Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (3)

Alle zwei Wochen fragen wir freitags nach Persönlichkeiten aus der Geschichte – nach frechen Frauen, couragierten Männern und überhaupt nach Menschen, die sich für eine bessere Welt einsetzten und dabei nicht selten viel riskierten. Manche sind noch heute bekannt, viele andere aber in Vergessenheit geraten – wie etwa die Ökonomin, die Mitte des 19. Jahrhunderts unter anderem die fatale wirtschaftliche Abhängigkeit von Ehefrauen in den Fokus rückte.

Die ungehörige Denkerin

Ihr Gatte war wohlhabend und liebenswert, trug sie auf Händen. Doch offensichtlich genügte das der intelligenten jungen Frau nicht. Bereits Mutter dreier Kinder, lernte sie einen leitenden Angestellten der britischen Ostindien-Kompanie kennen, der ihr geistig ebenbürtig erschien (was sie ihrem Mann auch kundtat) und verliebte sich. Zwar blieb die Beziehung platonisch und auf einen intensiven Gedankenaustausch beschränkt, für die viktorianische Gesellschaft war sie dennoch ein Affront. Warum begünstigte der Gatte das Verhältnis auch noch, indem er das Haus verließ, wenn sie sich trafen? Weshalb finanzierte er ihr später einen eigenen Hausstand, sodass die beiden sich noch ungestörter treffen konnten? Hatte er sie wirklich mit Syphilis angesteckt, wie eine Forscherin vermutet? War seine Toleranz also eine Art Wiedergutmachung?

Sicher ist nur, dass die 1807 in London geborene Arzttochter ihren Gatten noch eine Zeit lang pflegte, bevor er 1849 starb. Und dass sie ihren Seelenfreund erst nach angemessener Trauerzeit ehelichte. Den ungehörigen Lebenswandel nahm man ihr dennoch übel, sodass sie sich mit ihrem neuen Gatten (auch er hieß John) auf ein Anwesen im Südosten Londons zurückzog. Wo sie zusammen – wie schon zuvor, wenn er nicht für die Kompanie arbeiten musste – politisch-philosophische Fragen diskutierten.

John war Utilitarist, hinterfragte also bei allem den Nutzen für die Gesellschaft, und ein entschiedener Verfechter von Freiheit und Gleichheit (was die Frauen selbstverständlich mit einbezog). Sie war eine erklärte Gegnerin der Ehegesetze, hatte ein Auge auch für die Lage der ArbeiterInnen, besaß eine schnelle Auffassungsgabe und war für den ohne elterliche Zuneigung aufgewachsenen Philosophen von bereichernder Emotionalität und zupackender Selbstsicherheit. Als intellektuelles Powergespann besprachen und überarbeiteten sie gemeinsam ihre Artikel- und Buchmanuskripte, die meist – vermutlich der besseren Akzeptanz wegen – unter seinem Namen veröffentlicht wurden (wobei er ihre Mitarbeit allerdings nicht unterschlug und auch zugab, dass er gelegentlich wie ein Sekretär nur die Schreibfeder führte). Die symbiotisch-publizistische Zusammenarbeit in Sachen politische Ökonomie und Sozialismus, eheliche Versklavung und Gewalt, Freiheit des Individuums und Frauenrechte kam jedoch zu einem Ende, als die feministische Theoretikerin mit einundfünfzig Jahren an Lungenversagen verstarb.

Wer war die Denkerin mit den blitzwachen Augen, deren geistige Fähigkeiten ihr Mann derart überschwänglich pries, dass sie keiner mehr ernst nahm?

Text und Collage: Brigitte Matern

Die Auflösung folgt am kommenden Montag.