Fast auf sich allein gestellt
In der aktuellen Nachrichtenflut rund um die Pandemie ist die schwierige Lage der Geflüchteten weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Aber die notwendigen Beschränkungen beeinflussen nicht nur zwischenmenschliche Begegnungen im öffentlichen Raum, sondern verschlechtern auch die psychische und soziale Situation insbesondere von Risikogruppen. Wie verkraften etwa Geflüchtete in ihren engen Unterkünften die Kontaktbeschränkungen? Eine Bestandsaufnahme aus Konstanz.
Flurina Potter von Adtendo, einer studentischen Organisation, die psychosoziale Beratung anbietet, beschreibt die Auswirkungen der Corona-Pandemie als große Belastung für fast alle Geflüchteten. Durch die Kontakt- und Betretungsbeschränkungen in den Unterkünften wird deren soziale und sprachliche Integration erheblich erschwert, und Personen, die oft schon vor Corona kein stabiles soziales Netzwerk hatten, drohen noch stärker zu vereinsamen. Zu den erheblichen sozialen Einschränkungen kommt jetzt auch noch die stetige Angst vor einer Infektion hinzu. Die hygienische Situation in den Unterkünften ist schwierig, denn die Geflüchteten müssen sich Toiletten, Duschen und Küchen mit einer großen Anzahl anderer Personen teilen, und die beengte Wohnsituation in den Unterkünften macht ein Leben auf Abstand so gut wie unmöglich. Überdies steigert die schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt die Zukunftsängste, denn in einer Zeit, in der viele Menschen in Kurzarbeit sind, ist es fast unmöglich, einen Job zu finden.
[the_ad id=“70230″]
Es ist also kein Wunder, dass die Hilfe der Organisation weiterhin stark in Anspruch genommen wird. Die Betreuung fand bisher immer mit zwei Studierenden und Dolmetschenden in den Räumen des Café Mondial statt, aber die Pandemie hat diese Präsenzberatung unmöglich gemacht. Die jetzt eingerichtete Online-Beratung macht nach Beobachtungen von Adtento durchaus einen Unterschied, denn Körpersprache und Mimik können nicht so exakt verstanden werden wie in einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Ein weiteres Problem zeigt sich jedoch schon vor dem eigentlichen Beratungstermin: Viele Geflüchtete haben ganz einfach keine technische Ausstattung für eine Online-Beratung, es fehlen insbesondere Laptops. Aber selbst wenn diese verfügbar sind, ist oftmals das WLAN in den Unterkünften so schlecht, dass die Gespräche immer wieder unterbrochen werden.
Eine weitere Einschränkung besteht in der Betreuung von Kindern. Statt der im Zwei-Wochen-Rhythmus stattfindenden Kinderbetreuungsgruppen bereiten die ehrenamtlich Engagierten jetzt als Alternative Bastelpakete zu bestimmten Themen vor und verteilen diese in den Unterkünften.
Psychische Situation verschlechtert sich
Der unabhängige Verein Refugee Law Clinic (RLC) berät in Fragen des Asyl- und Aufenthaltsrechts. Die angehenden JuristInnen, allesamt aus höheren Semestern, informieren außerdem über Anhörungen, Arbeitserlaubnisse sowie Ausbildungsmöglichkeiten und helfen bei der Familienzusammenführung.
Als großes Problem erweist sich in der derzeitigen Situation die mangelnde Erreichbarkeit der MandantInnen. Das ist problematisch, weil die Beratungsmöglichkeiten jetzt stark eingeschränkt sind, während die Verfahren normal weiterlaufen, so dass den Geflüchteten rechtliche Nachteile erwachsen können. Normalerweise fanden die Rechtsberatungen im Café Mondial statt, und zusätzlich konnten die Ehrenamtlichen vor der Pandemie in die Unterkünfte gehen, um die Geflüchteten direkt vor Ort anzusprechen und sich nach Problemen zu erkundigen. So kamen sie auch leicht an alle für eine sinnvolle Rechtsberatung erforderlichen Dokumente. RLC beklagt, dass die gewohnte Hilfe aufgrund der mangelnden technischen Ausstattung und des langsamen WLANs in den Unterkünften nur noch sehr eingeschränkt möglich ist. Zu wenig Laptops bedeutet auch, dass weniger Dokumente übermittelt werden können, und das, obwohl die Geflüchteten oftmals nicht über die nötigen Deutschkenntnisse verfügen, um die komplizierte Bürokratensprache zu verstehen, und daher auf Hilfe angewiesen sind. Wie sollen Geflüchtete Rechtsmittel einlegen, ohne vorher rechtlich beraten worden zu sein, fragt der RLC.
Einen positiven Aspekt gab es übrigens dennoch, denn seit dem Frühjahr galt ein Abschiebestopp in Länder wie Griechenland, Italien oder Gambia, der inzwischen allerdings wieder aufgehoben wurde.
Digitale Rechtsberatung
Save Me Konstanz e.V., eine Hilfsorganisation, die seit Jahren praktische Hilfe für Geflüchtete organisiert, macht ähnliche Erfahrungen. Seitdem die verschiedenen Gruppenangebote – von Deutschkursen bis hin zu gemeinsamen Ausflügen – nicht mehr stattfinden können, ist es schwer, Geflüchtete mit Informationen zu erreichen, beklagt die Vorsitzende Marion Mallmann-Biehler. Es müsse unbedingt gewährleistet werden, dass alle Betroffenen in den Gemeinschafts- und Anschlussunterkünften umfassend über die bestehenden Schutzmaßnahmen informiert würden. Die etwa 600 Geflüchteten im Raum Konstanz, die in privaten Anschlussunterkünften leben, seien so gut wie gar nicht mehr erreichbar, und aufgrund des Datenschutzes ist es für den Verein sehr schwierig, ihre Kontaktdaten in Erfahrung zu bringen. Wenn die Gruppentreffen wie zur Zeit ausfallen müssen, reißt der Kontakt schnell ab und der Verein kann keine Unterstützung mehr leisten. Auch hier ist die fehlende technische Ausstattung ein großes Hindernis für die Teilnahme etwa an Deutschkursen oder die Pflege sozialer Kontakte. Save Me Konstanz sieht die IntegrationsmanagerInnen der Kommunen in der Pflicht, Angebote für Geflüchtete in Corona-konformer Weise möglich zu machen.
Obwohl so gut wie alle Aktivitäten des Vereins derzeitig brach liegen, gibt es dennoch zwei positive Entwicklungen.
Erstens konnte zahlreiche weitere (insbesondere junge) Menschen für ein ehrenamtliches Engagement gewonnen werden, so dass es um die Person-zu-Person-Betreuung gar nicht mal so schlecht steht. Wichtig ist ein hoher Anteil junger Menschen, weil es sich auch bei vielen Geflüchteten um eher junge Menschen handelt, die zu etwa Gleichaltrigen schneller Zugang finden. Allerdings fehlen weiterhin Menschen, die sich hin und wieder mit Geflüchteten treffen, um deren Deutschkenntnisse zu verbessern und vor allem sozialen Kontakt herzustellen, denn eine Integration ist ohne soziale Einbindung und gegenseitiges Kennenlernen unmöglich.
Zweitens gibt es derzeit erfreulich viele Sachspenden. Allerdings ist durch Corona die Sachspendenausgabe nur beschränkt möglich, so dass die Lager gut gefüllt sind. Wichtig sind natürlich auch in Zukunft die Geldspenden, mit denen der Verein unter anderem Laptops für SchülerInnen sowie Azubis finanziert.
Geflüchtete brauchen Kontakt
Die Schutzsuchenden sind sozial noch isolierter als vor dem Ausbruch des Virus, und ihre mentalen Probleme und Zukunftssorgen wachsen. Um dieser Entwicklung zumindest etwas entgegenzuwirken, fordern die drei Organisationen von der kommunalen Verwaltung mehr Initiative und eine stärkere Zusammenarbeit. Die aktuellen Einschränkungen sind in ihren Augen zwar sinnvoll, weil sie Menschenleben retten, es müssten aber unbedingt auch digitale Lösungen für Unterstützung, Beratung und soziale Treffen bereitgestellt werden. Sie sind sich darin einig, dass man die Geflüchteten auch in dieser schwierigen Situation auf keinen Fall sich selbst und ihren Sorgen überlassen darf.
Tilman Wolf (Text und Bild)