Flächendeckend Tempo 30: Bleifuß abhacken
Der Schritt ist längst überfällig: Warum sollen Kommunen nicht die Gelegenheit erhalten, auf ihrem Gebiet flächendeckend Tempo 30 einzuführen? Das würde Lärm und Abgase reduzieren, Menschenleben (speziell jenes von FußgängerInnen und RadfahrerInnen) schonen und Städte und Gemeinden rundum lebenswerter machen. Außerdem würde diese Regelung, konsequent durchgesetzt, auch den innerstädtischen „Freie-Fahrt-für-freie-Bürger“-Rambo mit dem Killer-Bleifuß in den Wahnsinn treiben. Nur Vorteile also.
Die Idee, in einer Stadt flächendeckend Tempo 30 einzuführen, wurde zuerst in Freiburg virulent. Der dortige Oberbürgermeister Martin Horn schrieb jüngst einen weithin beachteten Brief an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer: „Von dem Modellversuch würden wir alle profitieren. Autofahrer hätten Klarheit und der Verkehr würde besser fließen. Fahrradfahrer und Fußgänger wären besser integriert und verkehrstechnisch geschützt. Und es wäre ein wichtiger Beitrag für eine nachhaltige Verkehrswende, für die Sicherheit und die Lebensqualität.“[1]
Kaum etwas liegt näher als dieses. Also unterstützen auch in Konstanz einige Fraktionen diesen Vorschlag und haben Oberbürgermeister Uli Burchardt einen Brief geschrieben.
Brief an Konstanzer OB
Hier das Schreiben der Konstanzer in vollem Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
der Oberbürgermeister der Stadt Freiburg Martin Horn hat sich am 4. Dezember 2020 in einem Brief an Bundesverkehrsminister Scheuer mit der Bitte gewandt, zu prüfen, einen „Modellversuch Tempo 30 flächendeckend in der Gesamtstadt“ zu erproben. Nach der Straßenverkehrsordnung ist dies flächendeckend nicht möglich. Dieses Modell in einer Großstadt könnte wegweisend für andere Städte sein. Der Deutsche Städtetag hat dies schon seit Längerem gefordert.
Die FGL, das JFK und die LL möchten Sie bitten, sich dem Vorbild der Stadt Freiburg anzuschließen. Es wäre ein sinnvoller Versuch, eine einheitliche klare Verkehrsführung in unserer Stadt zu erreichen. Sie würde nach unserer Auffassung eine nachhaltige Lebensqualität für die Stadtgesellschaft bedeuten. Nicht nur die Verkehrssicherheit für Fußgänger und Radfahrer durch langsameren Verkehrsfluss würde verbessert werden, sondern auch Luft und Lärm.
Wir bitten Sie deshalb, die Anregung der drei Fraktionen positiv aufzunehmen. Im Übrigen unterstützt Verkehrsminister Winfried Hermann die Versuchsinitiative des Freiburger Oberbürgermeisters.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Müller Neff, Freie Grüne Liste
Matthias Schäfer, Junges Forum
Simon Pschorr, Linke Liste
VCD fordert Anpassung der StVO
Auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat sich dazu Gedanken gemacht, die teilweise etwas weiter reichen. Hier dessen Erklärung, leicht bearbeitet:
Der ökologische Verkehrsclub (VCD) Baden-Württemberg begrüßt den geplanten Modellversuch der Stadt Freiburg, flächendeckend Tempo 30 einzuführen.
Die Straßenverkehrsordnung (StVO) bremst bisher Kommunen aus, in Eigenregie flächendeckend Tempo 30 einzuführen. Sie lässt bisher nur in gesonderten Fällen die Einführung von Tempo-30-Zonen zu. Beispielsweise im Umfeld von Kindergärten oder Schulen, wo ein erhöhtes Bedürfnis nach Verkehrssicherheit herrscht. Aktuell gewinnt Tempo 30 immer mehr an Bedeutung als ein Instrument in städtischen Lärmaktionsplänen.
Die Stadt Freiburg hat deshalb einen offenen Brief an den Verkehrsminister Andreas Scheuer geschickt, mit der Bitte, für flächendeckendes Tempo 30 in der Stadt eine notwendige Sondergenehmigung zu erteilen. Der VCD unterstützt diese Bitte und fordert im Sinne des Klimaschutzes und der Verkehrssicherheit, darüber hinaus eine Änderung der StVO vorzunehmen, die allen Kommunen mehr Handlungsspielraum gibt: „Man kann statt Sondergenehmigungen für Tempo-30-Zonen Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Städten ansetzen und die Beantragung von Sondergenehmigungen für Tempo-50-Zonen auf Haupt- oder Schnellstraßen innerorts einführen.“
Das klappt aber nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Deshalb appelliert der VCD an die Kommunen in Baden-Württemberg, es der Stadt Freiburg gleichzutun. Dazu verweist der VCD auf Pforzheim. Dort steht Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in der gesamten Stadt auf der Tagesordnung des Gemeinderates – allerdings nicht als Beitrag zur Verkehrswende, sondern wegen flächendeckender Überschreitung der Lärmgrenzwerte aufgrund des immer weiter ansteigenden Autoverkehrs.
Mit freundlichen Grüßen
Armin Haller
– Landesgeschäftsführer –
Verkehrsclub Deutschland (VCD) Landesverband Baden-Württemberg e.V.
Kommentar
Es ist offensichtlich, dass es nur begrenzt Sinn macht, Tempo 30 auf kommunaler Ebene einzuführen, sondern dass Tempo 30 zur bundesweit einheitlichen innerörtlichen Maximalgeschwindigkeit werden muss. Davon darf es nur höchst begrenzt Ausnahmezonen mit Tempo 50 geben, wo es wirklich unvermeidlich erscheint, weil Mensch und Tier nicht belästigt werden.
Die Tempo-30-Regeln müssen aber auch in anderer Hinsicht verbessert werden: So ist es derzeit anscheinend nicht erlaubt (StVO §45), in Tempo-30-Zonen neue Radwege zu bauen oder Ampeln (etwa vor Kindergärten, Schulen usw.) zu errichten. Man denke nur an die Ausführungen des städtischen Radverkehrsbeauftragten Gregor Gaffga zum Radweg an der von vielen SchülerInnen befahrenen Schwaketenstraße, dessen Verbesserung davon abhängig ist, was Lärmschutzmessungen ergeben, die allein (und nicht etwa das SchülerInnenwohl) dort Tempo 30 ermöglichen könnten. Gibt es zur Lärmvermeidung Tempo 30, ist es mit besseren Radwegen also Essig, die sind nur bei Tempo 50 erlaubt. Ähnlich bei einer möglichen Einführung von Tempo 30 an anderen Stellen der Stadt – nicht einmal vor Kindergärten und Grundschulen ist dann an eine neue Ampel zu denken, selbst wenn dort täglich Milchzähnchen und kurzhalsige Ungeheuer in akuter Lebensgefahr schweben.
Also: Bundesweit und flächendeckend Tempo 30, Fußgängerzonen, Fahrradstraßen und das Recht für Kommunen, an Stellen, an denen dies sinnvoll erscheint, Tempo 15 für Autos einzuführen, damit Fahrräder und Fußgänger sie besser überholen können. So wird das was. Mit einem kommunalen Flickenteppich hingegen wird das nix, hier muss eine bundesweite Lösung her.
Siehe Freiburg, dort werfen ausgerechnet die Freien Wähler dem dortigen OB vor, „eine Großstadt wie Freiburg kann nicht wie ein inhabergeführtes Einzelunternehmen regiert werden“.[1] Wie bitte? Die ultraliberalen Hobbyausbeuter fordern in Verkehrsfragen auf einmal die Planwirtschaft? Hat Gott seine Schöpfung dank Tempo 30 etwa im Handstreich in eine Genossenschaft verwandelt?
Selten so gelacht.
MM/O. Pugliese (Bild: Copyright Stadt Konstanz, 2019. Es handelt sich um das Stilleben „Zwei Freunde“. Rechts Uli Burchardt, der ein Namensschild tragen muss; links der, der stets verneint, aber kein Namensschild braucht.)
Ich weiß ja nicht mit was für Mühlen hier teilweise gefahren wird, aber ich hatte noch nie ein Auto, welches nicht im 4ten oder 5ten Gang, ganz gemütlich knapp über Standgas mit 30km/h vor sich hingetuckert ist. Aber klar, ein röhrendes Auspuffgeräusch bleibt dann aus – vermutlich ist dies das eigentliche Problem, was die Ankläger:innen hier beschäftigt.
Alternativ hierzu würde ich aber mal noch die 20 km/h oder die Schrittgeschwindigkeit in den Ring werfen. Alle Autos auf die rechte Spur und die Radfahrer:innen links um ungestört an den Autos vorbeifahren zu können, dann stimmt auch der vielbeschworene Spruch „Freie Fahrt für Freie Bürger:innen“ – Denn wirklich frei ist doch nur, wer nicht eingesperrt in einem Blechkasten sitzt. Und zwei Einkaufstüten lassen sich auch mit 7 km/h nach Hause transportieren und dass noch sehr entspannt im ersten Gang und Standgas. Wenn denn schon der Einkauf mit Fahrrad oder Lastenrad zu viel verlangt ist.
Herr Fehringer, lassen sie sich durch die ganzen Neider nicht irritieren: Im 3. Gang durch die Innenstadt fahren! Lachhaft! Und Herr Stribl: Es müssen ja nicht gleich 100 km/h sein, bei ihnen klingt das ja fast zynisch. Bei Konstant 80 Sachen ist der 6. Gang durchaus möglich und sehr viel spritsparender. Klar die Ampeln, Fussgängerübergänge, usw., das stört. Und was da an Benzin verschleudert wird! DAS sind die eigentlichen Klimakiller, aber ausser uns kapiert das keiner, stimmts Herr Fehringer?
Noch weniger wird verstanden: E= 1/2 m * V zum Quadrat
Aber Physik, mal ehrlich, kocht auch nur mit Wasser.
@M. Fehriger
Wenn sie mit dem Fahrrad im 3. Gang fahren verbrennen sie mehr Kalorien als ein Autofahrer im 6. Gang. Geschnallt?
@Martin Fehringer
„Wirklich typisch! Bei 30 fährt man in 3.Gang, verbraucht mehr Kraftstoff als im 5. oder 6.Gang.“
Mit Tempo 100 wäre die Trefferquote bei hingemetzelten Fußgängern und Radfahrern natürlich wesentlich höher.
Danke für Ihren „gedanklichen“ Anstoß!
Herr Speiser, ich bin froh, dass Sie nicht alle Radfahrer meinen. Der Fuss -und Radweg am Bahndamm, wird auch von männlichen Radfahrern genutzt, die eine Falte in ihrer Hose nur noch aus der Vergangenheit kennen, mit Luxussporträdern zur Befriedigung mehr als 30kmh dahin rasen und sich beleidigt fühlen, wenn ein Kleinkind spontan den Weg quert.
Der amtierende OB hat im Oktober bei der SK-Podiumsdikussion als einziger der drei Kandidaten einem flächendeckenden Tempo 30 eine klare Absage in Form einer roten Karte erteilt. Ein Umdenken in so kurzer Zeit ist selbst bei ihm, dem Oberbürgermeister Camouflage, nicht zu erwarten.
Dieses Foto ist Herr-lich,
Andi B-Scheuert und OB-erhaupt, wie passend: Drama und Galama;)
Danke für diese Erheiterung
Wirklich typisch! Bei 30 fährt man in 3.Gang, verbraucht mehr Kraftstoff als im 5. oder 6.Gang.
Eines ist klar, Ziel muss es sein, dass alle VerkehrsteilnehmerInnen ungefährdet und gleichberechtigt den Straßen Raum nutzen können.
Tempo 30 ist hierfür eine notwendige Grundlage! das ist jedoch kein Thema der politischen Weltanschauung!! Rechts oder Links, Grün oder Schwarz; egal, Alle sollten hier das gleiche Interesse haben.
Grundsätzlich ist die Einrichtung von T30 flächendeckend in Kommunen eine gute Idee, ob kommunal oder bundesweit. Aber was soll diese Forderung nach Radwegen bei Tempo 30? Durch die niedrigere Geschwindigkeit ist die Gefährlichkeit des Autoverkehrs viel geringer. Da ist es doch besser, Radfahrer direkt im Sichtfeld fahren zu lassen statt an den Rand zu drängen, womöglich noch hinter parkenden Autos oder Bäumen zu „verstecken“, wo sie dann an der nächsten Kreuzung oder Einmündung für Autofahrer überraschend auftauchen und überfahren werden.