Fördert „Stopp der Zersiedelung“ genau dieselbe?
Ist es sinnvoll, niemals mehr neues Bauland auszuweisen? Auf diese Kurzformel lässt sich der Kern der Diskussion um die „Zersiedelungsinitiative“ bringen, über die am 10. Februar in der Schweiz abgestimmt wird. Die Bundesregierung und die Mehrheit der Parteien lehnt die von den Jungen Grünen lancierte Initiative ab. Befürwortet wird sie von Umwelt- und Naturschutzverbänden, von den Grünen und den SozialdemokratInnen (SPS).
Die Initiative „Zersiedelung stoppen – für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung (Zersiedelungsinitiative)“ soll dafür sorgen, dass nicht mehr – wie bisher – praktisch sekündlich ein Quadratmeter Schweiz neu überbaut wird. Kernpunkt ist dabei die Forderung, die Gesamtfläche aller Bauzonen in der Schweiz auf den heutigen Stand zu beschränken.
Neue Bauzonen dürften dann nur noch geschaffen werden, wenn im Gegenzug andernorts eine mindestens gleich große Fläche qualitativ guten Landwirtschaftsbodens als Bauzone aufgehoben wird. Das heißt, die von den Gemeinden derzeit ausgewiesenen Baulandflächen müssten erhalten bleiben. Das klingt erst einmal gut. Wer will schon, dass jede Grünfläche überbaut wird? Schlimmstenfalls mit lauter Einfamilienhaus-Siedlungen (die alle schrecklich finden, deren Häuschen aber immer ruckzuck verkauft sind).
Rückzonungen contra Bestandesschutz
Die Krux an der Sache ist nur, dass die 2016 eingereichte Initiative damit größere Bauzonen auf alle Zeiten festschreiben würde, als das das seit 2014 geltende Raumplanungsgesetz zulässt. Denn dieses legt fest, dass die Gemeinden keine Bauzonen mehr ausweisen dürfen, die mehr als den Landbedarf für die nächsten 15 Jahre umfassen. Was zur Folge hat, dass derzeit viele Gemeinden ihre Bauzonen verkleinern müssen.
Vor allem im Kanton Wallis ist diese Vorschrift auf wenig Gegenliebe gestoßen – denn dort haben die Gemeinden großzügig jeden möglichen besonnten Hang zur Bauzone gemacht. Muss man diesen nun in die Landwirtschaftszone zurückstufen, sind die Eigentümer natürlich nicht begeistert – ihr Vermögen verkleinert sich schlagartig. Wer zahlt schon mehrere hundert Franken für einen Quadratmeter Wiese?
Im Wallis – und in manchen Dörfern mit großzügigen Bauzonen – wäre man also vermutlich über die Annahme der Zersiedelungsinitiative beglückt, hätte man doch eine Bestandsgarantie. Weniger erfreut sind Städte und Agglomerationen, die unter Wohnungsmangel leiden und ihre Stadtviertel nicht unendlich nachverdichten können. Sie dürften weder eigenes Land (falls vorhanden) neu einzonen, noch darauf vertrauen, dass Agglomerationsgemeinden dies noch tun könnten.
Deshalb befürchtet Innenministerin Simonetta Sommaruga (SPS), die Zersiedelungsinitiative könnte genau das beschleunigen, was sie verhindern will: Statt weniger Bauten im ländlichen Raum genau dort mehr Bauten, weil noch Baulandreserven ausgewiesen sind. Und anschließend mehr Pendlerverkehr aus diesen Dörfern dorthin, wo die Arbeitsplätze sind.
Schlitzohrigkeit in Tourismusregionen
Der Rest der Initiative erregt keinen Widerspruch – er deckt sich praktisch vollständig mit dem Raumplanungsgesetz, das ebenfalls eine Verdichtung der Bausubstanz in Städten und Gemeinden anstrebt und auf nachhaltiges Bauen und wenig Bauten außerhalb von Siedlungsgebieten setzt. Letzteres betrifft einerseits Landwirtschaftsgebäude, andererseits Ferienwohnungen.
Der Bau von Ferienwohnungen sollte bereits durch die vor einigen Jahren angenommene „Zweitwohnungsinitiative“ gestoppt werden. Diese aber hat bisher noch nicht gegriffen, weil Tourismusregionen wie das Wallis und Graubünden noch schnell vor Toresschluss so viele Ferienhaus- und –wohnungs-Neubauten genehmigten wie irgend möglich. Genau diese Schlitzohrigkeit führt dazu, dass man die Befürchtungen Sommarugas nicht von vornherein als abwegig bezeichnen kann.
Lieselotte Schiesser (Text & Bild)