Frieden hat man nicht, Frieden muss man machen
Friedensjournalismus und friedenslogisch gedachte politische Diskurse bleiben immer noch Desiderat. Seit der Eskalation des Krieges in der Ukraine ist die gängige sicherheitslogische Denkens- und Handlungsart – vor allem in den sog. Leitmedien – sogar auf die abschüssige Bahn reiner Kriegslogik geraten. Da kommt das jüngst erschienene Buch „Friedenslogik verstehen“ von Hanne-Margret Birckenbach gerade recht.
Frieden als vieldimensionaler Schlüsselbegriff wird im ersten Teil des Buches als – auch institutionalisierte – politische Gegenwartsaufgabe, als weltweiter Verständigungsprozess, als integrierendes Rahmenkonzept, als veränderungsorientiertes Handlungsprojekt und als eine empirisch überprüfbare Entwicklung eingeführt.
Im zweiten Teil des Buches buchstabiert die Autorin fünf friedenslogische Handlungsprinzipien aus: das Prinzip der Gewaltprävention, die Prinzipien der Konflikttransformation, Dialogverträglichkeit der Mittel und Fehlerfreundlichkeit sowie das Prinzip der normorientierten Interessenentwicklung.
Teil drei weist an Hand von vier Beispielen – Staatsbürgerschaftskonflikte in Est- und Lettland, terroristisches Agieren in Nordirland, zivilgesellschaftliche Netzwerkbildung in Kenia und zivilgesellschaftliche Partizipation in Abrüstungsfragen, die zu einem Verbot von Minen, Streuwaffen und Atomwaffen geführt hat – nach, dass friedenslogisches Handeln auch und gerade im Unfrieden funktioniert.
Einführung in die Friedenslogik
Die allgemein verbreitete Ignoranz über Friedensarbeit und Friedenspolitik – selbst bei Politiker*innen, die sich ressortbezogen mit Friedensfragen beschäftigen (sollten) – erschreckt.
Hanne-Margret Birckenbachs Buch gibt eine allgemeinverständliche Einführung in friedenslogisches Denken und Handeln. Zahlreiche Handlungsformate und Methoden der Friedensarbeit werden überblicksartig vorgestellt. Beispiele füllen sie mit Leben. Eine Stärke des Buches besteht darin, dass es auf flache Tagesaktualität verzichtet. Die Handlungsprinzipien der Friedenslogik gelten immer und überall, auf allen Ebenen der Gesellschaft, in der Familie wie in der Politik.
Dem Leser, der Leserin wird es nicht schwerfallen, selbst Verbindungen zum Zeitgeschehen herzustellen. So erscheint mir das Prinzip der normorientierten Interessenentwicklung von besonderer Aktualität. Es hebt den Widerspruch zwischen Ethik und der Verfolgung von Eigeninteressen auf. Normen und Interessen können durch Interessensdifferenzierung in gesamtgesellschaftlichen Diskursen und spiralförmigen Entwicklungsprozessen eng miteinander verwoben werden.
Doppelmoral der Politik
Der Top-Down-Ansatz der „wertebasierten Außenpolitik“ der jetzigen Bundesregierung versucht universale Normen mit rhetorischer Konfrontation und Zwangsmitteln wie Sanktionen und scharfem Bellizismus durchzusetzen. Diese Doppelmoral ist nicht nur ein performativer Widerspruch. Neokolonial-imperialistische Handlungstendenzen und Kriege sind die Folge. Normorientierte Interessenspolitik bedarf zwingend der Ergänzung durch Gewaltprävention, Konflikttransformation, Dialogverträglichkeit und Fehlerfreundlichkeit der Mittel, um friedensförderlich zu sein.
Das Buch ist streckenweise eher politikwissenschaftlich ausgerichtet. Wünschenswert wären zusätzliche einführende Publikationen, die Friedenslogik aus sozialpsychologischer und soziologischer Perspektive beleuchten. Aber schon in diesem Band wird deutlich: Frieden hat man nicht – Frieden muss man machen. Wie das geht, beantwortet das Buch „Friedenslogik verstehen“.
Text: Brigitte Ehrich M.A., Bild: Panzerkuppel Fort Froideterre von Signalschwarz auf Pixabay
Hanne-Margret Birckenbach, Friedenslogik verstehen: Frieden hat man nicht, Frieden muss man machen, Wochenschau Verlag, Frankfurt/Main 2022, ISBN 978-3734415395, 22,90 Euro.