Engagiert und widerständig: Wer wars? (9)
Der zornige Sänger
Wenn ihn auf dem Schulweg weiße Kinder anrempelten, schlug er zu. Denn er war zornig, schon mit sieben, und er ließ sich nichts gefallen. Später erkannte er den Grund für seine Wut: 1927 als Sohn karibischer Einwanderer in Harlem, New York, geboren – die Mutter war Dienstmagd, der Vater Matrose –, war er ein Bürger zweiter Klasse. Früh schmiss er die Schule, hielt sich mit Hilfsjobs über Wasser und meldete sich 1944 zum Kriegsdienst. Dass er dabei hochriskante Arbeiten wie das Verladen von Munition erledigen musste – derartige Drecksjobs waren Schwarzen wie ihm vorbehalten –, empörte ihn noch mehr.
Doch dann bekam er eine Eintrittskarte für das American Negro Theatre in Harlem geschenkt, und ihm eröffnete sich eine völlig neue Welt: Gebannt sah er, wie schwarze SchauspielerInnen vor einem schwarzen Publikum das Stück eines schwarzen Schriftstellers aufführten. Hier lag seine Zukunft! Er wurde Mitglied der Theatergruppe und erhielt, da er Talent zeigte, einen Platz an der berühmten Schauspielschule Erwin Piscators. Leben konnte er davon allerdings nicht, und in der Film- und Theaterwelt der Weißen gab es nur die Rolle des einfältig-servilen, augenrollenden Schwarzen – den spielte er auf gar keinen Fall!
Aus der Not heraus begann er zu singen – und hatte prompt Erfolg. Zunächst mit „albernen Balladen“ (wie er es nennt), dann mit karibischen Klängen, Folk, Gospel und Blues. Und so war er bereits ein gefeierter Weltstar, als die schwarze Bürgerrechtsbewegung in die heiße Phase trat. Schon zuvor aufgrund seines politischen Engagements als „kommunistischer Nigger“ beschimpft und vom FBI observiert, hatte seine Stimme so großes Gewicht, dass er zum Vermittler zwischen Martin Luther King und den Kennedy-Brüdern John und Robert wurde (denen er nie so recht traute und offen die Meinung geigte).
Überhaupt setzte er sich überall ein, wo es um Unrecht und Freiheit ging: in Griechenland für den inhaftierten Sänger Mikis Theodorakis, in Südafrika gegen die Apartheid, in Äthiopien gegen Hunger und in den USA für die Interessen der UreinwohnerInnen und gegen eine kriegerische Außenpolitik. Den ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush nannte er einmal „den weltweit größten Terroristen“, bei der Wahl Donald Trumps warnte er vor einem US-amerikanischen „Vierten Reich“, und im gegenwärtigen Wahlkampf hat er selbstverständlich Bernie Sanders unterstützt. Wie heißt der noch immer optimistische Calypsokönig mit den zerkratzten Stimmbändern, der als Kind Jockey werden wollte und heute, wenn er noch jung wäre, rappen würde?
Text und Grafik: Brigitte Matern
Die Auflösung erscheint am kommenden Dienstag.