Frust und Trutz im Karstadt-Endspurt
Die Einigung um einen Verkauf der Karstadt-Kaufhäuser ist auf der Zielgeraden. Im seemoz-Gespräch schildert Ulrike Wuhrer, Betriebsrats-Vorsitzende von Karstadt Konstanz, die scheußliche Situation der Beschäftigten: „Seit Monaten leben wir zwischen Hoffnung und Frust. Das ist kaum noch auszuhalten. Aber so oder so: Wir geben uns nicht kampflos geschlagen, “ sagt Ulrike Wuhrer und spart dabei auch nicht mit Kritik an der Gewerkschaft.
Der 28. Juli ist Stichtag. Dann entscheidet der Gläubigerausschuss, ob eine Einigung zwischen dem kaufwilligen Milliardär Berggruen und der Gläubigergruppe Highstreet tragfähig ist. In den drei Wochen danach entscheidet dann das Amtsgericht, ob der Karstadt-Konzern in Insolvenz geht oder möglicherweise zerschlagen wird. Gibt es Schlimmeres als eine solche Situation der Unsicherheit für die Kollegen?
Die Unsicherheit ist greifbar. Das ist die dritte Terminverschiebung während dieser Verhandlungen; seit Monaten leben wir zwischen Hoffnung und Frust. Das ist kaum noch auszuhalten.Wie sollen die Kolleginnen und Kollegen da noch planen können? Kann ich die Rechnungen auch noch zum nächsten Ersten zahlen? Leiste ich mir eine neue Wohnung? Darf ich jetzt in Urlaub fahren? Das sind 1000 Unsicherheiten neben der einen großen, der Angst um den Arbeitsplatz. Immerhin droht uns die größte Insolvenz, die Deutschland je erlebt haben dürfte. Und wir, die Beschäftigten, können kaum etwas tun. Ein wenig erinnert das an das Kaninchen, das sich vor der giftigen Schlange duckt.
Der smarte Herr Berggruen erweckt den Eindruck, nur Gutes für Karstadt und seine Beschäftigten tun zu wollen. Was ist Dein Eindruck von dem Mann?
Machen wir uns nichts vor. Auch Nicolas Berggruen ist Kapitalist, auch für ihn ist die Karstadt-Investition zunächst einmal ein Geschäft, in dem er Geld, viel Geld, verdienen will. Und das Gerücht, er wolle den Konzern aufteilen, ist schließlich noch nicht vom Tisch. Die Highstreet-Gruppe, letzter Berggruen-Konkurrent vor der Zuschlagserteilung, hatte immerhin eine Mitarbeiter-Beteiligung ins Spiel gebracht. Davon war bei Berggruen nichts zu hören.
Seit Wochen dreht sich der Streit um die Höhe der Mieten für die Warenhäuser. Da spielt auch der ehemalige Karstadt-Chef Middelhoff eine undurchsichtige Rolle. Er soll persönlich an den Miterhöhungen mitverdienen…
… und die Staatsanwaltschaft hat gegen ihn deshalb ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue eingeleitet. Doch für uns Beschäftigte ist das nur eine – allerdings ärgerliche – Nebensache. Für uns bleibt die Hauptsache: Wer sichert unsere Arbeitsplätze? Wer zahlt zukünftig unseren Lohn? Und das wird sicher nicht Herr Middelhoff sein. Sondern Herr Berggruen oder Herr Ackermann, denn die Deutsche Bank ist neben US-amerikanischen Banken die starke Kraft hinter dem Highstreet-Konsortium.
Doch auch Betriebsräte und Gewerkschaft ließen Federn in den monatelangen Auseinandersetzungen. So wurde dem Gesamtbetriebsratschef Hellmut Patzelt ein Deal vorgeworfen: Er soll Zugeständnisse angeboten haben, wenn nur „sein“ Betrieb ungeschoren davonkommt.
Das sind gezielt gestreute Gerüchte, an denen überhaupt nichts dran ist. Ich arbeite seit Jahren im Gesamtbetriebsrat mit dem Kollegen Patzelt äußerst vertrauensvoll zusammen. Solche Verunsicherungen, auch Verunglimpfungen, erlebt man immer wieder in Verhandlungen, bei denen es um soviel Geld, um so viel Einfluss und Macht geht. Aber wahr ist auch: Wir Betriebsräte, wobei ich meine Kolleginnen und Kollegen hier in Konstanz ausdrücklich ausnehme, schaffen es flächendeckend nicht mehr, die Reihen der Beschäftigten zu schließen. Dafür hat das Management und der Insolvenzverwalter gesorgt. Leider ist genau das passiert, was in solchen Situationen nicht passieren sollte: Die Betriebsräte sind mehr miteinander beschäftigt als mit der Gefahr für unsere Arbeitsplätze. Und der Frust unter den Beschäftigten ist, auch deshalb, riesengroß.
Meint diese Kritik auch die Gewerkschaft ver.di?
Leider ja. Da wurden seitens der Gewerkschaft einige Zugeständnisse gemacht, die mit uns Betriebsräten vorab nicht abgestimmt waren. Das hat viele – auch mich – enttäuscht.
Kommt zu dem Frust nicht auch ein wenig Trutz?
Richtig. Kampflos werden wir uns unsere Arbeitsplätze nicht nehmen lassen. Doch noch hoffen wir auf eine gütliche Einigung. Damit das Harren und Bangen endlich vorüber ist.
Vielen Dank, Kollegin Wuhrer, für dieses Gespräch. Und alles Gute für den 28. Juli.
Autor: Hans-Peter Koch