Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (37)
Sie hatte eine bürgerliche Bildung genossen, sogar eine Zeit lang Medizin studiert und nach dem Tod ihres Vaters ein ansehnliches Vermögen geerbt. Sie zählte also zu den Privilegierten. Unglücklich war die 1860 in Illinois geborene US-Senatorentochter dennoch, nicht nur wegen ihrer angeschlagenen Gesundheit und damit einhergehender Schmerzen und Depressionen: Sie fand einfach nicht heraus, was sie zum Fortschritt der Menschheit beitragen konnte.
Auf einer Reise durch Europa stieß die Neunundzwanzigjährige dann in den Elendsvierteln Londons auf Toynbee Hall, ein von Studenten betriebenes, auf die Hilfe zur Selbsthilfe ausgerichtetes Nachbarschaftszentrum. Begeistert kehrte sie nach Chicago zurück, erwarb 1889 ein Haus in einem der heruntergekommenen ImmigrantInnen-Vierteln und baute es nach und nach aus: Neben einer Volksküche, einer Schule und beruflichen Weiterbildungsangeboten entstanden unter anderem der erste Kindergarten der USA, das erste öffentliche Bad, eine Bibliothek und eine Kunstgalerie. Persönlichkeiten wie der russische Anarchist und Schriftsteller Pjotr Kropotkin und der schwarze Bürgerrechtler und Soziologe W.E.B. Du Bois hielten dort Vorträge.
Nebenbei engagierte sie sich in der Öffentlichkeit auch als Pazifistin. Als die USA 1898 Kuba und die Philippinen besetzten, trat sie empört der Anti-Imperialistischen Liga bei. Sie schrieb gegen den Krieg an, verurteilte in Vorträgen das militärisch-männliche Denken und forderte Mut und Heldentum nicht auf dem Schlachtfeld, sondern im Ringen um Gerechtigkeit und Demokratie für alle. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs übernahm sie den Vorsitz des Internationalen Frauenfriedenskongresses in Den Haag, auf dem unter anderem die sofortige Beendigung des Kriegs, die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs und eine weltweite Kontrolle des Waffenhandels gefordert wurde. Und natürlich meldete sich die spätere Yale-Ehrendoktorin auch zu Wort, als ihr Land 1917 in den Krieg eintrat. Soldaten zögen nicht willentlich in die Schlacht, erklärte sie, sondern müssten dazu unter Drogen gesetzt werden. Ihren GegnerInnen galt sie damals als „gefährlichste Frau Amerikas“, die „die Söhne der Nation zu entmännlichen“ suche.
Wie heißt die 1935 verstorbene Soziologin und erste Präsidentin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, die mit 71 Jahren den Friedensnobelpreis erhielt?
Text und Collage: Brigitte Matern
Die Auflösung erscheint am kommenden Montag.