Eklat bei Stolperstein-Verlegung
Stephan Schulz war nicht einverstanden – direkt vor seiner Haustür in der Konstanzer Konradigasse 22 wurde ein Stolperstein für das Nazi-Opfer Artur Kressner verlegt. Kurz vor der Verlegung hatte der Psychotherapeut, der in dem Haus auch seine Praxis unterhält, darum gebeten, den Stein immer noch vor dem Haus, aber wenige Zentimeter weiter rechts ins Pflaster einzulassen. Doch die Verantwortlichen der Stolperstein-Initiative Konstanz ließen sich nicht erweichen.
„Wann immer ich aus meiner Haustür trete, muss ich auf diese Platte treten. Aber so möchte ich nicht mit Toten umgehen“, sagte Schulz noch gestern bei der Stolperstein-Verlegung (s. Foto). „Auch in Kirchen weiche ich den Grabplatten aus“. Offensichtlich schwelte dieser Meinungsstreit bereits länger, denn E-Mails waren schon Dutzende gewechselt worden, auch persönliche Gespräche brachten keine Annäherung. Jetzt liegt der Kressner-Gedenkstein – wie 209 andere in Konstanz auch – direkt vor der Eingangstür in der Konradigasse 22 in der Niederburg.
Das sei eine Vorgabe des Künstlers, weiß der Mitverantwortliche aus der Konstanzer Stolperstein-Initiative, Maik Schluroff. Der Kölner Künstler Gunter Demnig, der Anfang der 90iger Jahre das Stolperstein-Projekt ins Leben gerufen hatte und noch heute jeden Stein eigenhändig verlegt, hat verfügt, dass jeder Gedenkstein unmittelbar vor der Eingangstür des Hauses verlegt wird, in dem das Nazi-Opfer zuletzt wohnte. Demnig: „Nein, nein, man stolpert nicht und fällt hin, man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen.“
Selbst Maik Schluroff kann die Einwände des erzürnten Hausbesitzers nicht nachvollziehen: „Mir geht es nicht um sentimentales Gedenken, sondern um politisches Erinnern. Und mir persönlich ist jeder pietätvolle Umgang mit solchen Gedenksteinen fremd – man könnte auch sagen, mit jeder Berührung wird ein solcher Stein geputzt.“
Stolperstein für Artur Kressner
Der gelernte Schneider wurde 1901 in Konstanz geboren. Über seine Mutter, die von 1930 bis 33 für die KPD im Konstanzer Bürgerausschuss saß, wurde er früh mit kommunistischen Gedankengut vertraut, ohne allerdings jemals politisch aktiv zu werden. Selbst die Gestapo konnte ihm, der zuletzt als Amtsbote in seiner Heimatstadt tätig war, nur das Abhören sowjetischer Radiosender vorwerfen. Dafür wurde er 1941 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe wurde er abermals verhaftet und ins KZ Dachau eingeliefert. Am 4.7. 1943 wurde Kressner im KZ Neuengamme bei Hamburg ermordet.
Auch gestern um 12.05 Uhr, als Demnig in der Konradigasse einen von elf neuen Stolpersteinen verlegte, kam man sich nicht näher: Stephan Schulz ist weiterhin sauer („ich hätte mehr Toleranz erhofft“), die Initiative fühlt sich im Recht und der Kressner-Stein liegt im Pflaster vor der Konradigasse 22 an seinem angestammten Platz.
hpk
@Angelika Bernecker
Niemand „muss“ auf einen Stolperstein treten.
Bei den bisher 210 in Konstanz, Kreuzlingen und Tägerwilen verlegten Stolpersteinen hatte vorher keiner der Anwohner so etwas behauptet.
Stolpersteine werden direkt vor dem Hauseingang verlegt, um deutlich zu machen, dass HIER ein Opfer des Naziterrors wohnte. Ob es bei der geforderten Verschiebung um „gerade einmal 20 cm“ ging, wie von HPK behauptet, oder nicht doch um eine Verlegung abseits der Haustür, lässt sich bestreiten.
Aber wenn Sie fragen „Warum so ein Aufstand wegen 20 cm?“, bin ich versucht gegenzufragen: „Warum so ein Aufstand wegen 9,5 cm?“ So groß ist ein Stolperstein, und um diese 9,5 Zentimeter muss jemand seitwärts ausweichen oder seinen Schritt anpassen, der nicht auf einen Stolperstein treten will.
Niemand muss auf einen Stolperstein treten.
Kommentar aus dem Film „Verleumdung“ bei der Besichtigung von Auschwitz(in Zusammenhang mit dem Gerichtstermin gegen Irving)): „Achten Sie darauf, worauf Sie treten, dies ist eine Gedenkstätte“. Ich kann Herrn Schulz verstehen. Auch ich trete nicht auf Stolpersteine. Warum so ein Aufstand wegen 20 cm? Werden die Platten deshalb weniger gewürdigt?
Maik, jetzt wird’s mies: Deine Bemerkung, die Du Dir am Ende „nicht verkneifen“ kannst, ist genau das Gegenteil von „Abbauschen“: Ich habe schließlich nicht rumgeschrien, sondern so geredet, dass man mich verstehen kann und jedeR, der mir etwas entgegnet hat, hat das ähnlich laut getan und meine Türe wurde nicht „geknallt“, sie fällt durch einen Türschließer alleine ins Schloss, wie andere Haustüren auch – Du weißt das, bist oft genug bei mir ein- und ausgegangen. Was stimmt, ist lediglich, dass ich Eure Verlegezeremonie gestört habe, aber was erwartet Ihr? – Ihr verlegt Stolpersteine, über die man „nicht mit dem Fuß, sondern mit dem Herzen stolpert“, müsst es aber heftig abwehren, wenn dann ein Herz, wie das meine, hörbar stolpert.
Wenn Du abbauschen möchtest, beantworte doch vielleicht die Mail, die ich Dir am Tag nach der Steinverlegung sehr betroffen, persönlich geschrieben habe, statt mich persönlich in der Öffentlichkeit anzufeinden. Wenn Du abbauschen möchtest, stelle doch richtig: „Ja, Stephan, Du hast recht, auf keine Deiner Bitten hinsichtlich des Verlegungsortes haben wir uns um Verständigung bemüht und haben Dich ohne Antwort auflaufen lassen“ und „ja, Du hast recht, ich habe mir nicht die Zeit genommen, auf Deine Einladung, die Sache bei einer Tasse Tee zu besprechen, einzugehen“ und „ja, obwohl ich wusste, wie wichtig es Dir war, habe ich mir nicht die Mühe gemacht, die drei Schritte zu Deinem Haus zu gehen und zu schauen, wo das Gaisblatt sich eigentlich befindet“ und „nein, es stimmt ja gar nicht was ich hier schreibe: Die Verlegestelle wurde erst einen Tag vor der Verlegung präpariert, da wäre also noch genug Zeit für einen Verständigungsversuch geblieben“… eine solche Entschuldigung könnte viel zum „Abbauschen“ beitragen und wenn man dann noch die Angst vor einem „Präzedenzfall“ über Bord wirft und einander zuhört, „lässt sich auch über die richtige Form fruchtbar streiten.“ – vorzugsweise, bevor man Fakten schafft und Menschen persönlich verletzt.
Ich verstehe, dass auch Ihr sauer seid: Ihr engagiert Euch und bekommt nun Kritik: Der Artikel und die Kommentare hier, soweit sie nicht von Eurer Initiative selbst stammen, sind kritisch. Das könnte aber auch Anlass dazu geben, zu sagen, „natürlich machen wir nicht alles falsch, aber hier haben wir offenbar Bockmist gebaut, lasst uns drüber reden und Fehler korrigieren“
Was schlussendlich mich betrifft: Ich bin tief verletzt – in solcher Situation neigt man selber dazu, andere zu verletzen, dass weiß ich. Vermutlich bin ich auch Euch gegenüber verletzend, und möchte das gar nicht. Meine eigenen Fehler bin ich gerne bereit, zu erkennen und mich dafür zu entschuldigen. Für solches Erkennen helfen mir falsche Aussagen zum Bemühen um Verständigung und zu knallenden Türen aber nicht weiter, zumal, wenn sie hier öffentlich ausgetragen werden. Maik, wir wohnen vielleicht 30 Meter voneinander entfernt, können uns gegenseitig in die Fenster schauen. Vielleicht können wir uns wirklich um eine Ebene bemühen, die gegenseitiges(!) Verständnis ermöglicht.
EINE BITTE UM „ABBAUSCHEN“
„Ignoranz“, „Intoleranz“, „autoritäres Durchsetzen“, mangelndes
Fingerspitzengefühl, Rechthaberei, „Missachtung der Würde der Opfer“, „Kunst-Dikatur“, Sturheit „wegen ein paar Zentimetern“.
So nur einige der Vorwürfe an die Konstanzer Stolperstein-
Initiative im Zusammenhang mit der Verlegung des Stolpersteins für
Arthur Kressner, der im KZ Buchenwald umgebracht wurde.
Ich kann, anders als im seemoz-Artikel dargestellt, durchaus nachvollziehen, dass Stephan Schulz nicht auf den Stolperstein vor seiner Haustür treten will. Diesen Wunsch akzeptiere ich, damit
steht er nicht allein.Ich denke über das Betreten von Stolpersteinen anders, und mit dieser Ansicht stehe auch ich nicht allein. (Ob es zumutbar ist, seinen Schritt um die 9,5 cm eines Stolpersteins zu verlängern, um nicht drauf zu treten, muss jede/r für sich entscheiden.)
Wer sich etwas mit der Konstanzer Stolperstein-Initiative befasst hat, die in Tausenden (!) von Stunden die Lebensläufe von Opfern des Nazi-Terrors erforscht hat, oder wer einen der vielen berührenden Momente bei Stolpersteinverlegungen miterlebt hat, wenn Angehörige tief bewegt und manchmal zu Tränen gerührt wurden, könnte stutzig werden angesichts solch massiver Vorwürfe: So durchgängig ignorant und unsensibel kann die Initiative ja wohl nicht sein, zumindest wenn es um die Opfer und deren Angehörige geht und nicht um die Hausbesitzer.
Vielleicht lassen sich einige der entstandenen Irritationen ausräumen, wenn ich das Zustandekommen schildere:
Gunter Demnig, der „Erfinder“ der Stolpersteine, hat bis heute über 60.000 Stolpersteine (mit wenigen Ausnahmen: eigenhändig) verlegt.Nach seinem Konzept werden Stolpersteine vor dem Eingang des letzten selbstgewählten Wohn- oder Wirkorts des Opfers verlegt. Damit soll verdeutlicht werden, dass dies Nachbarn waren, die mitten unter uns lebten. Die Verbannung eines Stolpersteins in eine abgelegene Ecke, wie sie von zahlreichen Hausbesitzern gewünscht und zum Teil mit gerichtlichen Klagen versucht wurde durchzusetzen, widerspricht also diesem Konzept.
Stephan Schulz‘ Motive sind durchaus ehrenwert. Aber weil die Verlegung vor der Haustür ein nicht unwesentlicher Teil des Konzepts der Stolpersteine ist, wurde der Vorschlag, den Stolperstein „unter mein Gaisblatt“ zu verlegen, abgelehnt. Dass dieses „Gaisblatt“ direkt neben der Haustür wächst, war den Zuständigen nicht bewußt. (Man muss dazu wissen, dass die Verlegestellen in Absprache mit der Stadt Konstanz schon einige Tage vor der Verlegung präpariert werden).
Die Bitte nach der Verlegung an einen anderen Ort abzuschlagen, war also weder Willkür noch Sturheit. Der Bitte nachzukommen, hätte es grundsätzlicher Überlegungen bedurft (Stichwort „Präzedenzfall“), die so auf die Schnelle nicht leistbar waren: Wenige Tage vor der Verlegung war die Stolpersteininitiative zu sehr beschäftigt mit der Organisation der Verlegungen, des umfangreichen Begleitprogramms, und der Betreuung der fast 30 Angehörigen, die zum Teil von weither (Hamburg, Schweiz, Israel) anreisten.
Nein, es geht nicht um Recht haben oder behalten, sondern darum, der Opfer des Naziterrors in würdiger Form zu gedenken. Nicht um des bloßen Gedenkens willen, sondern um für jetzt und die Zukunft Rassismus und die Herabsetzung von Menschengruppen zu verhindern. Dann lässt sich auch über die richtige Form fruchtbar streiten.
Deshalb dieser Versuch des „Abbauschens“.
P.S.:
Eine persönliche Bemerkung kann ich mir dennoch nicht verkneifen: Bei der Verlegung war ich – wie wohl die anderen Anwesenden auch – erschüttert und betroffen, dass Stephan Schulz durch lautstarke Äußerungen die Verlegungszeremonie behinderte und dann türeknallend die Zeremonie verließ.
Zu der Behauptung von Katrin Brüggemann, man habe sich “ seit Wochen auf verschiedenen Ebenen vergeblich“ um Verständigung mit mir bemüht: Erstens gab es nur Mail-Kontakte – von anderen „Ebenen“ weiß ich nichts. (Von meiner Seite(!) gab es zwar den Vorschlag zu einem persönlichen Treff mit einem Mitglied der Stolperstein-Initiative – daraus wurde aber leider nichts). Neben den Mails zur Übernahme der Patenschaft für den Stolperstein durch mich (geglückt) und zur Frage einer Ansprache durch mich (gecancelt, weil für den knappen Zeitplan der Verlegung zu lang), gab es zur Frage der Stelle, an der der Stein verlegt werden sollte, lediglich 3 Mails von mir und 2 Antworten der Initiative: Auf meine erste Bitte kam eine klare Absage („das ist ein Kunstprojekt…“), auf meine zweite Mail die Antwort, ich solle meine Bitte in die „nächste Sitzung“ der Initiative „am 13. Juni“ einbringen (6 Wochen nach der Steinverlegung – Kafka lässt grüßen), auf die dritte Mail, in der ich versucht hatte, meine Haltung noch mal sehr persönlich zu vermitteln, kam gar keine Antwort. Dass es darüber zum „Eklat“ kam, tut mir leid. Ich finde die Stolpersteine grundsätzlich gut. Was aber „für die Anwohner der Schützenstraße 30 sehr bedeutend ist“, macht mir leider Bauschmerzen – Menschen sind nun mal unterschiedlich – und wenn die von Hand gefertigten Stolpersteine dem Massenmord der Nazis Individualität entgegensetzen sollen, sollte letztere wohl nicht nur für die Toten, sondern auch für die Lebenden gelten. Es ist für mich jetzt zusätzlich unerträglich (und für die Initiative vermutlich mindestens bedauerlich) dass der Stolperstein für Artur Kressner zum Gegenteil dessen mutiert ist, was er eigentlich ausdrücken sollte: Zum Sinnbild für autoritäres Durchsetzen und für Intoleranz. Meine Bitte: Lasst es uns doch noch mal gemeinsam versuchen, einen für beide Seiten tragbaren Platz für den Stolperstein für Artur Kressner zu finden: Das behauptete, aber nicht stattgefundene Bemühen um Verständigung könnte so nachgeholt werden und vielleicht berichtet „seemoz“ dann auch darüber.
Ich kann das Verhalten und die Ignoranz der Stolpersteinaktivisten nicht verstehen. Wenn die durchaus auch ehrenwerte Pietät des Herr Schulz eine klitzekleine Verlegung dieses Stolpersteins benötigt damit er sich nicht als Grabtrampler fühlen muss, so wäre dies leicht möglich gewesen. Auch ich trete nie auf diese Stolpersteine – wenn ich sie bemerke. Und was ein Künstler meint- so ehrenhaft seine Absichten – ist schnurzegal, wir leben in keiner (Kunst-) Diktatur in der irgendwelche Künstler „Vorgaben“ machen die alle hinzunehmen haben. Wobei die Frage offen bleibt ob sich Gunter Demning wirklich über die Gefühle der Anwohner hinwegsetzen möchte oder ob dies nur Übereifer der „Verantwortlichen“ ist.
Der Vorwurf, dass dieser Artikel der Arbeit der Stolperstein-Initiative in Konstanz schaden könnte oder wollte, ist perfide, durchsichtig und fällt auf die Urheber/in zurück. Wer sich wirklich kundig gemacht hat, weiß, dass es um gerade einmal 20 cm ging, um die der Stein verrückt werden sollte; wer wirklich lesen mag, wird nirgends in dem Text etwas von Ignoranten lesen und von mangelnder Sensibilität schon gar nicht. Die Frage steht höchstens im Raum, ob dieser Eklat nicht mit etwas Fingerspitzengefühl hätte vermieden werden können – man/frau muss sich die Sturheit anderer ja nicht unbedingt und in jeder Situation zu Eigen machen.
Es ist sehr bedauerlich, dass der Autor des Artikels offensichtlich nicht sorgfältig recherchiert hat und glücklich war mit „Eklat“ titeln zu können.
Andernfalls hätte er wissen müssen, dass es bei dem von ihm genannten „Eklat“ nicht um wenige Zentimeter für die Verlegung des Steins gegangen ist.
Ebenso hätte er wissen müssen, dass die Stolpersteininitiative kein Haufen von Ignoranten ist und dass wir uns seit Wochen auf verschiedenen Ebenen vergeblich bemühen uns mit Stephan Schulz zu verständigen.
Auch hätte er wissen können, dass es an diesem Tag viele wertvolle Begegnungen mit Angehörigen und Paten gegeben hat und es unter anderem für die Anwohner der Schützenstraße 30 sehr bedeutend ist, dass Stolpersteine direkt vor ihrer Türe verlegt wurden.
Und jeder, der mit der Initiative Stolpersteine bislang zu tun hatte weiß, dass wir uns der Sensibilität unserer Arbeit sehr bewusst sind und in diesem Wissen und mit großer Verantwortung handeln.
Schade, dass durch den Artikel – absichtlich oder unabsichtlich – versucht wird unserer Arbeit zu schaden.
Fragliches Unverständnis
Psychiater Stephan Schulz will den Stolperstein vor seiner Haustür nur ein klein wenig beiseite plaziert wissen, gewiss bei soviel Demut vor dem bedachten KZ-Opfer Artur Kressner.
Ganz anders der schweigend berufene weitsichtig und offenherzige Gunter Demnig, der kniend und behend mittig im öffentlichen Fußboden zu Füßen des Widersachers ein schlichtes Zeugnis festsetzt.
Ich denke, hier geht es nicht um „Recht“ (haben), sondern um die Frage, wie ich die Stolpersteine denn wirklich verstehe. Sind sie lediglich einen Gedankenanstoß, der zur Erinnerung aufrufen soll? Ihr Name würde für solche eine Argumentation sprechen, sie sind kein Grabstein, denen ich mit Zurückhaltung begegne, sondern sie sollen provozieren, mich an ihnen zu stoßen. Immerhin ist es die Konfrontation, die gewollt ist, mit der Vergangenheit und mit den Lebensgeschichten. Da soll man hängen bleiben, auch einmal darauf treten, denn das, was sie uns vor Augen halten sollen, war auch mehr als dreckig, es war nicht funkelnd, nicht poliert, sondern grausam, unvorstellbar, menschenverachtend.
Und doch gibt es gleichzeitig eine andere Interpretation: Steine, auf denen real existierende Namen eingraviert sind, halten uns automatisch zu Respekt an, vor einer Person. Denn sie stehen nicht nur symbolisch, sondern mit ihrer Individualität für mehr als ein generelles Andenken. Sie rufen uns völlig unmissverständlich ins Gedächtnis, dass sich „hinter“ solch einem Stein ein Leiden verbirgt, ein brutales Ende eines hilflosen Opfers, aus dessen Tod für uns eine Verantwortung erwachsen ist. Dass wir genau sie „in Ehren“ halten wollen – und nicht direkt vor unserer Praxistüre ständig und mit der Zeit vielleicht sogar ganz beliebig auf sie treten möchten, diese Überlegung ist ebenfalls nachvollziehbar. Denn das Bild, auf jemandem, der bereits solche Qualen erlebt hat, nun nochmals „herum zu trampeln“, diese Kost ist schwer für all jene, die die Stolpersteine nicht sinnbildlich verstehen wollen – oder auch können.
Deshalb vermag ich Stephan Schulz zu verstehen – und möglicherweise hätte ich ähnlich reagiert. Denn wenngleich das Anstoßen an den Steinen zu einer alltäglichen Gedankenstütze für uns werden soll, die einerseits selbstverständlich, aber eben immer wieder doch mit Ehrfurcht verbunden ist, bleibt es menschlich, Stolpersteine als weit mehr anzusehen, als ein Gedenken, als einen Ort zum Innehalten, als eine Mahnung, die auch in meinem Kopf nur bedingt damit einhergeht, sie beschmutzen und wieder reinigen zu wollen. Selbst wenn wir dadurch auch zeigen, dass wir nicht nur passiv, sondern aktiv einen Beitrag für das Wachhalten unseres gesellschaftlichen Gewissens leisten und verdeutlichen, dass wir mit den Aktionen zum Putzen der Stolpersteine die täglichen Spuren des städtischen Betriebes nicht gleichgültig zurücklassen und die Male des Erinnerns darin untergehen lassen möchten, kann nicht verlangt werden, dass sich solch eine Sinnhaftigkeit jedermann zu eigen machen will.
Zweifelsohne: Auch ich hätte mir mehr Sensibilität im Dialog der Verantwortlichen gewünscht – und vielleicht ist das Vorkommnis eine neue Anregung zum Diskurs über Stolpersteine, das Gedenken und wie wir uns für Wichtiges einfach einmal kurz aus dem „Trott bringen“ können…