Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (16)
Die US-Präsidentschaftskandidatin
„Es kann Prostitution in der Ehe geben und fairen Handel im Bordell. Es kommt auf die Bedingungen an, unter denen der Akt stattfindet“, erklärte sie. Die bürgerliche Doppelmoral ging ihr gehörig auf die Nerven. Sie wollte lieben, wen und wie lange sie wollte, ohne staatliche Einmischung. Und wenn man sie deswegen verurteilte – nur zu! Sie wusste genug über ihre heuchlerischen KritikerInnen und hatte keine Hemmungen, dieses Wissen auch einzusetzen.
Zur Welt gekommen war die forsche Frauenrechtlerin 1838 als siebtes von zehn Geschwistern in Homer, Ohio. Inmitten von Dreck, Armut und Gewalt lebte ihre Familie vom Verkauf dubioser Heilwässerchen, von Prostitution, Hellseherei und Erpressung. Zeit für die Schule blieb da wenig; doch die selbstbewusste Tochter wusste früh, dass sie einmal reich und bedeutend sein würde – das hatte ihr in einer ihrer Visionen ein Toga-gewandeter Mann prophezeit.
Der erste Versuch, dem Elend zu entkommen, ging allerdings tüchtig daneben; mit fünfzehn heiratete sie einen Arzt, der sich als schwerer Trinker erwies, und brachte bald ein geistig schwer beeinträchtigtes Kind zur Welt. Sie zogen in die damalige Goldgräberstadt San Francisco, wo sie als Bühnengirl, spiritistisches Medium und Heilerin arbeitete. Nach dem zweiten Kind reichte sie die Scheidung ein. Und lernte bald einen Richter und Armeeoberst kennen, der im gerade beendeten Amerikanischen Sezessionskrieg aus der bürgerlichen Bahn geworfen worden war. Von ihm erfuhr sie, dass es hierarchiefreie Formen des Zusammenlebens gab und Gesellschaftsentwürfe ohne Armut und Unterdrückung.
Als sie 1870 der schwächelnden Frauenbewegung (ungebeten) unter die Arme griff, indem sie ihre Kandidatur für die US-Präsidentschaft ankündigte, war sie, was sozialistische Ideen und die Arbeiterbewegung angingen, gut munitioniert. Manch moralisierender Aktivistin ging sie allerdings zu weit, zumal sie die Ansicht vertrat, dass viele Frauen andere und drängendere Probleme hätten als das Wahlrecht: die Ehemänner beispielsweise, denen sie wirtschaftlich und physisch ausgeliefert seien, und mies bezahlte, krank machende Jobs. Neben der Einführung des Achtstundentags umfassten ihre Forderungen deshalb unter anderem auch die Abschaffung der Ehegesetze.
Zu dieser Zeit war sie bereits eine lokale Berühmtheit, da sie es als Frau gewagt hatte, ein Börsenunternehmen zu eröffnen – bis anhin eine reine Männerdomäne. An der Wand ihres New Yorker Brokerbüros verkündete ein Schild: „Herren tragen ihr Anliegen zügig vor und ziehen sich dann umgehend zurück.“ Viele kostbare Insider-Informationen aus der Wirtschaft bekam sie von befreundeten Prostituierten, in deren Beisein die Industriellen sich allzu sorglos austauschten. Zu nationaler Berühmtheit katapultierten sie schließlich eine eigene Zeitung (die als erste englischsprachige US-Zeitung das „Kommunistische Manifest“ abdruckte) und die Gründung der Equal Rights Party, die sie offiziell als „future presidentess“ nominierte (mit einem Schwarzen als Vizepräsidenten).
Wer war die mit 88 Jahren in England verstorbene Medienstrategin mit der „magnetischen“ Ausstrahlung, deren New Yorker Arbeiterorganisation 1872 vom Londoner Generalrat aus der Ersten Internationale geworfen wurde?
Brigitte Matern (Text und Bildcollage)
Die Auflösung erscheint am kommenden Montag.