Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (14)

Der leichtfüßige Vandale

Dem Wachmann war er gerade noch entwischt, in dem Gerangel hatte er aber dummerweise seine Brille verloren. Als er anderntags nach ihr suchte, erwartete ihn die Polizei. Niemals zum Tatort zurückkehren! Da er diesen Grundsatz missachtete, wurde er geschnappt, der „Schmierer“, der zwei Jahre lang die städtischen Putzkolonnen in Atem gehalten und den HausbesitzerInnen Schaum vor den Mund getrieben hatte. Der Sohn eines Schweizer Arztes und einer norwegischen Malerin war 1939 in Zürich zur Welt gekommen; er besuchte die Kunstgewerbeschule, das Musikkonservatorium und dann die École des Beaux-Arts in Paris, wo er mit Collagen und unterschiedlichen Materialien experimentierte, alte Meister studierte, zeichnete, radierte, vereinfachte, noch weiter reduzierte. 1977 fand er schließlich zu der Form, die ihn weltberühmt machte: Mit der Sprühdose ließ er leichtfüßige Strichfiguren an Mauern und Gebäuden entlangspringen, ein stiller Protest im öffentlichen Raum gegen kalte Architektur und urbane Unwirtlichkeit. Das war am Vorabend der Jugendunruhen und neu im biederen Zürich; es faszinierte und empörte ungemein. Nach der Festnahme zeigte das Gericht aber noch Milde und verhängte nur eine Bewährungsstrafe.

Doch der Sturkopf mit dem „intensiven deliktischen Willen“ (so später ein Richter) ließ von seinem illegalen Treiben nicht ab, weitete seinen Aktionsradius sogar noch aus. 1981 wurde er deshalb erneut verurteilt: neun Monate Gefängnis ohne Bewährung und 200 000 Franken Schadenersatz wegen fortgesetzter Sachbeschädigung und weil er „über Jahre hinweg mit beispielloser Härte, Konsequenz und Rücksichtslosigkeit die Einwohner von Zürich“ verunsichert habe. Die internationale KünstlerInnenszene war über das Urteil entsetzt und solidarisierte sich mit dem Kollegen, der inzwischen in der BRD untergetaucht war. Willy Brandt hätte ihm damals gern Unterschlupf gewährt, doch die Schweizer Behörden ließen sich nicht zu einer Rücknahme des Ausliefungsgesuchs bewegen. 1984 stellte sich der Street-Art-Pionier dann bei Lörrach der Polizei – allerdings erst, nachdem er sich noch schnell auf dem deutschen Zollhaus verewigt hatte.

Wer ist der öffentlichkeitsscheue Linien-Meister, der nach einer Chemiekatastrophe in Basel den „Totentanz der Fische“ entlang des Rheins sprayte und der dieses Frühjahr in Zürich an die EigentümerInnen von Kleingewerbelokalen appellierte, auf die Miete zu verzichten, und als Gegenleistung fünfzig Originalzeichnungen verschenkte?

Text und Bildcollage: Brigitte Matern

Die Auflösung erscheint am kommenden Montag.