Förderung des Radverkehrs in der Autostadt Singen
Etwa fünfzig interessierte und motivierte RadfahrerInnen hatten sich am vergangenen Freitag am Hegau-Gymnasium eingefunden, um gemeinsam mit Oberbürgermeister Bernd Häusler und Singens Radverkehrsbeauftragten Petra Jacobi die erste Fahrradstraßen-Strecke (von der August-Ruf-Straße, Höhe Hegau-Gymnasium – Schillerstaße – Im Iben) offiziell zu eröffnen. Eigentlich eine gute und dringend notwendige Einrichtung, an der es nichts zu meckern gibt, sollte man meinen …
Trotz Protest in den (anti)sozialen Netzwerken
Radfahrstraßen sind eine wichtige Maßnahme zur Förderung einer attraktiven Fahrradmobilität, die im Radverkehrskonzept der Stadt Singen bereits 2012 empfohlen wurde. Doch gleich zu Beginn machte der Oberbürgermeister in seinem Grußwort deutlich, wie schwierig es sich gestaltet, aus einer „autogerecht“ angelegten Stadt eine Stadt zu machen, in welcher Platz für alle ist. Die immer deutlicher zutage tretenden Verkehrsprobleme machen ein Umdenken erforderlich. Leider würden so manche MitbürgerInnen dies nicht einsehen wollen. So gab es während der Planungen dieser ersten Fahrradstraßen vor allem in den (anti)sozialen Netzwerken entsprechende Reaktionen, die von Vorwürfen über sinnlos hinausgeworfenes Geld – weil dort entweder „sowieso keine Radfahrer“ oder „ohnehin fast nie Autos“ fahren – bis zu wüsten Beschimpfungen reichten. Auch hatten die Mitarbeiter während der Planungs- und Bauphase nicht selten problematische Situationen zu bestehen. Häusler bedankte sich daher bei allen MitarbeiterInnen für deren tatkräftiges Engagement – besonders bei Petra Jacobi, die als Bauingenieurin in der Abteilung Straßenbau und Verantwortliche für Rad- und Fußverkehr sowie ÖPNV diese Fahrradstraßen-Führung ausgearbeitet und die Realisierung geleitet hat.
Er machte auch deutlich, dass es bei diesem Projekt nicht nur um einen sicheren Schulweg zum Hegau-Gymnasium gehe, sondern auch darum, rechtzeitig auf den zusätzlichen Bedarf wegen des geplanten Nahversorgers und weiterer Wohnbebauung im westlichen Bruderhofgebiet in der Nordstadt vorbereitet zu sein. Richtig sei, dass weder die Schillerstraße noch Im Iben stark frequentierte Autostraßen seien, aber gerade das sei ihr Plus als Fahrradstraßen. (Als chaotisch kritisierte Situationen wie in der Petershauser-Straße in Konstanz sind hier also kaum zu erwarten).
Und die tatsächlichen Zusatzkosten durch die Umwandlung zur Fahrradstraßen-Strecke – so fügte der OB hinzu – hätten mal gerade mit 40.000 Euro zu Buch geschlagen.
Anschließend ging es leicht ansteigend zur achtminütigen Eröffnungs-Fahrt zum Familienzentrum Im Iben – dem je nach Zielort oberen Ende oder Anfang der Fahrrad-Strecke – wo bei einem kleinem Imbiss Gelegenheit war, sich auszutauschen und über die weiteren Planungen zu informieren. Einig waren sich alle: Ein in Zeiten von Mobilitätswende und Klimawandel dringend notwendiger Anfang ist gemacht; diskutiert wurde aber über Detailfragen und darüber, wie und wo es weitergehen solle. Denn eine Verbindung von Norden kommend und noch vor dem eigentlichen Stadtzentrum endend kann noch nicht alles gewesen sein. Planungen gibt es schon, z.B. für die Worblingerstraße in der Südstadt sowie im Westen vom Rosenegg-Parkplatz über die Schlachthausstraße bis zur Hauptstraße. Die schon lange erhoffte und immer noch ausstehende Aufhebung des Bundesstraßen-Status der Ekkehardstraße könnte ein wichtiges Element für die geplante Radschnellverbindung von Konstanz über Radolfzell nach Singen sein.
Ruhender Verkehr als Feind des Radverkehrs
Neben finanziellen Mitteln für den weiteren Ausbau der Fahrradmobilität braucht es aber auch den Rückhalt und die Unterstützung seitens der Bürgerschaft. Hier wurde deutlich, worin das Hauptproblem bzw. der größte Widerstand besteht: Der sogenannte ruhende Verkehr erweist sich als Feind des sicheren und zügigen Radverkehrs. Nicht wenige autofahrende BürgerInnen sehen „ihr Grundrecht“, auf jeder öffentlichen Straße beliebig viele und immer voluminöser werdende Blechkisten abstellen zu dürfen, durch solche Veränderungen zugunsten einer klimaschonenden und umweltfreundlichen Mobilität gefährdet. Wehe, wenn Abstellmöglichkeiten im öffentlichen Raum eingeschränkt und Stellplätze (zum Teil ohnehin nicht legale) zurückgebaut werden sollen, da werden manche AnwohnerInnen zu Hyänen und der Sturm aufs Rathaus setzt ein. Gehe es gar darum, Flächen zu entsiegeln, müsse man mit erbittertem Widerstand sogar bei den Arbeiten vor Ort rechnen, so eine leidvolle Erfahrung städtischer Mitarbeiter. Dass aber alle BürgerInnen ein gleichwertiges Recht auf möglichst sichere Benutzung von öffentlichen Wegen und Straßen haben, welche nicht durch abgestellte Autos so gut wie blockiert sind, kommt diesen ZeitgenossInnen und oftmals BesitzerInnen von Zweit- und Drittwagen wohl gar nicht erst nicht in den Sinn.
Es könnte so schön sein …
Dabei könnte eine Stadt mit weniger Autos, mehr Radfahrenden, auch FußgängerInnen auf breiteren Gehwegen mit Bäumen, Bänken etc. so viel schöner, gesünder, klimafreundlicher sein …
Und Singen ist für die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur für ÖPNV und autounabhängige Mobilität sehr gut geeignet: nur wenige leicht zu überwindende Höhenunterschiede, alle wichtigen Einrichtungen in Entfernungen, die mit dem Fahrrad gut zu bewältigen sind.
Laut einer 2018 im Auftrag der Stadt durchgeführten Umfrage (4.000 nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Haushalten waren Fragebogen zugesandt worden, 682 kamen zurück) hat Singen mit 57 Prozent einen hohen PKW-Anteil. Mit 21 Prozent ist der Radverkehr immerhin schon jetzt gar nicht schlecht, doch da gibt es noch großen Verbesserungsbedarf (als Vergleich der Freiburger Modal Split mit 34 Prozent Radverkehr).
Aus für 50 Prozent aller oberirdischen Parkplätze
Diese Forderung von Fridays for Future wird umgesetzt werden. Neue oberirdische Parkplätze werden ab sofort nicht mehr ausgewiesen, bestätigte Petra Jacobi. Bis 2025 muss die Hälfte aller oberirdischen Parkplätze zurückgebaut sein. Es wird sich also etwas ändern (müssen)! Dafür ist es notwendig, dass alle, die zu Recht auf ihren Grundrechten auf saubere Luft, sichere und CO2-sparende Mobilität, Rücksichtnahme und körperliche Unversehrtheit bestehen wollen, nicht klein beigeben. Sicher ist, dass dieses Ziel nirgendwo verwirklicht werden wird, wenn jede/r nur an seiner derzeitigen hier erreichten maximalen Bequemlichkeit festhalten möchte.
Radschnellweg und Alternativen für eine neue Mobilität
Genauso wenig wird dieses Ziel mit einer Scheinlösung – wie die Zahl der unumstritten klimaschädlichen Verbrenner (knapp ein Drittel der CO2-Emissionen werden in Singen durch den Verkehr verursacht) durch die nun staatlich noch mehr gesponserten Elektroautos zu ersetzen – erreicht werden: Diese, benötigen genauso viele ober- oder unterirdische Parkplätze, oder stehen genauso in der Gegend rum, verstopfen die Straßen und verschleißen sogar durch ihr in der Regel höheres Gewicht die Infrastruktur noch mehr. Wichtig ist aber, dass es nicht nur bei einem Ausbau der Radverkehrswege innerhalb einer Stadt bleibt, sondern die Verbindungen ins Umland, in den nächsten Ort, in die Nachbarstadt schneller, besser und sicherer werden. Konkret: die lang ersehnte Radschnellverbindung Konstanz – Radolfzell – Singen sollte baldmöglichst gebaut werden.
Über die Vorschläge zur Radschnellweg-Trassenplanung können sich die SingenerInnen am kommenden Donnerstag, 24. Oktober, im Rathaus informieren und mit Vertretern des beauftragten Planungsbüros diskutieren. In Radolfzell wird eine entsprechende Veranstaltung am Mittwoch, 23. Oktober im Milchwerk und in Konstanz am Dienstag, 29. Oktober im Großen Sitzungssaal des Landratsamtes stattfinden. Beginn ist jeweils um 18 Uhr.
Und wie ein alternatives Verkehrskonzept, in dem der nichtmotorisierte Verkehr (zu Fuß, mit Fahrrad, Tram, S-Bahn und Bahn) im Zentrum steht, aussehen kann, darüber referiert der Verkehrsexperte und Autor Winfried Wolf am Dienstag, 29. Oktober in Singen im GEMS-Studio (Mühlenstraße 13). Seemoz, SÖS und attac Singen laden zu seinem Vortrag „Mit dem Elektroauto in die Sackgasse“ und anschließender Diskussion alle Interessierten ein.
Dieter Heise (Text und Foto)
Bild: Eröffnung der Fahrradstraßen beim Hegau-Gymnasium. In der Bildmitte OB Bernd Häusler bei seinem Grußwort; rechts im Bild (mit weißem Helm) Radverkehrsbeauftragte Petra Jacobi.
Ein lesenswerter Beitrag. Schade aber, dass das diskussionswürdige Thema nur durch die Ideologiebrille betrachtet wird: hier die guten Radfahrer, dort die bösen Autofahrer. So viel populistische Vereinfachung kenne ich sonst nur von der AfD. Damit schadet der Autor aber jenen, die im Rahmen einer demokratischen Streitkultur zu Kompromissen bereit sind und nach Lösungen suchen, die von vielen mitgetragen werden und die nicht aus dem Traumland der Ideologen stammen.