Flüchtlinge im Landkreis Konstanz: Daten und Fakten

Seemoz-Steinstraße 011Angesichts der Kriege etwa im Nahen Osten steigen die Flüchtlingszahlen rasant, aber wer es über das Mittelmeer schafft und lebend in der EU strandet, hat es damit noch lange nicht auf die Sonnenseite des Lebens geschafft. Der Landkreis Konstanz etwa sieht sich vor erheblichen Problemen bei der Flüchtlingsunterbringung und -betreuung, wie das Landratsamt auf eine Anfrage der Partei Die Linke mitteilte

Die Linke, im frisch gewählten Kreistag durch Hans-Peter Koch und Marco Radojevic vertreten, wollte die Lage der Flüchtlinge im Landkreis Konstanz klären und hat daher jüngst eine Anfrage an den Landrat gerichtet. Die mit viel Sorgfalt erarbeitete, sehr detaillierte und bemerkenswert schnelle und auskunftsfreudige Antwort des Landratsamtes bildet das Ausmaß des Flüchtlingselends im Landkreis in deutlichen Zahlen ab.

Hier die wichtigsten Zahlen und Fakten aus dem Papier des Landratsamtes:

Flüchtlingszahlen explodieren

Die Zahl der Asylbewerber ist vom 31.12.1999 bis 31.12.2008 kontinuierlich gesunken, und zwar von 573 auf 150. „Aufgrund zurückgehender Asylbewerberzahlen baute der Landkreis Konstanz mehrere Unterkünfte ab, bis zuletzt in 2008 nur noch die Unterkünfte Steinstraße in Konstanz und Kaserne in Radolfzell bestanden.“ Seit 2009 allerdings stiegen die Zahlen wieder rasant an, und seit 2013 explodieren sie förmlich. Ende letzten Jahres hatte der Landkreis 514 Asylbewerber unterzubringen, und in diesem Jahr werden es wohl nochmals 200 mehr sein. „Aktuell“, so das Landratsamt, „verfügt der Landkreis über 745 Plätze zur Unterbringung von Asylbewerbern. Von diesen sind derzeit 707 Plätze belegt, was einer Auslastungsquote von ca. 95 % entspricht.“ Diese Unterkünfte verteilen sich auf 11 Standorte im Landkreis, die Städte Konstanz (318), Radolfzell (108), Stockach (92) und Singen (165) nehmen die meisten dieser Flüchtlinge auf.

Manche Vermieter wittern den großen Reibach

Der Landkreis Konstanz schaltet nach seinen Angaben seit rund einem Jahr wöchentlich Anzeigen zur Suche nach Mietwohnraum in regionalen Medien. „Zu Beginn war der Rücklauf recht positiv und es wurden vermehrt Hotels und Gaststätten, insbesondere aus dem Raum Stockach, angeboten. Die angebotenen Objekte konnten jedoch teilweise nicht angemietet werden aufgrund unverhältnismäßig hoher Miet- und/oder Rückbauforderungen bzw. des mangelnden Brandschutzes oder der generellen Untauglichkeit des Objekts.“ (Was man wohl so übersetzen darf: Vermieter haben versucht, ihre Schrottimmobilien dem Landkreis anzudienen – wie es sich gehört zu Horrormieten, denn die Ärmsten der Armen sollten nach der Logik des freien Marktes doch immer noch für einen Extraprofit gut sein.)

Der Landkreis versucht mittlerweile, da mit einem baldigen Rückgang der Asylanträge nicht zu rechnen ist, Immobilien oder Grundstücke zu kaufen, um dort Flüchtlingsunterkünfte zu errichten. „Außerdem wird die Belegung von kreiseigenen Sporthallen geprüft.“

Turnhallen als Unterkünfte?

Nicht nur die mögliche Unterbringung in Turnhallen (die man vermutlich nicht mal für die Tierhaltung verwenden dürfte, ohne einen Aufschrei des Kinderschutzbundes zu riskieren) deutet an, auf welchem Niveau Flüchtlinge in Deutschland leben müssen und wie sehr sie als purer Kostenfaktor gelten. Laut Landratsamt haben Asylbewerber bisher Anspruch auf ganze 4,5 Quadratmeter Fläche, also etwa das Doppelte eines Bettlakens. „Durch die letzte Änderung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes muss den Asylbewerbern künftig eine Fläche von 7 Quadratmetern zur Verfügung gestellt werden. Dies ist bis zum 01.01.2016 umzusetzen. Einwendungen des Landkreistages gegen diese Erhöhung hat der Gesetzgeber nicht berücksichtigt.“

Betreuung braucht Personal

Flüchtlinge sind oftmals traumatisierte Menschen, die Fürchterliches hinter sich haben: Flucht, das Zurücklassen oder der Tod von Familienangehörigen und Freunden, Perspektiv- und Orientierungslosigkeit in einer fremden und oftmals feindlichen Umgebung sind Erfahrungen, die den meisten Mitteleuropäern anders als den Flüchtlingen in den letzten Jahrzehnten erspart blieben. Umso wichtiger ist eine angemessene Betreuung der Flüchtlinge. Der Landkreis hat in diesem Jahr den Personalstand von 22,57 auf 28,37 Stellen erhöht, im nächsten Jahr sollen 8,2 weitere Stellen hinzukommen, darunter 3,0 Sozialarbeiter. Gleichzeitig soll eine Stabsstelle eingerichtet werden, die als zentraler Ansprechpartner im Landkreis fungiert und auch die ehrenamtlich Tätigen unterstützt.

Land und Bund stehlen sich aus der Verantwortung

Das Land, das eigentlich für die Unterbringung von Flüchtlingen verantwortlich ist, hat diese Aufgabe den Landkreisen übertragen und zieht sich mit einer Einmalpauschale aus der Affäre. Der Landkreis Konstanz etwa ist in den letzten Jahren auf jeweils rund 2 Millionen Euro sitzen geblieben. „Gemeinsam mit dem Landkreistag Baden-Württemberg,“ so das Landratsamt, „und den anderen Landkreisen fordert der Landkreis Konstanz von der Landesregierung eine auskömmliche Pauschale. Die derzeitige Pauschale von 12.566 € muss deutlich erhöht werden.“ Neben der Unterbringung sind die (weiterhin teils dürftige) soziale Betreuung und die Beschulung von Kindern zentrale Aufgaben des Landkreises. Bisher gibt es an den Berufsschulen rund 80 Schülerinnen und Schüler mit geringen Deutschkenntnissen, die in speziellen Klassen unterrichtet und von Schulsozialarbeitern betreut werden.

Besondere Betreuung benötigen natürlich die rund 50 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Landkreis, die von jenem städtischen Jugendamt betreut werden, in dessen Zuständigkeitsbereich sie aufgegriffen wurden. Stadt und Landkreis Konstanz fordern vom Land einhellig die gleichmäßige Verteilung dieser besonders Betroffenen auf alle Landkreise und Kommunen, denn die Gebietskörperschaften im Grenzbereich übernehmen bisher die Verantwortung für diese Flüchtlinge, ohne dabei Unterstützung anderer Kommunen oder Landkreise zu finden.

Eine Crux des bundesdeutschen Föderalismus zeigt sich in der Antwort des Landratsamtes sehr deutlich: Bund bzw. Land weisen Kreisen und Kommunen Aufgaben zu, denen sie teils kaum gewachsen sind und für die sie keine ausreichenden Mittel erhalten. Natürlich ist der Anstieg der Zahl der Asylsuchenden rasant und kommt teils unerwartet, aber es ist letztlich auch eine Frage des politischen Willens der Beteiligten in Bund, Ländern und Gemeinden, schnell Geld für humane Lösungen bereitzustellen. Wo Millionen für Konstanzer Konzerthallen oder die Elbphilharmonie, für Olympiabewerbungen, Stadtschlossreplikate und Fußballstadien nur so sprudeln, sind ein paar Quadratmeter für einen Flüchtling nicht ernsthaft eine Frage des Geldes, sondern des Willens. Vergessen wir dabei nicht, dass viele dieser Flüchtlinge unter anderem Opfer einer Politik sind, die unsere Freiheit an Hindukusch und Tigris verteidigen zu müssen glaubt.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]

Autor: O. Pugliese

P.S. Einen ausführlichen Bericht über die Diskussion im Kreistag zu diesem Thema finden Sie morgen auf seemoz