„Es hätte nicht besser laufen können“
Mit einem beeindruckenden Warnstreik hat die Belegschaft des großen Konstanzer Kinos gezeigt, dass sie Lohndumping nicht hinnehmen wird. „Cinestar – ein unsozialer Star am Himmel“, stand auf einem der vielen handgemalten Plakate, die die Streikposten am Samstag vor dem Lago in die Höhe hielten.
„Bitte denkt daran: Wenn euch jemand von der Geschäftsleitung anspricht – antwortet nicht, lasst euch nichts ins Gespräch verwickeln, sondern schickt die Person zu mir. Dafür bin ich da.“ Gleich zwei Mal verkündete Franz-Xaver Faißt am Samstagnachmittag seine Botschaft, und das aus gutem Grund: Schon oft hatten Firmen in Arbeitskonflikten streikende Lohnabhängige umzustimmen oder einzuschüchtern versucht. Aber diesmal war die Mahnung des eigens aus Lahr angereisten ver.di-Sekretärs nicht nötig: Die Führungsspitze der Filmpalast Konstanz GmbH ließ sich nicht blicken; sie hätte auch keine Chance gehabt. Denn vor den Kinotüren hatten sich fast vierzig Beschäftigte versammelt, weit über die Hälfte der Belegschaft; manche hatten sogar ihren freien Tag geopfert, andere ihren Urlaub unterbrochen.
Und sie waren sich alle einig: „Hier wird Wertschätzung klein geschrieben“, stand auf einem der Plakate, die sie in die Höhe hielten, „Kino mit Mindestlohnfeeling“ auf einem anderen. Pünktlich zu Streikbeginn um 12.30 Uhr war Faißt mit dem roten Gewerkschaftsauto vorgefahren und hatte eine Warnstreiktafel, rote ver.di-Würfel, Kisten mit Käsewecken, Getränken, Schokoriegel ausgepackt und Formulare auf den drei Stehtischen ausgelegt. In einer Liste trug sich ein, wer an der Aktion teilnahm und als Gewerkschaftsmitglied Anspruch auf Streikgeld (etwa in Höhe des entfallenen Nettolohns) hatte, auf einer anderen registrierten sich jene, die der Gewerkschaft beitreten wollten – und das waren am Samstag rund zwanzig Kolleg:innen.
5 Cent über dem Mindestlohn
Sie alle haben genug von den miesen Löhnen, von der Hinhaltetaktik des Unternehmens, vom langen Hin und Her. Vor zweieinhalb Jahren hatte die Tarifkommission die Verhandlungen um ein halbwegs anständiges Entgelt mit der Firmenleitung aufgenommen. Doch dann kam Corona, das Cinestar wurde geschlossen, die Zukunft blieb lange ungewiss. Dann die Wiedereröffnung, die Klagen der Kinobetreiber über die hohen Kosten, und im Spätsommer dieses Jahres das bundesweite Verhandlungsergebnis der Gewerkschaft ver.di mit dem bundesweiten Cinestar-Verbund, das ein Einstiegsgehalt von 12,05 Euro vorsieht.
Immerhin 15 Prozent mehr als zuvor. Seit Anfang Oktober gilt jedoch ein Mindeststundenlohn von 12 Euro. Und damit will sich die Konstanzer Belegschaft (für die ein Haustarif gilt) nicht begnügen. Also kündigte sie den Tarifvertrag und vereinbarte höhere Forderungen: einen Lohn von 13 Euro für Einsteiger:innen, der mit jeden Jahr der Betriebszugehörigkeit ansteigt. Also beispielsweise 13,50 Euro ab dem zweiten Jahr, 14 Euro ab dem fünften, 15 Euro ab dem fünfzehnten. Plus höhere Zulagen für verantwortungsvollere Tätigkeiten.
Das ist immer noch sehr wenig (trotz der Einmalzahlung in Höhe von 500 Euro, die das Unternehmen für eine zweite Verhandlungsrunde in Aussicht gestellt hatte, aber nicht für alle gleichermaßen). Aber mehr als anderswo. Warum also ein Arbeitskampf hier? „Die Belegschaft ist überdurchschnittlich gut organisiert“, erläutert Faißt, „in Konstanz gibt es viele Gewerkschaftsmitglieder und eine hervorragend vernetzte Beelgschaft“. Außerdem gehöre der Konstanzer Filmpalast zu einem der profitabelsten Kinos bundesweit – „und dann sind hier die Lebenshaltungskosten höher als in den meisten anderen Städten“.
Die nächste Aktion ist schon geplant
Und so standen sie am Samstagnachmittag vor dem Lago, die meisten einigermaßen eingepackt, zeigten ihre Plakate und riefen zwischendurch auch Parolen. Und die Passant:innen? Die meisten strömten wortlos vorbei (es pfiff ein bissiger Wind um die Ecken); aber einige mussten ihren Kindern erklären, was ein Warnstreik ist; andere signalisierten Zustimmung und nur wenige drückten sich an den Streikposten vorbei – die Türen zum Kino durften ja nicht blockiert werden.
Vor dem Kinoeingang im dritten Stock war jedenfalls wenig los: Viele Counter waren geschlossen, ein Schild warnte die Besucher:innen („aufgrund des Warnstreiks bleiben heute alle Popcorntheken geschlossen“): es gab keinen Kaffee, keine Limo, keine Snacks. Dabei macht deren Verkauf oft über die Hälfte der Gesamteinnahmen aus. Dem Vernehmen nach sollen manche Kund:innen sogar ihre Vorabbuchungen storniert haben.
Unten wiederum kroch allmählich die Kälte in alle Knochen. Aber selbst nach viereinhalb Stunden waren noch immer über die Hälfte der Streikenden da. Um 17 Uhr löste sich die Versammlung auf – es würde ja ohnehin keine:r von ihnen vor dem Streikende um 2 Uhr morgens an die Arbeit gehen. „Für viele der zumeist jungen Aktiven war dies wahrscheinlich der erste Arbeitskampf in ihrem Leben“, sagt Faißt, „und es hätte nicht besser laufen können“. Danach packte er seine Sachen wieder ein. Für ihn selber war es vielleicht sein letzter Streik; der altgediente Gewerkschafter geht zum Jahresende in Rente. Aber vielleicht auch nicht. Wenn sich die Unternehmensseite nicht bewegt, kommt er wieder. Womöglich noch vor Weihnachten, wenn das Kinogeschäft so richtig boomt.
Text und Fotos: Pit Wuhrer
Über die Fortsetzung des Kampf siehe „Wir lassen nicht locker“.