FFF-Demo gegen Großhotel im Herzen-Streuhau-Areal

Die Radolfzeller Fridays for Future-Gruppe konnte am vergangenen Samstag – nach über einem Jahr pandemiebedingter Pause – endlich wieder auf der Straße gegen die rasant fortschreitende Erderhitzung protestieren. Bis zu 200 UnterstützerInnen waren der Einladung zum „Streik fürs Radolfzeller Stadtklima“ gefolgt, in dessen Fokus der Widerstand gegen die  geplante Hotelanlage im Areal Herzen-Streuhau am Bodenseeufer stand.

Seit über einem Jahr war es in der Öffentlichkeit ruhig geworden um das geplante „Feriendorf“ westlich von Bora-Sauna und Bora-Hotel im sogenannten „Herzen“-Areal im Streuhau. Zuletzt gab es im Dezember 2019 eine von der Radolfzeller Freien Grünen Liste (FGL) und den Umweltverbänden BUND und NABU initiierte Ortsbegehung des Geländes samt Diskussion mit dem Investor der Hotelanlage. Da mag bei der einen oder dem anderen vielleicht die Hoffnung gekeimt sein, dass angesichts des sich immer bedrohlicher abzeichnenden Klimakollapses und des nicht mehr zu übersehenden Artensterbens, aber auch der Pandemie wegen, welche die Tourismusbranche für viele Monate fast vollständig lahmlegte, sich dieses überdimensionierte Tourismus-Projekt von selbst erledigen könnte. Irrtum: Die Planungen gibt es weiterhin, noch ist zwar nichts entschieden, doch der Tag ihrer möglichen Genehmigung rückt näher. Es zeigte sich bei der Demo, dass der Widerstand dagegen – zwar spät, aber nun doch noch – an Fahrt aufnimmt. Waren es anfangs nur die beiden Umweltverbände und wenige ältere Radolfzeller Bürgerinnen und Bürger, die sich gegen die touristische Erschließung des Geländes und damit einhergehende Zerstörung eines wertvollen Auwäldchens aussprachen, so können diese jetzt auch auf die FFF-Jugendlichen und weitere UnterstützerInnen zählen, darunter das Radolfzeller Bürgerforum Bauen https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/stich-ins-herz-von-herzen-streuhau/, das derzeit einen eigenen Vorschlag für eine Standort-verträglichere Hotelanlage ausarbeitet.

Der OB-Wahlkampf wirft seine Schatten voraus

Hinzu kommt, dass Radolfzell am 17. Oktober den nächsten Oberbürgermeister wählen darf. Der amtierende Martin Staab hat bereits einen ersten Mitbewerber: Simon Gröger (36), bislang Wirtschaftsförderer in Tuttlingen und von den Fraktionen der CDU, FGL und SPD als Gegenkandidat aufgestellt, hat den Wahlkampf bereits eröffnet. „Frischer Wind für Radolfzell“ lautet sein Motto. Sein Versprechen „nachhaltig und natürlich“ – noch wohlfeile Worthülsen, die mit Inhalt gefüllt werden müssten – weckt Erwartungen. Sicher ist, dass die Zukunft des Streuhaus eines der heißen Themen im Radolfzeller Wahlkampf sein wird. (Offiziell ausgeschrieben werden soll die Stelle übrigens erst am 13. August und die Bewerbungsfrist wird am 20. September enden).

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Es war einmal … ein Umweltamt

Diesen bevorstehenden – wohl spannend werdenden – Wahlkampf nahm Thomas Giesinger, Vorstandsmitglied des BUND-Ortsverbands Radolfzell, als Anlass, zum Abschluss der Demo den ZuhörerInnen einen konzisen Rückblick und eine alarmierende Vorschau zu geben, auf das, was die Stadt bei einer Realisierung „dieses größten Umweltfrevels seit Jahrzehnten“ zu erwarten habe. Er erinnerte daran, dass Radolfzell sich lange mit einem großen und unabhängigen Umweltamt sogar bundesweit profiliert habe. Seit 2010 aber sei diese „fruchtbringende Institution“ von den Oberbürgermeistern Jörg Schmidt und Martin Staab „schrittweise und mit großer Entschlossenheit zerschlagen“ worden. Die Stadt habe sich somit eines wichtigen Instruments ihrer Handlungsfähigkeit in Sachen Natur- und Klimaschutz beraubt. Die Umweltverbände erwarten – so Giesinger – dass dieses Amt in seiner früheren Stärke wieder aufgebaut werde. Damit, dass die Anstrengungen der Stadtoberen angesichts der Geschwindigkeit von Klimawandel und Artenschutz nicht genügten und alles viel zu langsam gehe, stieß er bei den ZuhörerInnen ohnehin auf offene Ohren. Wichtig war ihm aber hinzuzufügen, dass „die Stadt im Sinne des Natur- und Klimaschutzes“ auch einiges bleiben lassen sollte.

Verrummelung statt idyllisches Nachtigallen-Paradies

Das geplante Tourismusprojekt im Herzen-Streuhau kritisierte er als „ein besonders trauriges Kapitel über den Umgang mit den Naturschätzen“. Um das Jahr 2005 hätte der damalige OB Schmidt die Idee „einer angeblich lukrativen Hotelanlage am Seeufer, mitten in Wald und Wiesen“ aufgebracht. Es habe weder eine gescheite Begründung des Bedarfs gegeben, noch habe eine qualifizierte Standortsuche entlang der kilometerlangen Uferlinie stattgefunden, sondern die Stadtoberen hätten sich für dieses Projekt einfach den „Nachtigallenwald“ und die teilweise unter Naturschutz stehenden Wiesen hinter der Bora-Sauna gekrallt und diese Flächen großzügig einem Investor zur Verfügung gestellt. Aus seiner Sicht müsse man kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass nur wenige Jahre nach einer möglichen Realisierung dieser Feriendorf-Anlage dort eine „Verrummelung“ stattfinden werde: Denn der Investor werde seinen Gästen bald „mehr“ bieten wollen – Wassersport in größerem Stil, auch die Idee eines Hallenbades im Herzen spuke noch in manchen Köpfen – und dann seien auch nebenliegende Landflächen und die Mooser Bucht betroffen.

Junkies im Gemeinderat?

Trotz neuer, schwieriger und zahlreicher werdender Auflagen hielten der amtierende Oberbürgermeister und die große Mehrheit der GemeinderätInnen an diesem „naturvernichtenden Projekt fest wie Drogensüchtige an ihrer Droge“, so Giesinger weiter. Doch er sieht zweifache Hoffnung: der wachsende Widerstand seitens der BürgerInnen zum einen und die vielen Probleme, die – nach wie vor ungelöst – den Wahnwitz des Vorhabens immer deutlicher machen, zum anderen. Dazu gehören u.a. die Themen Hochwasser und Abwasser, gefährliche und giftige Altlasten, die unter der Oberfläche schlummern, die Angrenzung an ein Gewerbegebiet, Geruchsbelästigung durch Industrieabwinde und eine vielbefahrene Straße (seemoz berichtete https://archiv.seemoz.de/lokal_regional/feriendorf-hotel-anlage-am-radolfzeller-seeufer-geldsegen-oder-naturfrevel/) … Kompliziert und teuer werde das Projekt und „es hat nichts mit Vernunft zu tun“.

Ein „Wind of Change“ frischt auf

Klare Worte mit Schmackes seitens des Umweltschützers. Noch vor zwei Jahren äußerte er sich auf Nachfrage von seemoz wenig zuversichtlich, dieses Projekt noch verhindern zu können. Die sachlichen und schwerwiegenden Argumente von NABU und BUND gegen den gewählten Standort sind nach wie vor dieselben. Allerdings wurde beiden zwischenzeitlich vorgeworfen, dass sie mit dem Deal des Flächentausches (der ursprünglich für die Bebauung vorgesehene östliche Teil nahe des FFH-Gebietes Radolfzeller Aach soll als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden, der westliche Teil dürfe dafür touristisch erschlossen werden) selbst Fakten geschaffen hätten und damit Teil des Problems geworden wären. In Anbetracht des zunehmenden Widerstands in der Stadt glimmt nun mehr Optimismus bei den Umweltverbänden. Für die KritikerInnen der Ferienanlage ist es höchste Zeit, weitere Unterstützerinnen zu mobilisieren. Ein „Wind of Change“ am Radolfzeller Seeufer scheint aufzufrischen …

Uta Preimesser (Text und Fotos)