Franz Knapp: NS-Schreibtischtäter und Ehrenbürger

Seemoz-Tobias_Engelsing (2)Der ehemalige Konstanzer Oberbürgermeister Franz Knapp ist immer noch Ehrenbürger der Stadt und auch die Passage neben dem Rathaus trägt seinen Namen. Stadtarchivar Jürgen Klöckler hat Knapp in seiner Habilitationsschrift sinngemäß als NS-Erfüllungsgehilfen und graue Eminenz bezeichnet. Ähnlich sieht das Tobias Engelsing, Leiter der Konstanzer Museen. Bei der Vorbereitung für seine neue Ausstellung kam auch er an Franz Knapp nicht vorbei. Sein Fazit im seemoz-Interview: Als Vorbild taugt Knapp auf keinen Fall.

Haben Sie während der aktuellen Recherchen zu Ihrem Ausstellungs- und Buchthema über das jüdische Konstanz neue Erkenntnisse zum früheren Oberbürgermeister Franz Knapp für die Zeit seiner Tätigkeit als „Rechtsrat“ der NS-Stadtverwaltung zwischen 1933 und 1945 gewonnen?
Ja, denn für das Begleitbuch „Das jüdische Konstanz. Blütezeit und Vernichtung“, das im Südverlag erscheint, konnte ich auch einige Quellen durcharbeiten, die bisher noch nicht zugänglich waren. Hier erscheint Franz Knapp noch deutlicher als opportunistische Persönlichkeit, die dem NS-Unrechtsstaat auf lokaler Ebene den Anschein der Rechtlichkeit gegeben hat. Dies wird insbesondere bei seinem Verhalten im Zuge der „Abwicklung“ des Synagogenbrandfalls deutlich. Andererseits sind ihm für die Nachkriegszeit bedeutende politische Verdienste zuzurechnen, etwa bei der Rettung des 155 Hektar großen Gewanns Tägermoos für die Stadt Konstanz, als nach 1945 wegen laufender Kredite der Stadt bei Schweizer Banken die Liquidierung des Areals durch die Schweiz drohte.

Worin bestand seine Mitwirkung in der „Abwicklung“ des Synagogenbrandes?
Als Syndikus der NS-Stadtverwaltung hat er die ohnehin schon bedrängte jüdische Restgemeinde nach dem Brand mit Mitteln des Zivilrechts weiter unter Druck gesetzt, um so die reichsweit angeordneten Zahlungen zur Beseitigung der Trümmer zu erzwingen. Aber auch schon davor, als es etwa um Badeverbote für Juden ging, stellte er den geplanten Rechtsbruch nicht infrage, sondern schob den Auftrag der Stadtspitze an Amtsleiterkollegen weiter.

Vom 16. Juli bis 30. Dezember läuft im Kulturzentrum am Münster (Richentalsaal) eine Sonderausstellung des Rosgartenmuseums: „Das jüdische Konstanz. Blütezeit und Vernichtung“ aus Anlass der Deportation der badischen Juden vor 75 Jahren. Im Begleitbuch werden bislang weitgehend unbekannte Kapitel wie etwa die „Arisierung“ und die „Wiedergutmachung“ ausführlich beleuchtet.

Mehrfach hat Knapp, wenn ihm ein Vorhaben der NS-Führungselite zu schmutzig wurde, es mit spitzen Fingern weiter gereicht. Ich habe kein Aktenstück gefunden, in dem er rechtliche Bedenken gegen eine Maßnahme der Judenverfolgung geltend gemacht oder einen trickreichen Entwurf zur Milderung eines Vorhabens vorgelegt hätte – all das gab es ja auch in diesen Jahren. Er aber taucht doch immer wieder als Syndikus des Systems auf: In den Vorgängen um die Verwertung der jüdischen Gemeindegrundstücke oder bei der Verwertung von Kultobjekten der Gemeinde nach 1940. Nach derzeitigem Kenntnisstand muss man sagen: Knapp hat dem Unrechtssystem ohne erkennbare Akte der Widersetzlichkeit gedient. Vielleicht sehen wir Heutigen solches Verhalten in unserem ungefährlichen Kampf gegen die Nazis von gestern zu moralisierend, aber menschlich anständig waren seine Beiträge zur lokalen Judenverfolgung auch damals nicht.

Hat Knapp nach 1945 über diese Zeit gesprochen oder geschrieben?
Nach 1945 war auch von Franz Knapp wie von Millionen anderen Deutschen keine Thematisierung des Unrechts zu erwarten, geschweige denn ein Wort des Eingeständnisses eigenen Versagens. Knapp galt den Franzosen als unbelastet und als frommer Christ, um diese Startposition für eine Nachkriegskarriere wollte er sich sicher nicht durch Selbstanklagen bringen. Die kurz nach dem Krieg erhobene Forderung von jüdischen Überlebenden, den Opfern des NS-Regimes in Konstanz ein Denkmal zu errichten, wurde von ihm als Bürgermeister und dann als OB nicht befördert, eher klein gehalten. Ein solches Denkmal hätte als Eingeständnis einer Kollektivschuld gewertet werden können, das wollten auch gerade die vormaligen Opportunisten auf jeden Fall vermeiden.

Es ist immer wieder zu hören, Knapp habe seine Stellung als Rechtsrat benutzt, um Bedrängten zu helfen. Ist das belegbar?
Inwieweit er 1933 bis 1945 Bedrängten durch Ausnutzung seiner Position geholfen hat, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden, weil konkrete, aus der Zeit belegte Fälle bislang nicht bekannt geworden sind. Seine Töchter haben zwar stets beteuert, er habe sich für Verfolgte eingesetzt. Das mag zutreffen, ich selbst habe jedoch bislang keinen beweiskräftigen Beleg für einen solchen Fall gefunden. Wir dürfen solche Fälle jedoch nicht ausschließen, zumal Knapp nach dem Krieg freundliche Briefe von rechtzeitig Emigrierten bekam. Diese Menschen sahen Franz Knapp als „guten Deutschen“, der sich nicht an Verbrechen beteiligt habe.

seemoz-Franz-Knapp-Action3Wie schätzen Sie nach den Ergebnissen Ihrer Forschungen die Tatsache ein, dass eine prominente innerstädtische Passage nach Franz Knapp benannt ist?
Auch nach damals geltenden ethischen Kriterien ist die Frage zu stellen, ob jemand – auch wenn er eindeutig kein Nationalsozialist war und eher mäßigend auf die Scharfmacher eingewirkt hat – einer Diktatur an so prominenter lokaler Stelle 12 Jahre lang dienen konnte, ohne selbst Schuld auf sich zu laden. Knapps Verhalten in der repressiven „Abwicklung“ der Synagogenbrandstiftung und in der Exekution der darauf folgenden Reichserlasse gegen die jüdischen Gemeinden ist nach meiner Einschätzung als eigenständiger Tatbeitrag zu einem Aspekt der Judenverfolgung zu werten. Er hätte die Möglichkeit gehabt, sich spätestens nach dem Terror des Novemberpogroms dieser Mitwirkung am offensichtlichen Unrecht zu entziehen – auf deutlichste Weise etwa durch einen eleganten Rückzug in den Anwaltsberuf. Der „Rechtsrat“ Franz Knapp hingegen schwieg zum offensichtlichen Verbrechen der Brandstiftung und zur Misshandlung jüdischer Konstanzer und, schlimmer noch, er beteiligte sich „pflichtgemäß“ und mit eigenen Vorschlägen an den darauf folgenden Repressionsmaßnahmen. Diese Mitwirkung wird meines Erachtens durch andere, unzweifelhaft bedeutende Verdienste Knapps in der Abwägung der „Straßennamenwürdigkeit“ nicht aufgewogen.

Soll der Gemeinderat die Franz-Knapp-Passage also umbenennen?
Das muss der Gemeinderat entscheiden! Zunächst stellt sich formal die Frage, wie mit der Ehrenbürgerschaft zu verfahren wäre. Die Verleihung der Ehrenbürgerschaft erfolgte bei der Pensionierung 1957, zu einer Zeit also, als die Mehrheit der deutschen Bevölkerung den Judenmord eilig vergessen wollte. Knapp wurde ja gerade wegen seines angeblich untadeligen Verhaltens während der NS-Jahre geehrt. Das würde man heute vermutlich differenzierter einschätzen. In Kenntnis seines damaligen Verhaltens hätte der Gemeinderat in jüngerer Zeit aber mutmaßlich keine Passage mehr nach Franz Knapp benannt. Denn man kann ja nicht ernsthaft behaupten, es komme ihm auch für heutige Generationen noch eine Vorbildfunktion zu, die durch eine Straßenbenennung prominent hervorgehoben werden müsste. Letztlich ist das aber eine geschichtspolitisch-ethische Entscheidung, die der oberste Souverän, der Gemeinderat, fällen muss, nicht der Historiker, der die Quellen befragt.

Dr. Tobias Engelsing, der an der Uni Konstanz Geschichte, Jura und Politik studierte und bei Professor Lothar Burchardt promovierte, leitet seit 2007 die Städtischen Museen Konstanz.
Das Gespräch mit ihm führte Holger Reile.

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