Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (30)
Der atemlose Hauptmann
Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand nannte ihn einen Störenfried, der es einem nicht leicht mache, mit einem guten Gewissen einzuschlafen. Den afrikanischen Luftwaffenhauptmann kümmerte der Schlaf der Neokolonialisten jedoch wenig, solange sie sein Land ausbeuteten. Furchtlos und frech bot er ihnen die Stirn, auch auf internationalem Parkett. Dass er nicht alt werden würde, hatte er geahnt.
Zur Welt gekommen war er 1949 im westafrikanischen Obervolta. Die Eltern hätten ihn gern in einem Priesterseminar gesehen. Er selbst wollte eigentlich Arzt werden, entschied sich dann jedoch für die Militärakademie. Dort stieß er auf einen Geschichtslehrer, der seinen Schülern das Verständnis für politische Fragen vermittelte. Die französische Kolonie war 1960 unabhängig geworden und wurde seither von ständig wechselnden Machthabern regiert, die vor allem an ihrem persönlichen Wohl interessiert waren. Und so gründete er mit einem Freund die Vereinigung kommunistischer Offiziere. Deren Zeit kam 1983, nachdem der charismatische Linke in die Regierung aufgenommen und kurze Zeit später – vermutlich auf Druck Frankreichs – ins Gefängnis geworfen wurde. Damals gab es Massenproteste, die Vereinigung putschte und rief die Revolution aus.
Als neuer Staatspräsident machte er sich unter dem Motto „Trinkwasser für alle statt Champagner für wenige“ in rasendem Tempo an die Umsetzung seiner Ziele: Er leitete eine Agrarreform ein, ging gegen Korruption vor, stellte die Wirtschaft auf die Produktion von Gütern für den heimischen Bedarf um, forcierte den Straßen- und Eisenbahnbau, ließ Sozialwohnungen, Schulhäuser und Sanitätsstationen bauen und Bäume gegen den Vormarsch der Wüste pflanzen. Dabei setzte er erfolgreich auf die aktive Mitarbeit der Bevölkerung, vor allem der Frauen, deren Emanzipation er als vordringlich ansah. Nach nur vier Jahren war das Land von Nahrungsmittelimporten unabhängig.
Dass er den Regierungsmitgliedern Economy Class verordnete und deren Limousinen durch Kleinwagen ersetzte, verschaffte ihm im eigenen Land nicht nur Freunde. Auch nicht, dass er den BeamtInnen das Gehalt kürzte, streikende LehrerInnen entließ und Oppositionsparteien verbot. Als er darüber hinaus aber die afrikanischen Länder aufrief, die Rückzahlung der Schulden zu verweigern, und in den Nachbarländern zunehmend als Hoffnungsträger gefeiert wurde, waren seine Tage gezählt. 1987 wurde er bei einem Putsch ermordet. Welche Rolle die ehemalige Kolonialmacht Frankreich dabei spielte, ist bis heute nicht geklärt.
Wer war der atemlose Visionär mit einer Schwäche für Motorräder, der Bildung und Kultur einen wichtigen Platz einräumte und Obervolta in „Land der Aufrechten“ umbenannte?
Text und Collage: Brigitte Matern
Die Auflösung erscheint am Montag.