auszugründen, die nicht tarifgebunden sind. „Dann fahren Kolleginnen und Kollegen in denselben Bussen und derselben Dienst-bekleidung durch die Gegend, bekommen dafür aber weniger Geld. Und die traditionsreichen Muttergesellschaften bluten allmählich aus und verschwinden irgendwann vom Markt. Die Deutsche Bahn nennt das ihre Bus-Strategie. Wir nennen es Tarifflucht.“
Die EVG fordere, die Übernahme der Beschäftigten zu bestehenden Konditionen per Gesetz verbindlich vorzuschreiben – und zwar auf der Schiene wie auch im Busbereich. „Der Wettbewerb darf nicht auf den Knochen der Beschäftigten ausgetragen werden.“ Eine Regelung, wie sie die EVG fordert, sei „sicher lästig für viel Unternehmen. Aber notwendig, um die Beschäftigten zu schützen und den Wettbewerb sozial auszugestalten.“
MM/jüg (Bilder: EVG)
Den letzten Satz bitte nochmal lesen Herr Stohr. Da ist von fehlenden Bahn- und Busfahrern, also von Personal, die Rede und nicht von Fahrgästen. Im übrigen wäre es wünschenswert, dass die Zunahme der Fahrgastzahlen zum Einsatz längerer Züge oder kürzerer Fahrtakte führt. Danke für die Fahrgastzahlen
Herr Groß,
Ihr letzter Satz verwundert mich dann doch sehr oder sie haben sich nicht richtig informiert. Allein im Verkehrsverbund bodo steigerten sich die Fahrgastzahlen von 34.800.000 in 2017 auf 39.562.000 in 2018. Das ist ein Plus an Fahrgästen um 13,7 %.
Neulich nach dem Tagesausflug eines Reisebusunternehmens reinigte der Busfahrer gegen 1:00 Uhr früh den Bus, dann dürfte er so gegen 1:30 / 2:00 zu Hause in Singen gewesen sein und musste am frühen Morgen zum Schulbusverkehr antreten. Personalmangel heißt dann immer das Zauberwort, das gelegentlich Busfahrer in den Tod reißt und Fahrgäste in eine Katastrophe führt. Auch wenn Schulkinder in Bussen zusammengepfercht werden, dass man meint, Schweine hätten bessere Beförderungsbedingungen, wenn man die Auflagen des Tierschutzes berücksichtigen würde. Eltern scheint es nehmen es klaglos hin – da ist es egal ob Bahn oder Bus. Warum soll jemand, der es kann, die Kinder nicht mit dem Auto in die Schule fahren. Man sollte für Beamte und Politiker einen Pflichtmonat einführen. Am besten nach Ferienende, in dem sie ausschließlich mit dem ÖPNV zu ihren Büros fahren dürfen. Ich fürcht erst dann könnte man auf Änderungen hoffen. Gerade die Unterschreitung sozialer Standarts führt übrigens dazu, dass es immer weniger Bahn- und Busfahrer gibt.