Endstation Konstanz

Den meisten Menschen wird es kaum aufgefallen sein: Im Bahnhof Konstanz gab es früher am Bahnsteigende zum heutigen Lago hin vor dem schweizerischen Gebäude einen ebenerdigen Übergang zwischen den Bahnsteigen. Der ist mit der Bahnhofsmodernisierung weggefallen, was mobilitätseingeschränkten Menschen große Probleme bereitet, wenn die Fahrstühle wieder einmal ausfallen.

Wie kommt ein mobilitätseingeschränkter Mensch, der die Treppen nicht benutzen kann, im Bahnhof Konstanz vom Bahnsteig zwischen den Gleisen 2 und 3 herunter, wenn die Fahrstühle wieder einmal nicht funktionieren? Seitdem die Bahnsteige dankenswerterweise endlich erhöht wurden, um einen ebenerdigen Ausstieg zu gewährleisten, ist die Antwort erschreckend: Gar nicht. Für sie wird der Konstanzer Bahnhof zur Endstation, und sie müssen warten, bis ein Zug zurückfährt, denn in die Stadt kommen sie ums Verrecken nicht.

Die Lage

Eine engagierte Leserin schrieb uns:

„Der ebenerdige Gleisübergang – ursprünglich mit einer kleinen, vom Stellwerk oben kontrollierten Schranke gegenüber dem Gebäude des Schweizer Bahnhofs versehen – wurde ersatzlos demontiert. Nirgends im gesamten Gleisgelände lassen sich wegen der hohen Bahnsteigkanten bei einem Ausfall der Fahrstühle die Gleise zu Fuß überqueren. Fitte Menschen können natürlich mühelos die Treppen und die Unterführung benutzen, aber für alle anderen wird der Bahnhof zur Falle.

Ich glaube, bei der Planung der neuen Bahnsteige und der Aufzüge wurde mit vorsätzlicher Ignoranz gehandelt. Daher muss sofort neu gebaut werden, um diesen Zustand zu korrigieren. Es wäre klasse, wenn sich der ganze Vorgang schonungslos aufklären ließe!

Ich selbst bin mit einem kleinen E-Caddy unterwegs und konnte zwar am Donnerstag, den 24. 11., so gegen 12.30 Uhr mit dem einen intakten Aufzug auf Gleis 2/3 in die Unterführung runterfahren, aber der Fahrstuhl zu Gleis 1 hoch (also zur Stadt, wo ich hinwollte) war, – wie ich erfuhr: bereits seit Tagen! – defekt. Also musste ich wieder zurück aufs Gleis 2/3. Leider gibt es keinen beschrankten oberirdischen Übergang mehr wie früher. Ich musste also wieder in den Seehas einsteigen, nach Petershausen fahren, dort aussteigen und von dort aus in die Stadt fahren, sodass ich einige Termine nur noch mit Müh und Not schaffte. Ich hatte extra schon von Radolfzell aus einen Zug genommen, der in Konstanz auf Gleis 1 ankommen sollte, weil ich von Gleis 1 aus ja ebenerdig in die Stadt gelangen kann. Aber Gleis 1 war durch einen anderen Zug blockiert. Mein Rückweg verlief genauso umständlich – also durch die halbe Stadt nach Petershausen zum Seehas nach Radolfzell.

Mit einem ebenerdigen Übergang wie früher als praktischer Ausweichmöglichkeit wäre mir dieser unfreiwillige Ausflug nach Petershausen erspart geblieben. Was bei einem Notfall passiert, wenn die Menschen in der Falle Bahnunterführung in Panik feststecken, möchte ich mir gar nicht vorstellen.

Das ist ein Planungsdesaster, und ich hatte mit meinem E-Caddy noch Glück, denn andere mobilitätseingeschränkte Personen hätten diesen eigentlich unnötigen Umweg über Petershausen durch die halbe Stadt kaum bewältigt! Seitens der DB verlässt man sich derzeit nur noch auf die Lifte, und deren Störanfälligkeit ist doch notorisch!“

Keine Lösung, nirgends

Was also tun? Soll die Bahn einige kräftige Herrschaften anheuern, die mobilitätseingeschränkte Menschen bei einem Fahrstuhlversagen durch die Unterführung schleppen – oder ist das eine Aufgabe für den Kommunalen Ordnungsdienst? (Das Stadtgerücht munkelt übrigens, dass die Polizei einen auf diesem Bahnsteig gestrandeten mobilitätseingeschränkten Menschen nachts aus dem Bahnhof getragen habe.) Soll sie ein Übernachtungshäuschen auf dem Bahnsteig 2/3 bauen und dort einige Notrationen hinterlegen, damit Menschen, die mit dem letzten Zug ankommen und bis zum nächsten Morgen in der Falle sitzen, nicht nachts auf dem Bahnsteig verdursten oder erfrieren? (Gänzlich beiseite lassen wir zwei Fragen, die mit dem geschilderten Sachverhalt in nur lockerem Zusammenhang stehen: 1. Wer versorgt die Familien der Bahnmitarbeitenden, die wegen vorsätzlicher Ignoranz bei der Planung langjährige Haftstrafe erhalten? 2. Was passiert mit den vielen anderen Bahnhöfen im Landkreis, an denen es überhaupt keine Fahrstühle gibt, sodass mobilitätseingeschränkte Menschen von dort aus möglicherweise gar nicht erst nach Konstanz fahren können? Damit geht doch dem darbenden Konstanzer Einzelhandel viel Geld verloren, wer ersetzt den Schaden?)

Also hin zum Kern des Problems: Wie sollen mobilitätseingeschränkte Menschen bei einem Ausfall der Lifte vom Bahnsteig der Gleise 2 und 3 herunterkommen? Wir haben Stefan Grumbt gefragt, er ist der Beauftragte für Menschen mit Behinderung der Stadt Konstanz und in Bahnangelegenheiten ziemlich machtlos. Seine Antwort macht wenig Hoffnung: Es ist keine Lösung in Sicht.

Die Sache stellt sich etwa so dar:

Es gab tatsächlich früher den erwähnten ebenerdigen Übergang über die Gleise. Allerdings war dieser Übergang niemals für Reisende gedacht, sondern ausschließlich für den Zoll bestimmt. (Ist ja auch logisch: Den armen Zöllner*innen war wirklich nicht zuzumuten, frisch beschlagnahmte Hundert-Kilo-Säcke voll leckersten Marihuanas durch die enge Unterführung zu schleppen.)

Außerdem wurden in Konstanz ja die Bahnsteige erhöht, um das Ein- und Aussteigen zu erleichtern. Nach dieser Erhöhung wäre schlichtweg kein Platz für eine sanft geneigte Rampe zur ebenerdigen Wegführung vom Bahnsteig auf die Gleise mehr vorhanden. Nicht zu vergessen ist auch, dass in Konstanz jetzt längere Züge als früher halten (z.B. die nach St. Gallen). Würde man etwas an der Bahnsteigkante ändern, könnten Reisende, die aus dem Zug aussteigen, stürzen, wenn die Tür ihres Waggons gerade über der Abflachung der Bahnsteigkante zum Halten käme.

Und dann ist da noch die rechtliche Seite: Mit der Erneuerung der Bahnsteige ist der Bestandsschutz weggefallen, und das dafür zuständige Eisenbahn-Bundesamt hat keine neue Genehmigung für einen ebenerdigen Gleisübergang in Aussicht gestellt.

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Mit anderen Worten: Die Stadt ist dafür nicht zuständig; und die zuständige Bahn, in deren Beritt eine ebenerdige Gleisüberquerung fiele, will nicht (ganz abgesehen davon, dass das wohl ohnehin nur eine freiwillige Leistung der Bahn wäre). Es mag sein, dass es irgendwann einmal einen Fahrstuhl zur Brücke zwischen Hafen und Bodanstraße geben wird – aber auch da wäre wieder das Problem kaputter Aufzüge. Der öffentliche Personenverkehr ist bis heute für mobilitätseingeschränkte Menschen nur sehr bedingt oder gar nicht tauglich.

Aber immerhin: Die Bahn arbeitet intensiv daran, ihre Züge durch Verspätungen, nicht funktionierende Toiletten, undurchschaubare Tarifregelungen und ähnliche Mätzchen auch für alle anderen Menschen unerträglich zu machen.

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Erst nach Verfassen dieses Artikels erreichte uns eine Stellungnahme der Bahn: „Die Deutsche Bahn hat den Bahnhof Konstanz zwischen 2018 und 2023 umfassend modernisiert und barrierefrei ausgebaut. Fahrgäste profitieren dank des verlängerten Bahnsteigs nun von einem stufenfreien und angenehmen Zustieg in die Züge. Aus Sicherheitsgründen war die Nutzung des Überwegs nicht mehr zulässig – die DB hat ihn im Zuge der Modernisierung zurückgebaut. Die Aufzüge in Konstanz fallen gegenüber anderen Anlagen nicht durch eine erhöhte Störanfälligkeit auf.“

Text & Bild: O. Pugliese (Disclaimer nach journalistischen Standards: Da in diesem Text abgekupfert wurde, dass es nur so kracht, veröffentlichen wir ihn unter einem Pseudonym, um die Plagiierten nicht auf unsere Fährte zu locken.)

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