Engagiert und widerspenstig: Wer wars? (66)
Die fluchende Chronistin
Sie verachtete die Institution Ehe, und Kinder zu bekommen, bedeutete für sie Untergang: Machte eine Frau sich finanziell abhängig von ihrem Mann, durfte der sie wie Vieh behandeln. Auch ihre Mutter hatte sich für die siebenköpfige Familie totgeschuftet, während der Vater schlug und trank.
Klauen, Fluchen und Aufschneiden war das Erste, was die 1892 geborene Arbeitertochter aus Missouri lernte, um sich zu behaupten; später kam Reiten, Schießen und Lassowerfen dazu. Um der bitteren Armut zu entkommen, brauchte es aber mehr, und so besuchte die bildungshungrige junge Frau, wann immer sie Zeit und Geld hatte, weiterführende Schulen.
1917 ließ sie sich in New York nieder, kam in Kontakt mit SozialistInnen (die von der wilden Arbeitergöre mit Dolch und Revolver am Gürtel fasziniert waren) und begann, sich für die Unabhängigkeit Indiens, für Sexualaufklärung und Geburtenkontrolle zu engagieren. Sie landete prompt im Gefängnis, und der Geheimdienst wich ihr zeitlebens nicht mehr von den Fersen. 1920 setzte sie sich wegen der zunehmenden Repression nach Deutschland ab, agitierte weiter gegen die britische Herrschaft in Indien, schrieb Artikel für die linke US-Presse und gründete in Berlin eine Klinik für Familienplanung.
Dann – die ArbeiterInnen Schanghais hatten gerade die Kontrolle über die Hafenstadt errungen – zog es sie als Korrespondentin der renommierten „Frankfurter Zeitung“ nach China: Sie war überzeugt, dass in Asien die entscheidende Schlacht gegen den europäischen und japanischen Imperialismus bevorstünde. Sie bewegte Jawaharlal Nehrus Indischen Nationalkongress dazu, die RevolutionärInnen Chinas in ihrem Kampf gegen den Bürgerkriegsgeneral Tschiang Kai-schek zu unterstützen, pflegte Verwundete der Roten Armee, organisierte Gelder und medizinische Ausrüstung und lenkte mit ihren Publikationen die internationale Aufmerksamkeit auf den chinesischen Kriegs- und Revolutionsschauplatz.
1941 kehrte die gesundheitlich angeschlagene Fernostexpertin in die USA zurück und warb für die Unterstützung eines kommunistischen China. Im Kalten Krieg geriet sie jedoch ins Abseits, und als man sie gar der Spionage für die UdSSR bezichtigte – ein Regime, das sie verabscheute –, floh sie nach England, wo sie kurze Zeit später starb.
Wer war die schillernde Chronistin, die den chinesischen KommunistInnen Square Dance beibrachte und 1950 auf dem Revolutionsheldenfriedhof in Beijing beigesetzt wurde?
Text und Bildcollage: Brigitte Matern
Die Auflösung erscheint am kommenden Montag.