Entmachtung eines Chefarztes – auf Raten?
Machtkampf im Konstanzer Klinikum: „Und die Erschütterung in der Belegschaft ist riesengroß“, berichtet die Personalrats-Vorsitzende Elisabeth Keller – Unterschriftenlisten kursieren unter den Beschäftigten, viele wollen zur Gemeinderatssitzung, überraschend für den morgigen Donnerstag einberufen, kommen und ihren Unmut lautstark vortragen. Es geht um die Entlassung eines Chefarztes, aber es geht auch um einen Machtkampf im Klinikum und es geht womöglich um die entscheidende Frage: Wird das Krankenhaus doch privatisiert?
Man darf sich wundern: Die monatliche Gemeinderatssitzung war wegen der Osterferien eigens auf den 14. April vorverlegt worden; kurz vor Ostern, konkret am 21.4., aber wird der „Gemeinderat/Stiftungsrat“ überraschend zu einer – wie fast schon gewohnt – nicht öffentlichen Sitzung für den 28.4. einberufen. Einziger Tagesordnungspunkt: „Entlassung eines Chefarztes“. Dem Vernehmen nach handelt es sich um eine außerordentliche Kündigung; weitere Gerüchte wollen wissen, dass es sich um Prof. G. Müller-Esch, Chefarzt der Inneren Medizin, handelt.
Man darf schon nach den Gründen für solche Eile fragen. Ist der Gemeinderat überhaupt beschlussfähig? Sind alle Stadträte aus dem Osterurlaub zurück? Ist eine womöglich zufällige Mehrheit im Gemeinderat gar beabsichtigt? Will man einen unbequemen Kritiker durch die Hintertür entsorgen?
In einem „Brandbrief“ hat sich der Personalrat am Abend des 26. April an die Gemeinderatsmitglieder gewandt. Darin wird gewarnt: „In der aktuellen Situation einer geplanten Holding-Gründung ist die Entlassung eines Chefarztes ein katastrophales Signal in der Außendarstellung“. Und die Beschäftigten-Vertreter warnen vor einer Schwächung der Verhandlungsposition des Konstanzer Klinikums in der aktuellen Situation einer geplanten Holding-Gründung „wenn die größte Fachabteilung nicht durch einen erfahrenen Chefarzt vertreten wird“.
Im Gespräch mit seemoz legt Elisabeth Keller nach: „Prof. G. Müller-Esch hat großen Rückhalt in der Belegschaft nicht erst seit seines Managements der Brandfolgen im Klinikum. Und das, obwohl er längst nicht immer ein bequemer Gesprächspartner auch für den Personalrat war. Die Erschütterung unter den Beschäftigten ist riesengroß. Schon werden Solidaritätsadressen zur Unterstützung des Chefarztes vorbereitet“.
Auch in Gewerkschaftskreisen wird vermutet, dass Klinikumschef Rainer Ott sich eines unbequemen Kritkers entledigen will. Nachdem Müller-Esch schon Ende letzten Jahres als Ärztlicher Direktor entmachtet worden war, wird jetzt ein offener Brief der kompletten Ärzteschaft des Zentrums für Innere Medizin (ZIM) wohl zum Anlass für das Kündigungsbegehren genommen. In diesem Brief äußern sich die Mediziner kritisch zu angedachten Strukturveränderungen im Klinikum. Nachdem zunächst Müller-Esch als Verfasser dieser Kritik verdächtigt wurde, wirft man ihm heute anscheinend vor, die Verbreitung der Denkschrift nicht verhindert und damit den Betriebsfrieden gestört zu haben.
Rainer Ott, umstrittener Verwaltungschef des Klinikums, fasst diese Streitschrift der Mediziner vermutlich als Kampfansage auf. Dennoch betrachtet der Personalrat die Kündigungsabsicht durch die Klinikleitung zumindest als „stillos“. Mit Protesten der Beschäftigten und des Personalrats während der Gemeinderatssitzung sei zu rechnen – „auch wenn die nicht öffentlich ist“.
Bleibt die Frage: Welche Position vertritt eigentlich die Spitze der Stadtverwaltung, OB Frank, der den Gemeinderat zu dieser wundersamen Sondersitzung einberufen hat, und Bürgermeister Boldt, der als Sozialdezernent die Vorgänge am Krankenhaus zu verantworten hat? Boldt wird nicht erst seit heute, nicht erst seit seiner Brandrede vor dem Gemeinderat im Januar und nicht nur aus Belegschaftskreisen vorgeworfen, „das Klinikum schlecht zu reden“. Auch Gewerkschafter argwöhnen, dass klammheimlich „privaten Anbietern in die Hände gespielt wird“. Von wem? Und warum, wo doch allerorten getönt wird, man strebe eine ‚kommunale Lösung‘ für das Konstanzer Krankenhaus an? Vielleicht ist doch etwas dran an der in seemoz zuletzt am 15.4. formulierten Kritik, die Stadträte sollten der Verwaltung in Sachen: Krankenhaus deutlicher in die Akten schauen…
Autor: H.-P. Koch