Ex-Intendant Florian Riem ist teils reumütig
Dieser Auftritt war lange erwartet worden: Florian Riem, von April 2008 bis Dezember 2012 Intendant der Südwestdeutschen Philharmonie, war eine gefühlte Ewigkeit aus der Öffentlichkeit verschwunden. In der letzten Konstanzer Gemeinderatssitzung trat er erstmals öffentlich auf, um zu der Frage Stellung zu nehmen, wie der von ihm geführte Orchesterbetrieb 2011 und 2012 Defizite von ca. 660.000 Euro einfahren konnte
Dass dieser Auftritt höchst brisant würde, war klar, und der Publikumszuspruch dementsprechend groß: Nachdem im Laufe des Jahres 2012 die erheblichen und für die Öffentlichkeit gänzlich unerwarteten Fehlbeträge des Orchesters in den Saisons 2010/2011 sowie 2011/2012 bekannt wurden, hat die Stadt das Geschäftsgebaren des damaligen Intendanten Riem (s. Foto: Riem im GR am 18.7.) sowohl durch die von der Stadt unabhängige Gemeindeprüfungsanstalt Baden-Württemberg als auch durch das städtische Rechnungsprüfungsamt durchleuchten lassen.
Die Verwaltung unter Oberbürgermeister Uli Burchardt macht geltend, der Datenschutz verhindere eine Veröffentlichung dieser Prüfungsberichte – auch mit Rücksicht auf die demnächst beginnenden Prozesse mit Ex-Intendant Riem wolle er alles tun, um Schaden von der Stadt abzuwenden. Was wohl meint, dass er sich möglichst wenig in die Karten schauen lassen will, um die Prozessposition der Stadt nicht zu schwächen. Inwieweit der Datenschutz dabei nur vorgeschoben ist, mag beurteilen, wer kann. Uli Burchardt jedenfalls war zur Zeit dieser Vorgänge noch lange nicht im Amt und hat daher persönlich nichts weiter zu fürchten als den Vorwurf mangelnder Aufklärungsbereitschaft.
Die Öffentlichkeit bleibt weiter außen vor
Die Ergebnisse dieser von der Stadt in Auftrag gegebenen Prüfungen sind derart heikel, dass selbst die Gemeinderätinnen und -räte nur teilgeschwärzte Kopien der Berichte erhielten, was Gemeinderat Jürgen Wiedemann (UFG) erboste: Er zeigte dem Publikum aus der Entfernung zwei Seiten des Berichtes, auf denen tatsächlich mehr Schwärzungen als Text zu sehen waren; Wiedemann monierte, auf dieser Basis könne der Gemeinderat nicht arbeiten. Er vergaß allerdings zu erwähnen, dass eine ungeschwärzte Fassung des Berichtes im Rathaus für die Gemeinderätinnen und -räte auslag, aber wie eine Ratsfrau unter der Hand verlauten ließ, habe zumindest sie sich gescheut, diese Fassung einzusehen, weil die Ratsmitglieder nach ihren Angaben während der Lektüre von Rathausangestellten bewacht und vorher auf Kameras, Handys etc. durchsucht würden. Zumindest diese wackere Volksvertreterin empfand die Sicherheitsmaßnahmen als abschreckende Schikane.
Es stellt sich die Frage: Wie werden die Rathausangestellten selbst kontrolliert? Ist auch wirklich sichergestellt, dass außer den Gemeinderätinnen und -räten niemand ohne entsprechende Befugnis dieses ungeschwärzten Exemplar einsehen kann – etwa eine Reinigungskraft oder wer auch immer? Wer also bewacht rund um die Uhr den Zugang und wer kontrolliert die Kontrolleure? Dies ist keine Posse, sondern hat einen ernsten Hintergrund, denn Silvia Löhr, Justiziarin der Stadt, beklagte, dass ein unbekanntes Gemeinderatsmitglied einen Prüfbericht an die Presse weiter gegeben habe. Woher sie weiß, dass es ein Mitglied des Gemeinderates und keines der Verwaltung oder gar eine nächtlich tätige Reinigungskraft war, erwähnte sie nicht.
Trotz allen Datenschutzes ist durchgesickert, dass die Prüfer dem Ex-Intendanten Florian Riem die Hauptschuld am Schlamassel gegeben haben. Er hat – durchaus unter großem Beifall der Öffentlichkeit, der Verwaltung und auch des Orchesterausschusses – in den Jahren 2011 und 2012 versucht, die Konzerte der Südwestdeutsche Philharmonie durch die Verpflichtung international bekannter und entsprechend teurer Gaststars attraktiver zu machen. Doch seine Rechnung ging nicht auf, es kam vermutlich vor allem aufgrund der hohen Gagen für Solisten und Solistinnen sowie Gastdirigate zu massiven Defiziten. So weit die der Öffentlichkeit bekannten Auszüge aus den Prüfungsberichten.
Riem beweist Mut
Florian Riem also trat – sichtlich nervös – an das Rednerpult und hielt sich dort erstmal auch wacker fest, während Verwaltungsleiter Oberbürgermeister Uli Burchardt nochmals einen kurzen Überblick gab. Er verwies darauf, dass es nach den Berichten von Rechnungsprüfungsamt, Gemeindeprüfungsamt sowie städtischem Hauptamt unter der Intendanz Riems bei der Südwestdeutschen Philharmonie massive Mängel in der Organisation sowie in der ordnungsmäßigen Geschäftsführung gab. Uli Burchardt wies Riem, dem als Betroffenem besagte Prüfungsberichte seit kurzem vorliegen, auch darauf hin, dass er auf keinerlei Themen eingehen dürfe, die nicht in der Öffentlichkeit beraten werden dürfen.
Man muss betonen: Riem, der sich mit der Stadt Konstanz ab September vor dem Arbeitsgericht duellieren wird, trat komplett freiwillig an, er hätte nicht kommen müssen. Sein ehemaliger Vorgesetzter etwa, Bürgermeister Claus Boldt, zog es vor, nicht zu erscheinen, sondern sich vermutlich in Augsburg seinem mutmaßlich liebsten Hobby, der Maultaschenbräunung an der Juli-Sonne, zu widmen. Nicht nur, dass Riem überhaupt etwas sagte, sondern auch, dass er dies in öffentlicher Sitzung tat, war seine eigene Entscheidung, er hätte genauso gut schweigen oder in nichtöffentlicher Sitzung vor den Gemeinderat treten können. Riem hat aber nach Beratung mit seinem Anwalt von sich aus die Öffentlichkeit gesucht, um nach der Lektüre der ihn (aber wohl nicht nur ihn!) belastenden Prüfungsberichte seine Position öffentlich darzustellen.
Riem begann seinen Auftritt ziemlich wirr, als er forderte, die Aufzeichnung der öffentlichen Sitzung abzuschalten, ansonsten werde er gar nichts sagen. Man muss dazu wissen, dass alle öffentlichen Sitzungen mitgeschnitten werden, u.a. damit später ein stenographisches Protokoll der Sitzung verfertigt werden kann. Wer also in einer öffentlichen Sitzung auftritt, muss dies akzeptieren, und der ob Riems unerwarteter Forderung nach Nichtaufzeichnung verblüffte Gemeinderat lehnte es letztlich in zwei Abstimmungen ab, für Riem eine Ausnahme zu machen und die Tonaufzeichnung abzustellen. Das einhellige Diktum von Rat wie Verwaltung lautete: Riems Stellungnahme wird aufgezeichnet oder Riem geht eben wieder, ohne etwas zu sagen. Und Riem gab letztlich ohne Diskussion nach, was so skurril wirkte, als stehe er unter Psychopharmaka.
Es ist nicht klar, was Riem mit seiner Forderung nach Nichtaufzeichnung erreichen wollte, denn vor 40 Gemeinderätinnen und -räten sowie einem vielköpfigen Publikum und der Presse eine öffentliche Erklärung abzugeben, diese aber nicht aufzeichnen lassen zu wollen, ist abstrus. Riems Begründungsversuche, er sei von den Medien massiv vorverurteilt worden, können nicht überzeugen. Natürlich, Riem ist in Konstanz mehr oder weniger persona non grata, und es gibt genug Philharmonieanhänger, die an ihm am liebsten ein paar mittelalterliche Torturen ausprobieren wollen, aber weshalb er nicht will, dass seine eigene, für die Öffentlichkeit gedachte, mit seinem Anwalt abgestimmte und von ihm selbst vom Blatt abgelesene Darstellung der Ereignisse aufgezeichnet wird, erschließt sich einfach nicht. Riem will schließlich mit seinem Auftritt seine Sicht der Ereignisse verbreiten, und es wäre seiner Sache sicher dienlicher gewesen, wenn er hinterher noch freigebig Kopien seiner Rede an Zuhörer und Medien verteilt hätte, als einleitend die Nichtaufzeichnung zu fordern. Kurzum: Riem machte zu diesem Zeitpunkt – freiwillig oder unfreiwillig – den Eindruck eines leicht konfusen, depressiven, angeschlagenen und bedauernswerten Menschen, der sofort einknickt.
Riem als Intendant
Riem verwies erstaunlicherweise einleitend nicht auf seine erheblichen Verdienste in seinen ersten Amtsjahren 2008-2010, in denen er das Orchester wirtschaftlich wie künstlerisch erfolgreich führte, sondern ging direkt auf die Krisenjahre 2011 und 2012 mit dem Defizit von zusammen 660.000 Euro ein, für das er sich von Verwaltung und Medien vorverurteilt sieht. Es gab nach seiner Meinung nicht nur einen, sondern viele betriebliche, künstlerische und wirtschaftliche Faktoren dafür, dass das Orchester plötzlich in eine finanzielle Schieflage geriet. Riem bedauerte ausdrücklich und erkannte selbstkritisch an, dass seine Pläne zu ehrgeizig gewesen seien, dass er zu viele ambitionierte Projekte durchgeführt habe, die die erforderlichen Einnahmen nicht erbracht hätten. Er räumte auch ein, dass die Buchführung unter seiner Ägide mangelhaft gewesen sei und er nicht rechtzeitig gegengesteuert habe.
Ein wichtiger Vorwurf der Prüfungsberichte an Riems Adresse lautet bekanntlich, dass er keine Quartalsberichte für seinen Vorgesetzten Claus Boldt, die Kämmerei, den Orchesterausschuss usw. verfasst habe. Florian Riem wies darauf hin, dass diese Berichte schon immer von der Buchhaltung der Südwestdeutschen Philharmonie und nicht vom Intendanten verfasst wurden und ab 2011 wegen einer langfristigen Erkrankung der Buchhalterin gar nicht erstellt werden konnten.
Florian Riem durfte, und das ist unstrittig, während seiner Zeit als Intendant in Konstanz mit schriftlicher Billigung durch seinen Dienstvorgesetzten Claus Boldt seine Nebentätigkeit als Konzertagent fortsetzen. Riem stellte klar, dass er als Intendant anders als im GPA-Bericht behauptet, keine Künstler seiner eigenen Agentur an die Südwestdeutsche Philharmonie vermittelt habe. Nach Riems Aussage hat also niemals der Intendant Riem dem Agenten Riem einen Künstler abgekauft und dabei der Agent Riem vom Intendanten Riem oder einem Künstler die dafür üblichen Prozente kassiert.
Laut Riem behauptet der Bericht der GPA, er habe als einer der Geschäftsführer des Bodenseefestivals Prozente für alle eingeworbenen Sponsorengelder erhalten. Er jedenfalls habe nichts bekommen. Riem sagte allerdings auch nichts darüber, wie erfolgreich er Sponsorengelder herangeschafft habe. Außerdem sei er eh nur widerwillig auf Drängen des Landes Baden-Württemberg Mitgeschäftsführer der Bodenseefestival GmbH geworden.
Riem wehrte sich auch gegen den Vorwurf der GPA, er habe dem Chefdirigenten des Orchesters Vassilis Christopoulos Dirigate vorenthalten und stattdessen teure Gastdirigenten angeheuert. Zum Verständnis, aber genau ist das angesichts der Geheimhaltung nicht zu eruieren: Als Chefdirigent hat sich Christopoulos gegen ein erkleckliches Festgehalt verpflichtet, mit dem Orchester eine bestimmte Zahl von Konzerten pro Jahr einzustudieren und zu dirigieren, beispielsweise 36. Für weitere Konzerte werden dann andere Dirigenten jeweils für einzelne Produktionen und Konzerte angeheuert und bezahlt. Nun soll Riem, der ausdrücklich erklärte, dass ihn als Intendanten und den Chefdirigenten Christopoulos (durchaus branchenüblich) einzig und allein die gegenseitige Abneigung verbunden habe, dem Dirigenten gegen dessen Protest laut Prüfungsbericht aber viel weniger Produktionen zugeteilt haben, als dieser für sein Geld hätte leisten müssen. Dafür habe Riem dann andere Dirigenten für viel Geld angeheuert. Riem wies das erbost zurück und attestierte dem Prüfer der GPA komplette Ahnungslosigkeit in diesem Gewerbe. Laut Riem hat sich vielmehr Christopoulos um die vertraglich vereinbarten Dienste gedrückt und vor allem Schüler- und Stadtgartenkonzerte abgelehnt. Den Dirigenten zur Botmäßigkeit zu zwingen, das sei aber nicht seine, Riems, Sache gewesen, sondern die des gemeinsamen Vorgesetzten, eben jenes Bürgermeisters Claus Boldt.
Riem beklagte sich unter anderem auch darüber, dass die GPA für ihren Prüfbericht alle Beteiligten, nur ihn selbst nicht befragt habe. Der GPA-Bericht sei daher extrem subjektiv und von jemandem verfasst, der von den Aufgaben eines Intendanten oder gar künstlerischen Belangen keine Ahnung habe. Außerdem gab Riem noch zu, für das Orchester bestimmte Gelder notgedrungen an einen von Wolfgang Müller-Fehrenbach (CDU) geleiteten Verein weitergegeben zu haben, um damit Defizite aus dem Wahlkampf pro KKH zu decken. Was natürlich ein massiver Skandal wäre (seemoz wird berichten).
Danach faltete Florian Riem sein Manuskript zusammen, übergab dem OB ein Papier, das seinen Angaben nach seine schriftliche Antwort auf die Prüfungsberichte enthält, und entschwand gemeinsam mit seinem Anwalt. Oberbürgermeister Uli Burchardt kommentierte gelassen „und weg ist er“.
Was wollte Riem eigentlich sagen?
Riems Auftritt hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck und dürfte ihm kaum etwas genützt (aber auch nicht sonderlich geschadet) haben. Zur Aufklärung trug Riem damit kaum bei, denn er gab nur das Offensichtliche zu, dass er nämlich in den letzten beiden Jahren seiner Amtszeit in gutem Glauben an die Kunst die Bodenhaftung verloren und über die Verhältnisse des Orchesters gewirtschaftet habe. Riem hat übrigens nicht versucht, diese Defizite zu verschleiern, er hat ab einem gewissen Zeitpunkt einfach überhaupt jegliche Buchhaltung und Berichterstattung eingestellt, wofür er aber die Erkrankung einer Buchhalterin verantwortlich macht.
Vermutlich sollte Riems Auftritt dem ratlosen Publikum signalisieren, dass er, Riem, sich zwar zu einer Teilschuld bekenne, aber in wesentlichen Punkten unschuldig und zudem aufgrund der bisherigen öffentlichen Berichterstattung, die ihn als Alleinschuldigen darstelle, zumindest in Europa keinen Job mehr finden werde und in seiner bürgerlichen Existenz ruiniert sei. Riem wollte also nicht kämpfen, sondern jammern. Wenn Riem um seine Reputation ringen und zumindest noch andere wie Claus Boldt mit verantwortlich machen wollte, war er mit diesem Auftritt nicht gut beraten. Wenn Riem also aus dem Rampenlicht kommen will, muss er endlich sagen, was wirklich Sache war – und wer noch Mist gebaut hat.
Wer hat noch versagt?
Nach Riems Abgang konstatierte Oberbürgermeister Uli Burchardt, die Stadt sehe das anders als Riem, und die Prüfungsberichte sprächen eine gänzlich andere Sprache und wiesen Riem die Hauptschuld zu. Roland Wallisch (FGL) erinnerte daran, dass man mit den verlustig gegangenen 700.000 Euro immerhin eine Krankenschwester 20 Jahre lang hätte bezahlen können (ein Argument mehr also, das Salär für Krankenhausbedienstete endlich deutlich anzuheben!). Er erklärte sich und die anderen Mitglieder des Orchesterausschusses für wirtschaftlich ungebildete, eher durch ihren Kunstsinn hoch motivierte Laien, die das Riemsche Gaukelwerk schlichtweg nicht hätten durchblicken können – und sieht sein Vertrauen durch Riem missbraucht.
Auch Roger Tscheulin (CDU) schlug in diese Kerbe, schonte aber auch den ehemaligen Oberbürgermeister Horst Frank nicht. Tscheulin verwies darauf, dass Prüfer bereits 2002 und 2008 organisatorische Veränderungen in der Verwaltung der Südwestdeutschen Philharmonie angefordert hätten, ohne dass von Seiten der Stadt etwas passiert sei. Jürgen Leipold (SPD) fasste in einer seiner letzten großen Reden den Schlamassel gewohnt luzide zusammen: Er sieht Riem als Hauptverantwortlichen für die Aufstellung und Einhaltung des Wirtschaftsplanes. Riem habe dem Orchesterausschuss immer wieder exakte Zahlen geliefert, die sich dann als falsch herausgestellt hätten. Aber Leipold ist weitblickend genug, auch Riems damaligen Vorgesetzten Claus Boldt in die Pflicht zu nehmen und auf die Machenschaften des Wolfgang Müller-Fehrenbach in der KKH-Angelegenheit zu verweisen. Auch dass niemanden in der Verwaltung aufgefallen sei, dass die Südwestdeutsche Philharmonie ihre Konten von Jahr zu Jahr immer stärker überzog, kritisierte er.
Ähnlich Holger Reile (Linke Liste): Er lehnte eine Alleinverantwortung Riems ab. Alle Einzelpersonen und Institutionen seien ihren Aufgaben nicht nachgekommen: Riem, Boldt, Frank, Kämmerei, Orchesterausschuss und andere. Damit habe Oberbürgermeister Uli Burchardt ein wenig beneidenswertes Erbe übernehmen müssen, aber da müsse der jetzt durch. Reile stellte nach dieser Minderleistung die Legitimation seiner Kollegen und Kolleginnen im Orchesterausschuss in Frage. Riem wurde laut den Prüfberichten nicht ausreichend kontrolliert, und die Prüfer konstatieren, dass Riems Vorgesetzter, Bürgermeister Claus Boldt, die ausstehenden Berichte über die Finanzlage des Orchesters nicht bei Riem einforderte und auch sonst Riem in allen Belangen gewähren ließ. Hier hat also ein hochbezahlter Bürgermeister schlichtweg seinen Job nicht gemacht und lange Zeit ganz intensiv weg geschaut.
Nicht anders als der mächtige Orchesterausschuss des Gemeinderates also, der, wie sich herausschälte, bereits seit Gründung des Orchesters als Eigenbetrieb 1996 [!] die eigentlich vorgeschriebenen Quartalsberichte nicht erhalten hat, ohne dagegen jemals aufzumucken. Für Holger Reile ist es nicht vermittelbar, dass Claus Boldt, der ganz kräftig weg geschaut hat, ungeschoren davonkommen soll, während die Kleinen, die Steuerzahler, die Suppe auszulöffeln haben. Und auch die Kämmerei sieht Reile in der Pflicht: Sie hat nicht darauf reagiert, dass das Konto der Philharmonie von Jahr zu Jahr stärker ins Minus geriet. Er forderte, jetzt endlich mal ein Anforderungsprofil für das Orchester zu erstellen und im Interesse der dort Arbeitenden Überstunden abzubauen und mehr Personal einzustellen.
Eberhard Roth (UFG), auch dieses Mal eine echte Goldzunge, charakterisierte Holger Reile daraufhin höchst brillant als „Postmortalen Klugscheißer“, eine unter Medizinern scheint’s übliche Bezeichnung für Pathologen, die Leichen aufschneiden und hinterher alles besser wissen (vulgo eine Unterart der Leichenfledderer).
Lediglich Anselm Venedey (Freie Wähler) hat bereits vor geraumer Zeit eingeräumt, er habe als Mitglied des Orchesterausschusses seine Pflicht nicht getan, und sich freiwillig bereit erklärt, 1000 Euro an das Orchester zu zahlen. Manch andere Gemeinderätinnen und -räte sollten ihm dringend folgen und zumindest Freikarten für das Orchester zurückgeben und statt dessen ein Abo kaufen.
Wenn sie’s denn ernst meinen mit ihrer Zerknirschung.
Autor: O. Pugliese
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Die eigentliche Grundfrage wird einmal wieder nicht gestellt: Kann und will sich Konstanz eine Südwestdeutsche Philharmonie und ein Stadttheater halten? Teile davon sind unter dem Aspekt des Baus einer Konzerthalle behandelt worden, Teile kommen jetzt unter dem Aspekt der finanziellen Möglichkeiten und der offenbar nicht ausreichenden politischen Kontrolle voller Geheimniskrämerei auf die Tagesordnung. Künstler und Kontrolle, das ist immer ein heikler Widerspruch. Ich kann mich sehr wohl erinnern, als Klaus von Trotha Spielbankmittel für die kulturelle Doppelstrategie locker gemacht hat. Eine starke städtische Bühne und ein kleines musikalisches Ensemble dazu, das wurde schon vor Jahren als zukunftsträchtig angedacht. Die Frage war immer, was die Region wirklich braucht und was Konstanz finanziell stemmen kann und will. Das kulturelle Oberzentrum muss mit den ihm angeblich so wichtigen Dingen anders als derzeit praktiziert umgehen.