Fortsetzung: Antisemitismus im Sport
Unsere Artikelserie „Antisemitismus auf dem Fußballfeld“ ist auf selbst für uns erstaunliches Leserinteresse gestoßen. Darum nun Teil zwei: Auch jenseits deutscher Grenzen kommt es immer wieder zu antisemitischen Eklats. Nicht nur im Fußball, nicht nur von Neonazis. Rechtsradikale pöbeln überall und nutzen die Stadien als Bad in der anonymen Menge.
Auch jenseits der deutschen Grenzen kommt es immer wieder zu antisemitischen Eklats. Beispielsweise in Italien, wo rechtsradikale Anhänger von Lazio Rom beim Stadtderby gegen den AS Rom zwei riesige Spruchbänder entrollten, auf denen stand: „Auschwitz la vostra patria, i forni le vostre case!“ („Auschwitz ist eure Heimat, die Öfen sind euer Zuhause!“)
Linke Fußballfans wiederum unterstellten Israel, einen Holocaust an den Palästinensern zu verüben. Die Ultras des linken Vorzeigevereins Livorno etwa zeigten bei einem Spiel ein großes Transparent mit der Aufschrift: „Ricordare l’Olocausto per condannare Israele! Palestina libera!” („Den Holocaust erinnern, um Israel zu verurteilen! Freiheit für Palästina!“) Zwischen diesen beiden Forderungen war ein Hakenkreuz aufgemalt, in einem weißen Kreis auf rotem Grund.
Es gibt eine prosemitische Fankultur
Besonders betroffen von antisemitischen Schmähungen sind jedoch regelmäßig die Fußballklubs Ajax Amsterdam in den Niederlanden und Tottenham Hotspur in England. Dort gibt es allerdings auch eine Art prosemitische Fankultur, um antisemitischen Angriffen gegnerischer Fans den Wind aus den Segeln zu nehmen. Davon möchte ich nun kurz erzählen.
In Amsterdam stand das alte Stadion de Meer am Rande des jüdischen Viertels im Osten der Stadt. Außerdem wurden durch Netzwerke des Vereins vielen jüdischen Bürgern während der Zeit des Nationalsozialismus zur Flucht verholfen. In den für Ajax erfolgreichen 1970er Jahren sahen sich Amsterdamer Fans zunehmendem Antisemitismus ausgesetzt, und spätestens, als 1980 Utrechter Fans ein Banner aufhängten, auf dem die „A“s im Wort „Ajax“ durch Davidsterne und das „x“ durch ein Hakenkreuz ersetzt worden waren, drehten die Ajax-Fans den Spieß einfach um.
Seitdem zieren jüdische Symbole und Israel-Fahnen den Fansektor. Vor allem die Ajax Casuals, die sich 1976 gründeten und heute F-Side heißen, beeinflussten diese Entwicklung. An den antisemitischen Attacken änderte das jedoch nichts: Wenn heute Ajax bei Feyenoord Rotterdam, in Utrecht oder Den Haag spielt, sind Zischlaute zu hören, die ausströmendes Gas imitieren sollen, und es kommt immer wieder zu Sprechchören wie: „Hamas, Hamas, Juden ins Gas!“ oder „Adolf, hier laufen noch elf – wenn du sie nicht vergast, tun wir es selbst!“
Was ist ein „Judenclub“?
Ganz ähnlich geht es in Tottenham bei den Spurs zu. Das Einzugsgebiet der Stadt ist stark jüdisch geprägt. 75 Prozent der knapp 2,7 Millionen Juden Großbritanniens leben hier, was den Spurs, zu denen viele jüdische Spieler und Funktionäre gehörten, früh den Ruf eintrug, ein „Judenklub“ zu sein.
In den 1960er Jahren lief in England die legendäre Comedyserie Till death us do part (übersetzt: „Bis dass der Tod uns scheidet“), deren Protagonist ein rassistischer und antisemitischer Nationalist war, der um den Hals einen Schal seines Lieblingsklubs West Ham United trug und fortwährend den Niedergang seines Landes beklagte. In einer Folge titulierte dieser Hauptdarsteller die Tottenham Hotspurs als „Yids“ – eine abfällige Bezeichnung für Juden. Und das hatte Folgen, denn die Anhänger gegnerischer Mannschaften – vor allem der Londoner Konkurrenten – begannen, diese Verbindung bei den Spielen ihres jeweiligen Vereins gegen Tottenham immer häufiger zu verbalisieren.
„Yiddos! Yiddos! Does your Rabbi, does your Rabbi, does your Rabbi know you’re here?“, brüllten Arsenal-Fans am 3. April 1976 – und da reichte es den Tottenham-Supportern: Eine Abordnung von ihnen stürmte die Nordkurve, wo die Arsenal-Anhänger standen, und skandierte dort: „Yiddos took the North Bank! Yiddos took the North Bank!“
Jürgen Klinsmann ist ein „Yiddos“
Seit diesem Tag nennen sich die Tottenham-Fans „Yids“ oder „Yiddos“, unabhängig davon, ob sie selbst Juden sind oder nicht. Sie schwenken im Stadion Israel-Fahnen, intonieren den Kanon „Yid Army“ und tragen T-Shirts mit Aufdrucken wie „Yiddo 4 Life“. Sie gehen sogar noch weiter und ernennen auch Spieler, die sie verehren, zu „Yiddos“. Das wohl bekannteste diesbezügliche Beispiel ist Jürgen Klinsmann – 1994 als Spieler zu Tottenham gewechselt –, dem die Fans ein Lied widmeten. Zur Melodie von Mary Poppins sangen sie seinerzeit: „Chim chiminee, chim chiminee, chim chim churoo, Jürgen was a German, but now he is a Jew!“
John M. Efron, Professor für jüdische Geschichte an der Universität von Kalifornien in Berkeley, erläutert dieses Phänomen: „Dass die Tottenham-Anhänger den antisemitisch gemeinten Spitznamen, statt sich vor ihm zu ducken, sich als Ehrennamen zu Eigen machten, das hat dem Spott die Wirkung genommen.“ Anders gesagt: Die Fans begegneten, genau wie in Amsterdam, der in antisemitischer Absicht eingesetzten Bezeichnung ihres Lieblingsvereins als „Judenklub“ nicht mir einer Distanzierung, sondern mit Affirmation.
Doch natürlich hört der Antisemitismus nicht auf zu existieren, wenn man der Selbstverständlichkeit Ausdruck verleiht, das Wort „Jude“ nicht als Beleidigung aufzufassen. Vielmehr fuhren gegnerische Anhänger bei Tottenham-Spielen immer schwerere Geschütze auf: Zunächst ging es bei den Schmähungen oft um Beschneidung oder Essgewohnheiten, doch allmählich rückte der Holocaust immer stärker in den Mittelpunkt. „Die Spurs sind auf dem Weg nach Auschwitz, Hitler wird sie wieder vergasen“, wurde beispielsweise von Arsenal- und Chelsea-Fans skandiert. Die Zischlaute, die man auch aus Amsterdam kennt, kamen ebenfalls zum Einsatz. John M. Efron berichtet: „Die nichtjüdischen Tottenham-Fans haben darauf so entsetzt reagiert, wie man es nur von wirklichen Juden erwarten würde.“ Und sie intensivierten ihre Sprechchöre und Aktivitäten nochmals.
Antisemitismus im Sport äußert sich jedoch nicht nur im Fußball, und er äußert sich auch nicht ausschließlich in Form offenkundig judenfeindlicher Parolen. Vielmehr manifestiert er sich immer wieder auch in Aktivitäten gegen Israel und seine Sportler. Dazu Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit und aus anderen Sportarten in der Fortsetzung in wenigen Tagen.
Autor/In: Alex Feuerherdt