Ermatinger Narren versenken Hermanns Groppenlied

Während in Konstanzer Narrenkreisen heftig und kontrovers darüber diskutiert wird, ob man die Lieder des früheren Naziredners Willi Hermann weiterhin singen soll, haben die Ermatinger Fasnachter zumindest vorerst einen Schlußstrich gezogen. Geschunkelt wird auf Schweizer Seite zukünftig ohne Hermanns Gassenhauer. Man darf gespannt sein, zu welchem Ergebnis die Konstanzer Narrengesellschaften kommen. Dazu ein Gespräch mit Rico Thurnheer (im Bild rechts).

Herr Thurnheer, auch die Ermatinger Groppen-Fasnachter, deren Präsident Sie sind, beschäftigt die Person Willi Hermann, der vor seiner Fasnachtskarriere im Dritten Reich als Nazi-Propagandist auftrat. Eines seiner bekanntesten Lieder ist „Ja, wenn der ganze Bodensee ein einzigs Weinfass wär“, das seit Jahrzehnten bei der Konstanzer Fasnacht gesungen wird. Auch das „Groppenlied“, das bei Ihnen gesungen wird, stammt wohl aus der Feder von Hermann. Ist dem so und wie kam es dazu?
Wie unsere Nachforschungen ergeben haben, stammt das Groppenlied tatsächlich zweifelsfrei aus der Feder von Willi Hermann. Bei der Komposition scheint es sich um ein Geschenk der Narrengesellschaft Niederburg Konstanz an das Groppenkomitee anlässlich eines Jubiläums der Groppen – vermutlich im Jahr 1965 zum 450-Jahr-Jubiläum der Groppen – gehandelt zu haben. Seither hat sich dieses Lied mit dem Originaltext als Erkennungsmelodie der Groppenfasnacht, das an der Jahresversammlung des Groppenkomitees gesungen und am jährlich stattfindenden öffentlichen Dorffasnachtsabend in immer wieder wechselnden Interpretationen gesungen wird, durchgesetzt.

Die Nachricht, dass Hermann Nazi und wohl auch an Kriegsverbrechen in Griechenland beteiligt war, schlug nicht nur in Konstanz wie eine Bombe ein. In Konstanzer Narrenkreisen wird darüber unterschiedlich diskutiert. Die einen erklären, der Text sei ja völlig unverdächtig, den Verfasser kenne heutzutage sowieso niemand mehr und man wolle sich das „Stück Fasnacht nicht wegnehmen lassen“. Andere wiederum sagen, es verbiete sich grundsätzlich, Lieder eines alten Nazis anzustimmen. Wie wird das in Ermatinger Fasnachtskreisen diskutiert und wie stehen Sie persönlich dazu?
Auch wir sind der Meinung, dass sowohl Melodie als auch der Text des Groppenlieds keinerlei Hinweise auf rassistische Hintergründe enthalten, sonst hätten wir das Lied gar nie gesungen. Vielmehr handelt es sich rein von Text und Melodie her um ein fasnächtliches Stimmungslied in der Tradition der deutschen Fasnacht von Mainz über Köln bis nach Konstanz.

In Anbetracht der Enthüllungen über die Vergangenheit des Verfassers erscheint die ganze Sache aber selbstverständlich auch für uns in einem ganz neuen Licht. Wie die Konstanzer Fasnächtler wurden wir von den neu aufgetauchten sehr düsteren Fakten aus der Vergangenheit von Willi Hermann vollständig überrascht und sind fassungslos, dass ein Fasnächtler eine solche Vergangenheit gehabt haben kann. In einer Sitzung des Vorstands des Groppenkomitees haben wir letzte Woche beschlossen, das Groppenlied bis auf weiteres nicht mehr aufzuführen und zu singen. Wir stehen mit den befreundeten Konstanzer Fasnächtlern, deren Mitglied Willi Hermann war, in engem Kontakt und warten ihren definitiven Entscheid über die Handhabung der Konstanzer Lieder ab. Sollten die Konstanzer Narren wider Erwarten beschliessen, auf das Aufführen und Singen ihrer Fasnachtslieder aus der Feder von Willi Hermann nicht zu verzichten, werden wir die Angelegenheit noch einmal überdenken.

In unserem Vorgespräch ließen Sie verlauten, die Ermatinger würden sich bei der Entscheidung, wie mit dem musikalischen Erbe Hermanns umgegangen werden soll, den Konstanzer Narrengesellschaften anschließen. Glauben Sie, dass das der richtige Weg ist? Wäre es nicht besser, Sie träfen für das Groppenlied von Hermann eine eigene Entscheidung? Ansonsten könnte ja der Eindruck entstehen, Sie stünden unter dem Einfluss der Konstanzer und hätten keine eigene Meinung.
Ich denke nicht, dass wir unter dem Einfluss der Konstanzer Narren stehen. Unsere Fasnacht basiert allerdings auf einer Legende in Verbindung mit dem Konstanzer Konzil von 1415, und wir sind mit den Konstanzer Fasnachtsgesellschaften Niederburg und Kamelia-Paradies eng befreundet. Ich glaube aber kaum, dass es an uns Schweizern liegt, mit einer endgültigen Entscheidung den Konstanzer Narren vorzugreifen. Wir Groppen haben keinerlei Verständnis für jede Art von Kriegsverbrechen. Ich denke, wir bringen uns in die Diskussion über die Fasnachtslieder aus der Feder von Willi Hermann in Konstanz sehr wohl ein. Die endgültige moralische Bewertung der Vergangenheit von Willi Hermann und dessen Liedgut liegt aber unserer Ansicht nach auf Seiten der Kostanzer, die viel besser als wir Schweizer die Empfindungen der Deutschen gegenüber solchen Greueltaten aus der Nazizeit und die daraus zu ziehenden Konsequenzen einschätzen können.

Tobias Engelsing, Leiter der Konstanzer Museen und auch über die Grenze hinaus bekannt in fasnächtlichen Kreisen, hat in einem Interview mit seemoz sinngemäß angeregt, Hermanns Liedgut auch wegen seiner NS-Vergangenheit ad acta zu legen und neue Fasnachtslieder zu kreieren. Das ist doch zumindest eine Überlegung wert und könnte dazu führen, dass der teilweise muffige und altbackene Charakter, der der traditionellen Fasnacht wohl zu Recht nachgesagt wird, zu einer Auffrischung führt. Was halten Sie von dieser Idee?
Der Meinung von Tobias Engelsing kann ich mich zum großen Teil anschliessen, zumal das traditionelle fasnächtliche Liedgut in der Groppenfasnacht von jeher nur eine sehr kleine Rolle gespielt hat und heute noch spielt. Nur ein Teil der Ermatinger Fasnächtler ist überhaupt in der Lage, den Text des Groppenlieds auswendig zu singen, wie das in der Konstanzer Fasnacht der Fall ist. Im Mittelpunkt unserer Fasnacht steht vielmehr der alle drei Jahre stattfindende große Groppenumzug mit farbenprächtigen traditionellen und satirischen Sujets, die bisher nie in den Verdacht von Nähe zu irgendwelchen rechtsextremen Ideologien geraten sind. Ob wir das Groppenlied überhaupt durch ein anderes Lied ersetzen werden, steht in den fasnächtlichen Sternen. Unseren Aufführungen auf der fasnächtlichen Bühne der Dorffasnacht in der Mehrzweckhalle haftet nur sehr wenig fasnächtlicher Staub an, da wir sehr wohl mit der Zeit gehen.

Das Gespräch führte H. Reile

Bild: Archiv Groppenfasnacht Ermatingen. Neben Rico Thurnheer ist der kürzlich verstorbene Konstanzer Fasnachtsstar Alfred Heizmann zu erkennen, dem viele rund um den Bodensee und darüber hinaus zu Recht nachtrauern. Er war wohl der bislang letzte auf Konstanzer Seite, der für Qualität stand. Die Aufnahme entstand 2015, als Heizmann einen viel bejubelten Gastauftritt in Ermatingen hatte. Überreicht wurde ihm damals der „goldene Schafseckel“, der höchste Orden, den die Ermatinger Groppenfasnachter zu vergeben haben.

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Infos zur Ermatinger Groppenfasnacht: www.groppenfasnacht.ch