FfF-Demos in Radolfzell und Singen

Auch in Radolfzell und Singen zeigten – zwei Tage vor den anstehenden Kommunal- und Europawahlen – Schülerinnen und Schüler nochmals, dass sie bei Klimaschutz und Umweltpolitik nicht nachgeben werden. Die Europawahl müsse zur Klimawahl werden, so auch der dringende Appell der jungen AktivistInnen in beiden Städten – viele davon zwar ErstwählerInnen bei der Kommunalwahl, aber noch nicht stimmberechtigt bei der Europawahl.

„Bestellt nicht jeden Furz bei Amazon“

Ein bunter Zug von etwa 350 DemonstrantInnen (SchülerInnen aller Alterstufen, Eltern, auch mit Kleinkindern, Großeltern oder einfach nur UnterstützerInnen) marschierte vom Marktplatz durch die Altstadt – mit einem „die-in“ vor dem Rathaus, um das Sterben unseres Planeten zu versinnbildlichen – zum Konzertsegel am See. Niklas Reutter, einer der Radolfzeller FfF-Organisatoren, sowie weitere MitstreiterInnen stellten nochmals die zentralen Forderungen der weltweiten Fridays-for-Future-Initiative vor und machten in eigenen Redebeiträgen auf die Dringlichkeit einer Klima- und Politikwende aufmerksam: „Wählt, damit nicht der Profit von heute, sondern das Leben von Morgen die Politik bestimmt“, war eines der Statements. Aber auch die Aufforderung an die MitschülerInnen, doch mal den eigenen Eltern ins Gewissen zu reden – zum Beispiel weniger Fleisch zu essen, auf unnötige Plastikverpackungen zu verzichten, ebenso auf unsinnige Dinge wie Einweggrills oder Einwegkameras und „nicht jeden Furz bei Amazon zu bestellen“. Drei eingeladene VertreterInnen des Gemeinderats (FGL, CDU und SPD) hielten wohlweislich keine wahlkämpferischen Sonntagsreden, sondern ermutigten die Jugendlichen an ihren Forderungen festzuhalten und mit ihrem Protest weiterzumachen. Auch die Radolfzeller FfF-Aktiven fordern die Klimanotstands-Erklärung für ihre Stadt. Darüber wird aber erst der neue Gemeinderat entscheiden, doch sind noch im Juli Gespräche mit den SchülerInnen geplant.

„Bedient euch – wie Kant schon sagte – eures eigenen Verstandes“

Freude auch bei den Singener FfF-OrganisatorInnen: Deutlich mehr TeilnehmerInnen als bei den beiden letzten Klimastreiks versammelten sich um 13.30 Uhr – also wiederum nach Schulschluss – bei Karstadt. Und zum ersten Mal trauten sich sogar mehrere „Längst-nicht-mehr-Jugendliche“ mit zu protestieren. Für wie wegweisend auch die Singener Jugendlichen die Wahlen halten, wurde aus ihren Redebeiträgen mehr als deutlich: „Bedient euch, wie Kant schon sagte, eures eigenen Verstandes. Geht wählen und macht diese Wahl damit zu einer Wahl für den Klimaschutz“ – so der Appell von Abiturientin Agnes, die die unsäglichen „fünf großen Stromlügen der Energiewende“ des AfD-Prospektes zur Europawahl bloßstellte.

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Singens „Klimaresolutiönchen“

Am vergangenen Dienstag stellte die Fraktion der Grünen den Antrag auf den Beschluss der Ausrufung des Klimanotstandes. Ob diese Idee gut durchdacht war, darf bezweifelt werden, da eigentlich klar sein musste, dass es dafür in diesem Gremium keine Mehrheit geben würde. Hatte doch schon Oberbürgermeister Häusler im Brustton der Überzeugung verkündet, dass Singen in Sachen Klimapolitik längst ohnehin alles besser mache als Konstanz und der dort ausgerufene Klimanotstand nicht mehr sei als eine – wenngleich gelungene – PR-Kampagne. Ob nun beim Seenachtfest Bioraketen abgeschossen werden, soll Häusler seinen Konstanzer Amtskollegen gefragt haben. Und – wen wundert’s – in Singen gibt es keinen Klimanotstand. Als Kompromiss – denn die neoliberalen Fraktionen wagten es kurz vor der Wahl dann doch nicht, das Thema einfach ganz vom Tisch zu wischen – wurde nach teils bizarrer Diskussion einstimmig ein „windelweiches Resolutiönchen“ verabschiedet, in dem Sinne, dass sich die Stadt verpflichte, dass bei allen zukünftigen und relevanten Entscheidungen etwaige Auswirkungen auf das Klima mit einbezogen werden müssen … „zukünftig“ – aber wer entscheidet, wann die Zukunft beginnt und was „relevant“ ist?

Wie diese Haltung der Stadt und diese Debatte im Gemeinderat bei jungen Menschen ankommt, schilderte Daniel Stoll in seinem sehr empathischen Redebeitrag, den wir ungekürzt leicht redigiert wiedergeben:

„Sehr geehrtes Publikum,
wie ihr sicher alle wisst, stehen am Sonntag, dem 26.05., sowohl die Kommunal- als auch die Europawahlen an. Da viele von uns an den Europawahlen nicht teilnehmen können, bin ich froh, dass so viele erschienen sind, um auch hier in Singen zu zeigen, dass wir für die Zukunft unseres Zuhauses engagiert einstehen. Zu lange waren die Jugendlichen für die Politik eine Randgruppe, leicht beeinflussbar und für das Weltgeschehen irrelevant. Diesem Irrglauben stehen wir zu Hunderttausenden auf der ganzen Welt entgegen, und jeder der heute hier ist, trägt zum Schutz unseres einzigartigen Planeten bei.

Im Kontext des Klimaschutzes wird von der Erde, besonders im Lager der Christdemokraten, oft von der Schöpfung Gottes gesprochen. Als Christ stimme ich dieser Einschätzung zu. Dennoch scheiden sich die Wege zwischen meinen Vorstellungen zum Klimaschutz und denen der Union. Wo viele von uns diese Lobpreisung der Erde als Zeichen zum Handeln verstehen würden, dient sie eigentlich nur als leere Phrase, denn die Worte stellen hier ein komplettes Negativ zu den Taten dar. Wieder und wieder verfehlt die Bundesregierung selbstgesteckte Ziele, und mit jedem Jahr und jeder neuen Eilmeldung und jeder Demonstration geht die Politik immer mehr auf Konfrontationskurs.

Dies fängt auf kommunaler Ebene an und scheint nirgendwo aufzuhören. Letzten Dienstag besuchten manche von uns die Sitzung des Gemeinderats, wo über die Klimaresolution, aber noch wichtiger über das Thema Klimanotstand rege diskutiert wurde. Es war beeindruckend zu sehen, wie die sonst so lakonischen Politiker von allen Seiten auf die Idee einfeuerten. Die Gründe für diesen Wandel in der Natur des gemeinen Politikers wurden schnell genannt, Singen tue schon genug, der Notstand sei nichts als Pathos, er würde Hysterie hervorrufen. Die Konstanzer meinen es doch gar nicht ernst, es werden ja noch immer Raketen und Böller am Seenachtfest abgefeuert. Klar, Schwerindustrie muss nicht reguliert werden, wenn man auch Familien die Freude am Seenachtfest nehmen kann – selbes Ergebnis!

Windräder seien unvertretbar, es werden doch seltene Metalle verwendet, die oftmals unter unmenschlichen Bedingungen in China abgebaut werden. Dass China praktisch ein Marktmonopol hat, weil sich die deutsche Regierung weigert, die heimischen Vorkommen zu fördern und zu subventionieren, wie es bei der Kohleindustrie geschieht, ist ja leicht zu vergessen. Das würde ja bedeuten, dass man seine Arbeiter gescheit bezahlen müsste. Ein Unding!

Es bedrückt mich, dass wir auf jeder politischen Ebene unser Vertrauen in alte Gesichter setzen. Dass am Willen des Bürgers komplett vorbeiregiert wird, das ist doch schnell vergessen, wenn das neue Einkaufszentrum erbaut wird.

Wenn wir schon bei Kommunalpolitik sind, ich habe letztens einen aufschlussreichen Artikel im Südkurier gelesen, der manchen von euch sicher bekannt vorkommt. Der Titel war ‚Konstanz redet und Singen macht’s‘. Es ist mir hiermit eine Freude, euch nun einen kleinen Ausschnitt zu präsentieren: ‚Die Kernziffern beim Wettbewerb um den European Energy Award beispielsweise verdeutlichen, dass die Industriestadt Singen mit 72 Prozent der erfüllten Vorgaben gegenüber der Verwaltungs- und Universitätsstadt Konstanz (58 Prozent) um Längen voraus ist.‘ – Das Argument ist wahrlich unschlagbar: Singen schlägt sich gut, wieso unnötig Panik schüren? Das leuchtet ein, der Klimawandel macht sicher einen großen Bogen um Singen, sobald er zu hören bekommt, dass wir 72 Prozent im European Energy Award haben. Nicht, dass sich sonst jemand unter uns damit rühmen würde, dass man 72 Prozent der geforderten Arbeit macht.

Das Schockierendste ist jedoch, dass der Klimawandel als eine zukünftige Bedrohung betrachtet wird. Die Folgen des Klimawandels sind in vielen Ländern aber schon gewaltig zu spüren. Dürre- und Flut-gefährdete Gebiete haben immer wieder mit Naturkatastrophen biblischen Ausmaßes zu kämpfen. Ernten fallen aus, Nahrungspreise steigen ins Unermessliche, Krankheiten plagen das sowieso überforderte Gesundheitssystem. Wir leben mit unserer Politik auf dem Rücken anderer Menschen, die für unseren maßlosen Konsum leiden und sterben müssen. Jede Verschiebung einer Abstimmung, jede abgelehnte Forderung der Klimaschützer, jeder Rückzieher verschlimmert die Situation für Menschen, die schon so ein schweres Kreuz zu tragen haben. Bei all dem Leid darf man sich fragen: Sollten Länder wie Uganda oder die Philippinen den Klimanotstand ausrufen – oder ist das nur leere Panikmache? Sag der trauernden Mutter, dass zwar ihr Kind verhungert sei, aber keine Sorge, Singen am Hohentwiel stellt sich besser an als Konstanz.

Als Bürger dieses Landes fühlt man sich bei dieser Welle an Ungerechtigkeit überfordert. Was soll man tun? Die Antwort: Wählt, protestiert, diskutiert! Wählt nicht nur eine Partei, weil der Papa es auch macht, bemächtigt euch eurer Stimme! Die Früchte unseres Handels werden unserer Nachfahren Erbe sein, und ich bin überzeugt, dass wir gemeinsam einen Stein ins Rollen bringen können, den sogar unser Oberbürgermeister nicht kleinreden kann. Diesen Sonntag liegt es in eurer Hand, ob ihr all denen auf die Schulter klopft, die unsere Welt Schritt für Schritt in den Abgrund stürzen, oder ob ihr euch ihnen in den Weg stellt und sagt ‚Stopp!‘ – Wir haben lange genug tatenlos zugesehen, denn die Politik redet, und die Bürger machen’s!“

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So couragiert und stichhaltig begründet haben BürgerInnen dieser Stadt bislang selten ihre gewählte Vertretung mit den Folgen ihres Handelns bzw. ihrer Untätigkeit konfrontiert. Allerdings war außer Eberhard Röhm (Grüne) keiner vor Ort … „Auch Dinos meinten, sie hätten noch Zeit“, war auf einem der Plakate zu lesen. Ob der eine oder andere Dino im neuen Gemeinderat vielleicht nicht mehr vertreten sein wird, wissen wir ja bald. Und falls doch, der Protest der Straße wird wachsen – auch in Singen!

Uta Preimesser/Dieter Heise (Text und Fotos)