„Es trifft einzelne, gemeint sind wir alle“

Ein juristisches Nachspiel hatte jetzt eine AfD-Veranstaltung in Arlen. Im September 2018 prügelten dort bei einem Vortrag von Wolfgang Gedeon rechte Partei­gänger auf AfD-Gegnerin­nen ein. Polizei­beamte boten nicht etwa dem Mob Einhalt, sondern drängten Anti­fa­schistIn­nen aus dem Saal. Vor Gericht standen indes nicht rechte Schläger oder beteiligte Beamte; ange­klagt war eine junge Frau, die damals mit einem Transparent auf Gedeons anti­semi­ti­sche Äußerungen aufmerksam machte. Polizisten hatten sie daraufhin im Würgegriff aus dem Saal geschleift. Ausgerechnet ihr wollte die Staatsanwaltschaft nun am 1. Juli vor dem Amtsgericht Konstanz wegen „tätlichen Angriffs auf Vollstreckungs­be­am­te“ den Prozess machen. Das ging allerdings in die Hose.

Unweit seines Wohnorts Rielasingen hatte der völkisch-nationalistische Rechtsausleger Gedeon am 17.9. im gemeindeeigenen Kulturzentrum Arlen die Gewaltexzesse eines rechten Pöbels in Chemnitz für Stimmungsmache gegen die „Lügenpresse“ und das „System der Altparteien“ nutzen wollen. Vor einem ihm mehrheitlich wohlgesonnenen Publikum spulte der Holocaustleugner zusammen mit zwei weiteren AfD-Landtagsabgeordneten zudem den sattsam bekannten rassistischen Ressentimentkatalog gegen MigrantInnen und Geflüchtete ab. Auf verbalen Protest reagierte seine Security, verstärkt von einem prügelbereiten Mob, im SA-Stil prompt aggressiv.

Die Polizei, zunächst kräftemäßig überfordert, unterließ es auch nach dem Eintreffen von Verstärkung, gegen die gewaltbereiten Volksgenossen einzuschreiten. Ihr Hauptanliegen war offenkundig, die Gedeon-Veranstaltung abzusichern, trotz tätlicher Angriffe auf protestierende BesucherInnen. Dass man nun mit einer solchen Anklage gegen den antifaschistischen Protest nachzutreten versuchte, rückt Polizei und Justiz vollends in ein trübes Licht. Wirklich überraschen kann das allerdings nicht, eingedenk jüngster Erkenntnisse über den rechten Geist, der in der Truppe waltet. Umso erfreulicher, dass sich im Verlauf der Verhandlung die Staatsanwältin zu einer gütlichen Einigung mit dem Rechtsvertreter der Angeklagten genötigt sah, weil ein als Zeuge geladener „Geschädigter“ erst gar nicht erschienen war. Der verhandelnde Richter Speitel stellte das Verfahren schließlich kurzerhand ein.

Dazu eine Erklärung des hiesigen „Offenen Antifaschistischen Treffens“, das zusammen mit knapp 20 Leuten die Verhandlung verfolgte.


„Nach einem Übergriff der Polizei auf eine junge Antifaschistin im Rahmen einer AfD-Veranstaltung des Holocaustleugners und Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon im September letzten Jahres kam es am 1. Juli zur juristischen Aufarbeitung.

Der deutschen Staatsräson folgend fand sich weder der gewaltbereite rechtsradikale Mob noch die tätlich gewordenen Polizeibeamt*innen auf der Anklagebank, sondern die protestierende Antifaschistin.

Der Vorwurf lautete tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, ein Straftatbestand, der, neu eingeführt im Zuge der G20-Vorbereitung und als Teil einer Diffamierungskampagne gegenüber linkem Protest, selbst von liberalen Jurist*innen aufs heftigste kritisiert wurde und wird.

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Nachdem zwei der drei in den Zeugenstand gerufenen Polizisten sich in massive Widersprüche verstrickten, tauchte der dritte gar nicht erst auf. Erst nach mehrmaligem Anruf bequemte er sich zum Gericht. Doch in der Zwischenzeit hatte die Staatsanwaltschaft ihr Problem mit dem fehlenden ‚Geschädigten‘ schon gelöst, indem sie eine Verfahrenseinstellung mit der Verteidigung aushandelte.

Die Einstellung verband das Gericht mit der Auflage, einen Geldbetrag in Höhe von 600 Euro zu zahlen, den die Angeklagte auf Anregung der Verteidigung zur einen Hälfte der Geflüchtetenarbeit des Café Mondial, zur anderen der Käthe-Klemm-Stiftung (eine Konstanzer Polizeistiftung, die sich dem Vernehmen nach sozial engagiert), zukommen lassen soll.

Auch wenn es erfreulich ist, dass es zu keiner Verurteilung der Antifaschistin kam, ist der Prozess ein perfides Beispiel für die Kriminalisierung linken Protests, für ein Tolerieren von Antisemitismus und Rassismus sowie die Legitimierung rechter und polizeilicher Gewalt.

Wir als OAT Konstanz begleiteten den Prozess solidarisch und freuten uns über die Unterstützung und das Engagement gegen Gedeon und Konsorten. Auch in Zukunft gilt: Antifaschismus ist kein Verbrechen und wir unterstützen alle Betroffenen staatlichen Repressionen, denn es trifft zwar immer nur Einzelne, aber gemeint sind wir alle als Antifaschist*innen.“


MM/jüg (Foto: OAT Konstanz)

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