Flüchtlinge willkommen – aber nicht vor meiner Tür
Die Probleme mit der Flüchtlingsunterbringung werden die Konstanzer Lokalpolitik wohl auf Jahre hinaus beschäftigen, und die Pläne, in Egg eine Anschlussunterbringung zu errichten, haben ja auch schon dank der dortigen rührigen BürgerInnen für erheblichen Wirbel gesorgt. Der Gemeinderat wollte eigentlich am letzten Donnerstag über den Bau der Anschlussunterbringung in Egg befinden, aber dazu kam es nicht.
Am Rande von Sitzungen wird immer viel gemunkelt, und so war gerüchteweise am Rande dieser Sitzung zu hören, dass unter den EggerInnen nach diesem Sommer das große Hauen und Stechen herrsche und so manche Freundschaft auch über die scharf bewachten Grenzen von Egg hinaus gekündigt worden sei: Die AnwohnerInnen der Egger Wiese jedenfalls sollen, so wurde gemunkelt, gottfroh sein, dass (auch dank ihres massiven Drucks auf die Verwaltung) für die geplante Flüchtlingsunterkunft jetzt ein anderer, möglicher Bauplatz etwa 200 Meter entfernt auf einer städtischen Streuobstwiese am Flurweg in die Diskussion gebracht wurde.
Aber auch im Rat rumpelte es: Am Morgen hatten Ratsmitglieder bei einem Ortstermin besagte Streuobstwiese als Alternativbauplatz unter die Lupe genommen, und Roger Tscheulin, der als alter Politkämpe im Dauerwahlkampfmodus ebenso gern deftig austeilt, wie er auf anderer Leute Äußerungen äußerst dünnhäutig reagiert, warf (dem sichtlich gestressten) Bürgermeister Andreas Osner vor, dieser habe nicht nur eine nichts sagende Vorlage vorgelegt, sondern nach eigenen Angaben angesichts des – aus seiner Sicht wohl überflüssigen – Ortstermins „in den Tisch gebissen“. Am Ende entschuldigte sich Osner, und Oberbürgermeister Uli Burchardt mahnte, angesichts der kaum zu bewältigenden Aufgaben sei verbale Abrüstung trotz aller sachlichen Differenzen äußerst hilfreich.
Das plant die Stadt
In der Debatte des Gemeinderates über die Flüchtlingsunterbringung skizzierte die Stadtverwaltung ihre nächsten Schritte:
Flüchtlingsbeauftragte/r
Es gibt in dieser Woche neun Vorstellungsgespräche für die Position des/der Flüchtlingsbeauftragten, und die Stelle soll möglichst direkt nach den Gesprächen besetzt werden. Wichtig ist, dass die/der Beauftragte viel Erfahrung mitbringt und sich nicht erst langwierig einarbeiten muss. Die Anlaufstelle für sämtliche Anliegen vor allem auch der Ehrenamtlichen und Verbände soll diese Person laut OB aber nicht werden, weil sie sonst ziemlich schnell überfordert wäre.
Bodenseestadion
Bis in dieser Woche soll eine Prüfung sämtlicher Sportstätten in Konstanz auf ihre Tauglichkeit zur Flüchtlingsunterbringung abgeschlossen sein. Die Stadt ist mit dem Bodenseestadion als Standort nicht glücklich und hofft, dass alternative Plätze gefunden werden. Eine Projektgruppe der Stadt arbeitet täglich an diesem Thema und schafft dabei einen sich ständig erweiternden Kriterienkatalog, da bisher keine Erfahrungswerte für eine solche Situation vorliegen. Insgesamt hätten Stadt und Landkreis in Konstanz bisher bereits rund 100 Flächen auf ihre Tauglichkeit geprüft.
Prospekt
In den nächsten Tagen landen in sämtlichen Konstanzer Briefkästen vierseitige Flyer der Stadt mit Informationen für KonstanzerInnen. Immer, wenn sich Landkreis oder Stadt für eine Fläche oder Immobilie in Konstanz als Unterkunft entscheiden, wird es eine Bürgerveranstaltung geben. Außerdem ist für den Herbst in einem großen Saal eine Bürgerveranstaltung mit allgemeinen Informationen zur Flüchtlingssituation geplant. Allerdings sagte Bürgermeister Osner auch klar, dass bei der derzeitigen Suche nach großen Flächen und Immobilien die Verhandlungen bis zum Vertragsabschluss grundsätzlich nur hinter verschlossenen Türen geführt werden können, weil sich die Verhandlungen mit den EigentümerInnen oft als äußerst schwierig erwiesen. Er forderte vom Gemeinderat, der Verwaltung hierbei freie Hand zu lassen und ihr einfach mal zu vertrauen.
Personal
In der Stadtverwaltung sind mittlerweile etwa 22 Personen im Schnitt zu etwa 50% ihrer Arbeitszeit ausschließlich mit Flüchtlingsfragen beschäftigt. Daran sind sämtliche Ämter beteiligt. Kurzfristig sei diese Konzentration möglich, wenn man andere Projekte zurückstelle, für 2016 werde man aber wohl mehr Personal benötigen. Auch die Arbeitsagentur arbeitet nach Osners Angaben an einem eigenen Programm, um Flüchtlingen, die arbeitsberechtigt sind, einen Job zu vermitteln.
Patenschaften
Der Bürgermeister erörterte die Idee, eventuell ein lokales Netzwerk für Flüchtlinge zu gründen, um die bisherigen Aktivitäten einer Vielzahl Beteiligter besser zu koordinieren, erwähnte aber auch, dass es bereits massenhaft Netzwerke und öffentliche Treffen gebe, man müsse sich also genau überlegen, was sinnvoll sei. Die Stadt arbeite jedenfalls an einem Konzept auch für die Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen und Verbänden. Er regte zudem Patenschaften an, in denen sich Flüchtlinge, die bereits seit längerem in Konstanz leben, um frisch angekommene Flüchtlinge kümmern, weil sie deren Situation am besten verstünden.
O. P.
Wie zu erwarten, machte in der Ratssitzung eine empörte Anrainerin des Flurweges geltend, dass man doch diese Streuobstwiese nicht bebauen dürfe, weil sie unter Naturschutz stehe. Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn widersprach den Vorhaltungen dieser Bürgerin, seinen Angaben nach handelt es sich bei diesem Bauplatz um einen Bereich, in dem man durchaus bauen dürfe. Die Stadt war offenkundig bis zum Vortag noch davon ausgegangen, dass man bei einem Bau auf dieser Wiese nur eine Ausgleichsfläche ausweisen müsse, um dem Naturschutz Genüge zu tun. Wie der Landkreis der Stadt aber inzwischen mitgeteilt hatte, dürfe es sich die Stadt nicht so einfach machen, es verhalte sich vielmehr so, dass grundsätzlich „auch naturschutzfachlich/-rechtlich die Innenverdichtung vor der Durchführung von Außenbereichvorhaben bevorzugt“ wird.
Deshalb muss die Stadt Konstanz, ehe sie die am Ortsrand gelegene Streuobstwiese bebauen darf, zuerst nach einem Alternativstandort im Ortsinneren suchen und darf nur, wenn dort nichts gefunden wird, auf die Streuobstwiese ausweichen.
Erneute Suche nach Alternativen
Da die Standortprüfung in Egg ergeben hat, dass nur die Egger Wiese oder die Wiese am Flurweg derzeit in Frage kommen, muss die Stadt Konstanz, wenn sie am Flurweg bauen will, schnell nach einer Möglichkeit suchen, eine Innenverdichtung in Egg durchzuführen – darf bei ihrer Suche aber die Egger Wiese nicht geeignet finden. Der am letzten Donnerstag geplante Ratsbeschluss über die Anschlussunterkunft in Egg musste also vertagt werden, weil in Sachen Streuobstwiese jetzt erst noch mal besagte rechtliche Belange abgeklärt werden müssen. Um aber die Fristen einzuhalten und auch die Zuschüsse nicht zu gefährden, muss der Beschluss spätestens in vier Wochen oder bereits vorher auf einer Sondersitzung des Gemeinderates fallen. Bis dahin dürfte Egg weiterhin mobil machen.
So verrinnt die Zeit, während die Flüchtlingszahlen weiter steigen. Wenn es um Flüchtlingsunterkünfte geht, wird man schnell feststellen, dass es allüberall freie Flächen gibt, die nach Ansicht der Nachbarn aus irgendwelchen Gründen so nicht oder nur teilweise oder – im Interesse der Flüchtlinge, versteht sich, Mückenplage im Sommer, Schneefall im Winter, und dann noch dieser schreckliche See vor der Tür – am besten gar nicht bebaut werden sollten. Man fühlt sich unweigerlich an Methusalix erinnert: Ich habe nichts gegen Fremde, meine besten Freunde sind Fremde, aber dieser Bauplatz, der ist von hier.
O. Pugliese
Wie sieht es denn in Tübingen aus? Wird dort jetzt Wohnraum „konfisziert“?
Wieviel Leerstand gibt es denn in unserer Stadt? Wieviele gewerbliche Räume stehen leer, auch am Seerhein? Dort wäre doch eine gute Möglichkeit geflüchtete Menschen vorübergehend wohnen zu lassen. Es gibt übrigens auf diesem Gebiet schon viele Ideen u.a. im SWR 2 im letzten Forum gesendet. International machen sich ArchitektInnen, Stadtplanung Gedanken und haben hervoragende Ideen.
Hier in Konstanz dauerts halt ä wengele, besonders bei den „Oberen“! Die sollten die Amtsbezeichnung …Meister abgeben. Für ein Amt in dieser Größenordnung braucht es im Vorfeld viel Kompetenzaneignung und Erfahrung und vor allem Visionen. Aber die fehlen wohl ganz, genauso wie auf Bundesebene in unserer Bertelsmann-Demokratie!
Luana Thalmann