Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (5)
Alle zwei Wochen freitags fragen wir nach Persönlichkeiten aus der Geschichte – nach frechen Frauen, couragierten Männern und überhaupt nach Menschen, die sich für eine bessere Welt einsetzten und dabei nicht selten viel riskierten. Manche sind noch heute bekannt, viele andere aber sind in Vergessenheit geraten – wie etwa jene selbstbewusste Doktorin, die nach der Heirat im Schatten ihres Mannes verschwand.
Die kaltgestellte Chemikerin
„Was Fritz in diesen acht Jahren gewonnen hat, das – und mehr – habe ich verloren, und was von mir eben übrig ist, erfüllt mich selbst mit tiefster Unzufriedenheit“, schrieb sie 1909 über ihren Mann. Dabei war sie einmal so neugierig auf das Leben gewesen: Es sei nur wert, gelebt zu werden, „wenn man all seine Fähigkeiten zur Höhe entwickelt und möglichst alles durchlebt habe“, auch die Ehe. Doch sie war zur falschen Zeit geboren und hatte sich – wohl vor allem – den falschen Partner ausgesucht.
An Geld hatte es nicht gemangelt, als sie 1870 im preußischen Breslau zur Welt kam. Der Vater war ein wohlhabender Gutsbesitzer, der auf seinen Feldern erfolgreich mit Kunstdünger experimentierte. Sie besuchte die höhere Töchterschule, machte Abitur und erstritt sich selbstbewusst und hochbegabt den Zugang zum Studium. Viele Kämpfe hatte sie gegen ihre bornierten Zeitgenossen durchzustehen, bis sie 1900 als erste deutsche Doktorin der Chemie promoviert wurde. Ihre Forschungsbeiträge über schwerlösliche Salze, auf denen die Entwicklung von Batterien basiert, ließen Großes erwarten.
Dann traf sie eine alte Liebe wieder, einen inzwischen zum Professor avancierten Chemiker, dessen Antrag sie zehn Jahre zuvor noch ausgeschlagen hatte. 1901 heirateten sie, und als ein Jahr später der Sohn zur Welt kam, schnappte die Falle zu: Um weiter wissenschaftlich tätig zu sein – als Mutter ein gesellschaftlicher Affront –, hätte sie dringend der Unterstützung ihres Mannes bedurft; doch der Ehrgeizling widmete sich lieber seinen Forschungen zur Stickstoffgewinnung. Auf die Rolle der Professorengattin reduziert, konnte sie nur noch Vorträge über „Chemie in Haus und Küche“ halten.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte schließlich zum Familiendesaster. Während er der deutschen Generalität Giftgas als Kampfstoff empfahl und dazu geeignete Verfahren entwickelte, appellierte sie an seine Verantwortung als Wissenschaftler. Vergeblich. Im Mai 1915, wenige Tage nach dem deutschen Chlorgaseinsatz über den flandrischen Schützengräben, dem Tausende Soldaten zum Opfer fielen, erschoss sich die unglückliche Pazifistin.
Wer war die verhinderte Forscherin, die auf dem Basler Hörnli-Friedhof bestattet wurde und nach der die Vereinigung Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs 1991 einen Zivilcourage-Preis benannte?
Brigitte Matern (Text und Collage)
Die Auflösung folgt am kommenden Montag.