Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (23)
Die kunstfertige Chinesin
„Wenn wir nur einen Funken Würde im Leib haben, müssen wir Armeen aufstellen, um die Verbrecher zu bestrafen, die das Bandagieren der Füße erfunden haben“, appellierte sie von Tokio aus an ihre „zweihundert Millionen Schwestern in China“. Sie sollten es nicht länger hinnehmen, dass Dummheit als weibliche Tugend gepriesen und Frauen wie Sklavinnen gehalten würden. Außerdem müssten sie das Schicksal ihres Landes endlich selbst in die Hand nehmen: Die Männer hätten nicht verhindert, dass dieses langsam zugrunde gehe – warum also vertrauten sie ihnen noch immer?
Als sie diesen Aufruf verfasste, hatte sie selbst gerade alle gesellschaftlichen Fesseln abgeworfen. Dabei durfte sich die 1875 im Südosten Chinas geborene Beamtentochter anfangs durchaus zu den Privilegierten zählen: Anders als die meisten ihrer Zeitgenossinnen hatte sie lesen und schreiben gelernt, und auch ihre Füße waren nicht verstümmelt worden; sie lernte sogar reiten und wurde in der Kampfkunst unterrichtet. Ganz entkam aber auch sie nicht dem weiblichen Pflichtprogramm: 1896 wurde sie mit einem Gutsverwalter verheiratet („neureich, gewissenlos und ungebildet“ nannte sie ihn), dem sie fortan untertan war.
Nach acht Jahren hatte sie allerdings genug. Sie verkaufte ihren Schmuck, verließ Mann und Kinder und setzte nach Japan über, wo Frauen, wie sie wusste, studieren durften. Dort engagierte sich die angehende Krankenschwester umgehend in einem Verband vor der Repression geflüchteter chinesischer StudentInnen, schwang sich in die Führungsebene mehrerer radikaler Geheimgesellschaften auf und verfeinerte nebenbei ihre Fertigkeiten im Schwertkampf wie in der Sprengstoffherstellung.
Nach China zurückkehrt, trieb sie ihre Vorbereitungen für den Sturz der verknöcherten Kaiserdynastie voran. Sie gründete eine Politzeitschrift für Frauen – die erste chinesische Frauenzeitschrift überhaupt – und nutzte ihre Funktion als Schulleiterin, um künftige militärische Kader auszubilden und zu vernetzen. Es stand nicht schlecht um den Aufbau der revolutionären Organisation. Doch dann wurde im Juli 1907 ein Aufstand verraten und gnadenlos niedergeschlagen. Die Drahtzieher wurden verhaftet und die Rebellin im Alter von 31 Jahren – zum Entsetzen selbst des Bürgertums – geköpft.
Wer war die Gedichte schreibende Feministin, die gern in Männerkleidung durch die Straßen preschte und nach dem Sturz des letzten Kaisers 1911 als Heldin und „Märtyrerin der Revolution“ verehrt wurde?
Text und Collage: Brigitte Matern
Die Auflösung erscheint am kommenden Montag.