Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (21)

Die empathische Handwerkertochter

„Manche Nasen sollten sich vor der Hoheit dieser großen Frau tief verneigen, denn auf deutschen Thronen sitzt keine ebenbürtige“, schrieb der Publizist Alfred Kerr an die Adresse des Kaisers, als wieder einmal eines ihrer Ausstellungsplakate verboten wurde. Zuvor schon hatte Wilhelm II. sich geweigert, sie – eine Frau! – für ihr Können mit einer Medaille zu prämieren; das käme „einer Herabwürdigung jeder hohen Auszeichnung gleich“, meinte er. In der sich neu formierenden Kunstszene der Jahrhundertwende galt die kaiserliche Ablehnung jedoch als Adelung: Die „große“ Frau, in Wahrheit klein und zierlich, war mit einem Schlag bekannt.

1867 in Königsberg geboren, hatte die Maurermeistertochter nie etwas anderes als Künstlerin werden wollen. Auf Widerstand traf sie damit nicht; ihr sozialdemokratisch eingestellter Vater ließ sie Malunterricht nehmen und in Berlin und München private Kunstschulen besuchen (die großen Akademien waren Frauen damals noch versperrt). Enttäuscht zeigte er sich erst, als sie mit 23 Jahren heiraten wollte – seiner Meinung nach schlossen sich Ehe und eine Karriere als Künstlerin aus. Doch sie hatte den Richtigen gewählt: Ihr Mann, ein Arbeiterarzt, löste das Versprechen, ihr für die Kunst den Rücken frei zu halten, ein Leben lang ein.

Und so lithografierte und radierte die gelegentlich Untreue, schuf Holzschnitte und Plastiken und brachte mit großer Empathie das Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter ins öffentliche Bewusstsein: Hunger, Verzweiflung, Arbeitslosigkeit, Aufstand und Tod. Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem sie einen ihrer Söhne verlor, trat sie der Liga für Menschenrechte bei und setzte ihre Kunst auch propagandistisch ein, entwarf Plakate für die internationale Hungerhilfe, gegen Krieg und Wohnungsnot.

Den Nationalsozialismus sah sie mit Grauen heraufziehen, Deutschland verlassen wollte sie dennoch nicht. Im Februar 1933 unterschrieb sie einen letzten dringenden Appell an SPD und KPD, zusammenzuarbeiten, dann wurde es still um sie: Die mittlerweile weltberühmte Professorin der Preußischen Akademie der Künste wurde des Amts enthoben, ihr Werk als „entartet“ gebrandmarkt. Vom Bombenhagel aus Berlin vertrieben, starb sie am 22. April 1945 im sächsischen Moritzburg an Herzversagen.

Wer war die begnadete Schwarzweißmodulatorin, die ihre Ferien gern im Engadin verbrachte und von der ein Künstler- und Bergkollege einmal sagte, sie klettere «als wie a Gams»?

Text und Collage: Brigitte Matern

Die Auflösung erscheint am Montag.