Ernst-Bärtschi-Platz in Kreuzlingen eingeweiht

Konstanz hat bereits seit Jahren seinen Ernst-Bärtschi-Weg, und in Kreuzlingen wurde am letzten Wochenende ein nach dem Antifaschisten und Gestapo-Opfer benannter Platz eingeweiht.

Nachdem die Kreuzlinger Bevölkerung zum ersten Mal bei der Namensgebung eines Platzes mitreden konnte und dieser Namensvorschlag die beste Bewertung erhielt, wurde Ernst Bärtschi am Samstag endlich auch von der Kreuzlinger Stadtgesellschaft offiziell geehrt.

Der neue Platz an der aufwändig sanierten Konstanzerstrasse, kurz vor dem Zoll Emmishofer Tor, wird diesem mutigen Fluchthelfer und Antifaschisten gewidmet. Um 10 Uhr eröffnete und begrüsste der Kreuzlinger Stadtpräsident Thomas Niederberger die zur Ehrung und Feier anwesende vielköpfige Kreuzlinger Festgesellschaft, darunter auch Verwandte und Nachfahren der Familie Ernst Bärtschis.

Ein aktiver Antifaschist

Stadtrat Ernst Zülle berichtete anschliessend über die abgeschlossenen und noch anstehenden Entwicklungsarbeiten in diesem Stadtquartier um den ehemaligen Migros-Gebäudekomplex.

Benjamin Sluka, Grossneffe von Ernst Bärtschi, hielt vor der Enthüllung der Tafel mit dessen Namen und damit der Übergabe des Platzes an die Kreuzlinger Bevölkerung eine bewegende und eindrucksvolle Rede über Leben und Wirken seines Grossonkels, den er persönlich nie kennenlernen konnte, auf den er aber stolz sein kann, wie seine Eltern ihm bedeuteten, wenn sie mit dem Auto über die Rheinbrücke in Konstanz fuhren und sein Vater auf die seit 1986 nach Ernst Bärtschi benannte Strasse in Petershausen hinwies.

Ernst Bärtschi, 1903 in Tuttlingen geborener Sohn einer Schweizer Arbeiterfamilie, arbeitete als Dreher in der Aluminiumwalzerei Dr. Lauber, Neher & Cie in Emmishofen, Ortsteil von Kreuzlingen. Seit 1933 schmuggelte er, aktiver Nazigegner, politische Broschüren, zum Teil auch Filme mit seinen deutschen Freunden Karl Durst und Andreas Fleig nach Konstanz.

«Am Anfang habe ich nur Briefe hinübergebracht, später dann kofferweise illegales Material aus Deutschland in die Schweiz, für die Zweite (sozialistische) Internationale nach Paris, für Friedrich Adler …  habe ich Nachrichten übermittelt», so Ernst Bärtschi.

Bärtschi war ein integrer, mutiger und besonnener Mann. Er verhalf zahlreichen Menschen zur Flucht in die Schweiz, teils mit einem Klepper-Faltboot über den See, teils mit Tages-Passierscheinen über die Grenze.

Am 8. Mai 1938 stellte die Gestapo Ernst Bärtschi und seinem deutschen Genossen und Hausnachbarn Andreas Fleig in Konstanz eine Falle und verhaftete sie.

13 Jahre schwerer Kerker

Die Angeschuldigten hätten sich seit dem Sommer 1933 «für die hochverräterischen Bestrebungen der SPD eingesetzt und sind als Verbindungsleute zwischen geflüchteten früheren Gewerkschaftssekretären in der Schweiz tätig gewesen. Der Angeschuldigte Bärtschi hat die Verbindung nach Frankfurt a.M. aufrechterhalten» so die Anklageschrift der NS-Justiz.

Der nationalsozialistische «Volksgerichtshof» verurteilte Ernst Bärtschi am 12. Oktober 1938 zu 13 Jahren schwerem Kerker in Einzelhaft. Die staatliche Vertretung der Schweiz setzte sich damals nicht für Bärtschi ein – beim Prozess in Berlin wurde ihm kein Rechtsbeistand gestellt.

«Nur noch 48 Kilo schwer»

«Nach der Verurteilung wurde Bärtschi nach Ludwigsburg gebracht. Er musste Zwangsarbeit bei der Robert Bosch GmbH leisten. Nachts war er in Einzelhaft, lag fast immer in Ketten, und er erhielt je länger je weniger zu essen. Ab und zu durfte er einen zensierten Brief nach Hause senden: «Mir geht es gut, leider bin ich nur noch 48 Kilo schwer.» Über seine Gefangenschaft sprach er später kaum. «Er erzählte uns von Misshandlungen», erinnert sich seine Verwandte Olga Knöpfli-Eberhart. «Wechselte er im Gefängnis von Hochdeutsch auf Schweizerdeutsch, schlugen ihm seine Aufseher mit dem Schlüsselbund ins Gesicht.»

In den letzten Kriegstagen wurde Ernst Bärtschi nach Ulm verlegt. Auf dem Transport ins KZ-Dachau wurde er im Mai 1945 von den Amerikanern befreit … kehrte nach Aufenthalten in Frankreich wieder nach Kreuzlingen zurück, wo er die Arbeit in der Aluminiumfabrik wieder aufnahm. Ernst Bärtschi hatte während seiner Haft schwere gesundheitliche Schäden erlitten, doch grundsätzlich sprach er selten von dieser Zeit.

«1950 hob das Amtsgericht Tiergarten, Berlin, die Verurteilung Ernst Bärtschis auf. Für die sieben abgesessenen Jahre wurden ihm schliesslich 35 000 Mark Entschädigung zuerkannt – berechnet als Stundenlohn bei der Firma Bosch … Das kinderlose Ehepaar Bärtschi lebte später in einer Mietwohnung an der Emil-Bächler-Strasse in Kreuzlingen. Ernst Bärtschi starb am 7. Dezember 1983 – nur fünf Wochen nach dem Tod seiner Frau Gertrud Johanna Badertscher. Im selben Jahr noch war für den betagten und verarmten Bärtschi in Konstanz Geld gesammelt worden. 1986 wurde auf Initiative des Deutschen Gewerkschaftsbunds ein Weg in Konstanz nach ihm benannt.»

Am 8. September 2013 verlegte Gunter Demnig je einen «Stolperstein» an der Schäflerstrasse 7 und 11 in Kreuzlingen, wo die beiden couragierten Männer, Ernst Bärtschi und Andreas Fleig gewohnt haben, – die ersten Stolpersteine in der Schweiz.

Quellen
https://stolpersteine-konstanz.de/baertschi_ernst.html
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld-munchwilen/spaete-ehrung-fuer-fluchthelfer-ld.785596

Weitere Informationen zum Leben und Wirken von Ernst Bärtschi
https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/das-handwerk-des-antifaschistischen-widerstands/
https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/erstmals-stolpersteine-in-der-schweiz/

Text und Fotos: khr@seemoz