Engagiert und widerständig: Wer wars? (11)

 Der unbekannte Antiimperialist

„Wie barmherzig sind Kleider, wie wohltätig, wie mächtig, wie unschätzbar wertvoll! Meine vermögen eine menschliche Null in einen schauerlichen Alpdruck für die ganze Welt zu verwandeln.“ Diese Worte legte der US-Schriftsteller dem russischen Zaren in den Mund, als er ihn darüber jubilieren ließ, dass die Monarchen dem Volk Gewaltlosigkeit predigten, während sie selbst sich nur mit „Mord, Verrat, Meineid, Folter, Verbannung und Gefängnis“ auf dem Thron hielten.

Das fiktive Selbstgespräch, beißend satirisch, war im März 1905 in der „North American Review“ erschienen, nachdem Nikolai I. in Petersburg einen Streik blutig niedergeschlagen hatte. Der Autor, der zuvor schon das Vorgehen des Westens im chinesischen Boxeraufstand kritisiert und die Gräueltaten des belgischen Königs im Kongo angeprangert hatte, war allerdings nicht immer so radikal gewesen.

1835 in Missouri geboren, hatte der Juristensohn heftig strampeln müssen, bis er sich die lauten Töne leisten konnte. Mit elf bereits Halbwaise, verließ er die Schule und absolvierte eine Schriftsetzerausbildung. Danach ging er auf Wanderschaft durch die USA, arbeitete in Druckereien, schrieb Zeitungsartikel und holte nebenbei in Bibliotheken die verpasste Bildung nach. Mit Anfang zwanzig erfüllte er sich dann einen Traum: Er erwarb das Lotsenpatent und schipperte ein paar Jahre lang den Mississippi auf und ab – bis der Sezessionskrieg 1861 die Schifffahrt zum Erliegen brachte. Ohne Arbeit und auch als Goldgräber glücklos, versank er in Alkohol und Schulden. Rettung brachte eine Kurzgeschichte über einen springunfähigen Frosch. Sie war der Startschuss für seine Karriere als Schriftsteller und Humorist.

Den zweiten wirtschaftlichen Schiffbruch erlitt er – inzwischen verheiratet und Autor zweier Jugendbuchbestseller – als Anteilseigner einer Druckerei: Die Investition in die Entwicklung einer letztendlich funktionsuntüchtigen Setzmaschine trieb den Technikbegeisterten in den Ruin. Um die Schulden zu begleichen, ging er auf Welttournee, gab Lesungen, hielt Vorträge. Neun Jahre war der hellhörige Beobachter unterwegs, und als er im Jahr 1900 saniert in die Staaten zurückkehrte, war aus dem Patrioten ein scharfzüngiger Gegner (nicht nur) des US-amerikanischen Imperialismus geworden.

Wer war der 1910 verstorbene Kritiker von Machtgier und Doppelmoral, der einmal sagte, dass es Revolutionen immer nur gegeben habe, weil die Zustände untragbar gewesen seien, und er deshalb immer aufseiten der RevolutionärInnen stehe?

Brigitte Matern (Text und Grafik)

Die Auflösung erscheint am kommenden Montag.