Fahrradstadt geht anders
Im Technischen und Umweltausschuss war dies ein unscheinbarer Tagesordnungspunkt, doch der führte zu einer angeregten Debatte: Die Rede ist vom geplanten Ausbau der Bruder-Klaus-Straße von der Schneckenburgstraße bis kurz hinter die Einmündung der Alemannenstraße. Die Gretchenfrage ganz einfach: Ist es der Verwaltung ernst mit dem Wandel zur fahrrad- und fußgängerfreundlichen Stadt – oder ist das alles Propaganda?
Konstanz schmückt sich gern mit einem schönen bunten Logo als angehendes Radlerparadies, aber folgen den hehren Ankündigungen und schicken Werbeaktionen auch tatsächlich Taten, die ein Umdenken und Umlenken in Richtung auf verbesserte Bedingungen für Radfahrer, Fußgänger und ÖPNV beweisen?
► Wenn man bedenkt, dass die kostspieligen Straßenarbeiten an der Reichenaustraße auf Höhe des Edeka die Bedingungen für Radfahrer und Fußgänger, die es stadteinwärts zieht, nicht nennenswert verbessert haben.
► Wenn man sich vor Augen hält, dass an der Kreuzung zwischen Reichenaustraße, Opel- und Rudolf-Diesel-Straße weiterhin Rechtsabbiegerpfeile für Autos angebracht sind, die es zur Regel (und nicht zur Ausnahme!) machen, dass Autofahrer das Ampelgrün für querende Radfahrer und Fußgänger ignorieren und voll draufhalten.
► Wenn man sich vergegenwärtigt, dass es bisher keine Regelung gibt, die dafür sorgt, dass BürgerInnen in ihren Wohnquartieren auf Wunsch mit ausreichend Fahrradbügeln versorgt werden.
Dann können einem Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Verwaltungsbemühungen kommen. Oder – mal sehr positiv ausgedrückt –, dann sieht man, dass noch ziemlich viel zu tun bleibt.
Nur Lippenbekenntnisse?
Ein wichtiges Indiz für die Ernsthaftigkeit der Verwaltung ist natürlich ihr Ansatz bei Neu- und Umbauten im Verkehrsraum. Berücksichtigt die Planung der Bruder-Klaus-Straße die Bedürfnisse von RadlerInnen, FußgängerInnen und ÖPNV überhaupt?
Stephan Kühnle (FGL) kritisierte die Pläne für den Ausbau der Bruder-Klaus-Straße ebenso scharf wie sachkundig. „Es ist eine politische Frage, wie wir den öffentlichen Raum nutzen wollen. Wollen wir wirklich mehr Raum für Radfahrer und Fußgänger schaffen? Diese Sitzungsvorlage sieht nicht danach aus, sie ist eine unverhohlene Kapitulation vor dem Autoverkehr.“
Und damit hat er recht. Die Vorlage sieht 101 öffentliche Stellplätze vor, in der Nähe des Alemannenplatzes sollen zwei davon als Stromtankstelle ausgerüstet werden, außerdem wird es einige neue Bäume geben, und Tempo 30 ist sowieso. Das war’s. Fahrradstadt Konstanz? O jemine!
Kühnle kritisierte an diesem Plan, dass überhaupt keine Freiräume vorgesehen seien, sondern jeder halbwegs freie Quadratmeter des (18 Meter breiten) Straßenraumes als Parkplatz verplant worden sei. Er bemängelte etwa das völlige Fehlen von Fahrradbügeln an der Südseite der Straße. Genauso schmerzt ihn, dass in der Planung keine Parkplätze fürs Carsharing vorgesehen sind, auf denen entsprechende Fahrzeuge öffentlichkeitswirksam abgestellt werden können. In der Alemannenstraße 20 gibt es zwar ein Carsharing-Angebot, das allerdings muss sich in einem Hinterhof verstecken. Außerdem vermisste Kühnle zusätzliche Plätze für das Lastenfahrradsystem TINK und das geplante Mietfahrradsystem, das die Stadtwerke demnächst aufziehen wollen.
Parkraumkonzept rechtsrheinisch
Kühnle regte an, ein Parkraumkonzept auch für das rechtsrheinische Konstanz zu entwickeln. Großen Wert legte er auch auf vernünftige Querungsmöglichkeiten für Fußgänger, insbesondere an der Einmündung zur Schneckenburgstraße, und die sind in der Planung bisher nicht zu erkennen. Nur in einem Nebensatz ließ er anklingen, dass bisher auch noch keine vernünftige Verkehrsführung für jene Radfahrer erkennbar ist, die vom Bodenseeradweg an der Bahn und von der Z-Brücke aus in die Innenstadt streben.
Wenn der Radweg an der Bahn nach der Fertigstellung der Z-Brücke im Oktober wiedereröffnet wird, ist in der Tat mit regem Radverkehr zwischen dem Bahnradweg und der Sankt-Gebhard-Straße zu rechnen, denn das ist die logische Verbindung zwischen Innenstadt, Fahrradbrücke und Bodenseeradweg. Menschen auf dieser Route, einer Hauptstraße des Konstanzer Radverkehrs, müssen die neuen Wohnbauten sowie die Bruder-Klaus-/Emmichstraße queren.
Es sieht zumindest für den Laien nicht so aus, als habe sich die Verwaltung bei ihren Planungen bisher allzu viele Gedanken über eine Lösung gemacht, die Fußgänger, spielende Kinder und den Radverkehr zwischen Bahnlinie und Sankt-Gebhard-Straße an den Brunnentischen konfliktfrei aneinander vorbeiführt. Von den aus RadfahrerInnensicht querenden Autos in der Bruder-Klaus-/Emmichstraße ganz zu schweigen. Die Querung der Markgrafenstraße, wo auch noch Busse hinzukommen, lassen wir mal ganz außen vor.
Tiefgaragenausfahrten als Risikozonen
Einen weiteren Punkt, der von täglicher Erfahrung als Radlerin zeugt, gab Gisela Kusche (FGL) zu bedenken. Laut Planung sollen die Autoparkplätze bis direkt an die Tiefgaragenausfahrten nördlich der Ausbauzone reichen. Das heißt, dass Autofahrer, die aus einer Tiefgarage kommend auf die Bruder-Klaus-Straße fahren wollen, wegen der direkt neben der Ausfahrt parkenden Wagen nur wenig sehen können. Ebenso ist es für Radfahrer von der Straße aus schwierig zu erkennen, dass da hinter einem parkenden Auto gleich ein Auto aus der Tiefgaragenausfahrt herausschießen wird. Kusche regte an, beiderseits der Tiefgaragenausfahrten einfach Fahrradbügel aufzustellen und so die gegenseitige Sichtbarkeit der Verkehrsteilnehmer zu verbessern.
Weiter so – geht nicht
Wolfgang Seez, der Leiter des Tiefbau- und Vermessungsamtes und für diese Vorlage federführend verantwortlich, zeigte sich von dieser fundierten Kritik ziemlich überrascht. Der Planungsbeschluss sei schließlich schon vor geraumer Zeit in der vorliegenden Form gefasst worden. Eigentlich habe man doch nichts anderes getan, als die bereits duchgeführten Baumaßnahmen von der Von-Emmich-Straße nach Westen zu verlängern, und beim Ausbau der Von-Emmich-Straße habe es keine Kritik geben. Außerdem entsprächen die 101 vorgesehenen Parkplätze in etwa der Zahl der bisher vorhandenen Parkplätze. Ihm sprang Alfred Reichle (SPD), Polizist und daher von Natur aus Verteidiger der Autofahrerinteressen, beherzt bei: Es gebe sehr viele Menschen dort mit Autos, und die bräuchten einfach genug Parkplätze.
Immerhin gab Seez sich am Ende einsichtig und versprach, sich um die Tiefgaragenausfahrten zu kümmern; auch ein paar Parkplätze fürs Carsharing hält er für machbar. Sein Argument vom Typus „Wir haben’s doch schon immer so gemacht“ ist aber einfach schwach: Wer wirklich eine fahrradfreundliche Stadt verwirklichen will, kann ganz sicher eins nicht tun: So weitermachen wie bisher. Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn zitiert gern den Kopenhagener Stadtplaner Jan Gehl: „Das Angebot schafft die Nachfrage.“ Stephan Kühnle hat recht: Es ist an der Zeit, dass sich diese Erkenntnis in den Planungen endlich flächendeckend niederschlägt.
O. Pugliese