Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (44)

Der populäre Blumenzüchter

„Bleiben Sie lange?“, fragte der Wachsoldat den unrasierten Mann mit den abgewetzten Jeans und wollte ihn schon auf den Hintereingang verweisen. „Wenn Sie mich lassen, fünf Jahre“, antwortete der. Als frisch gewählter Abgeordneter war er nämlich gerade auf dem Weg zu seiner ersten Parlamentssitzung. Das war 1994, und an seinem Dresscode hat sich seither nicht viel geändert. Selbst als erster Mann im Staate trug er nur selten Anzug (wenn doch, dann ohne „Lappen“ um den Hals). Er weigerte sich auch, im Präsidentenpalast zu wohnen, und fuhr weiter in seinem alten VW-Käfer herum. Die Menschen lieben ihn dafür.

Zur Welt gekommen ist der Revoluzzer 1935 auf einer kleinen Farm am Rand von Montevideo. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf; obwohl der Vater früh verstarb, konnte er das Gymnasium besuchen. Denn das Land am Río de la Plata galt damals als „Schweiz Südamerikas“: Der Wohlfahrtsstaat war überdurchschnittlich gut entwickelt, Analphabetentum und Kindersterblichkeit so niedrig wie nirgends sonst auf dem Kontinent. Bis in den Sechzigerjahren eine Wirtschaftskrise autoritäre Politiker auf den Plan rief. Der spätere Senator trat dem Movimiento de Liberación Nacional bei, einer Stadtguerilla, die mit originellen, aber auch blutigen Aktionen gegen die heraufziehende Militärdiktatur kämpfte. Dabei soll er einen Polizisten erschossen haben, was ihm dreizehn Jahre Gefängnis einbrachte. Wie alle „Subversiven“ wurde er gefoltert und in Einzelhaft gehalten, was ihn an den Rand des Wahnsinns brachte. Zweimal gelang es ihm jedoch, auszubrechen; eine seiner damaligen FluchthelferInnen heiratete er später.

Mitte der achtziger Jahre rang eine aufmüpfige Bevölkerung dann die Militärmachthaber mit Generalstreiks nieder. Die Gefängnistore öffneten sich, und Zehntausende feierten die Freilassung des Widerständlers, der bald zu einer wichtigen Figur der uruguayischen Linken wurde. 1994 errang er einen Sitz im Abgeordnetenhaus, etwas später im Senat, dann wurde er Landwirtschaftsminister und 2009 schließlich – mit rund 53 Prozent der Stimmen –Staatspräsident. Dank einer Mehrheit in beiden Kammern verabschiedeten die Linken darauf fünf Jahre lang etliche fortschrittliche Gesetze. Am meisten Aufsehen erregte die Legalisierung der Abtreibung und die begrenzte Freigabe des Verkaufs und Anbaus von Marihuana.

Wie heißt der Tupamaro und Botschafter des Glücklichseins, der die Fifa-Funktionäre einen „Haufen Hurensöhne“ nannte und heute auf seinem Bauernhof fern von Corona wieder Blumen züchtet?

Text und Bildcollage: Brigitte Matern

Die Auflösung erscheint am kommenden Montag.