Fußgänger und Radfahrer vor Corona schützen
Zahlreiche Verbände und Initiativen von ADFC und VCD bis hin zu Ciclo haben sich teils gemeinsam in offenen Briefen an Bund, Land sowie auch den Konstanzer Oberbürgermeister gewendet. Sie fordern die Verantwortlichen dazu auf, umgehend Vorgaben zur schnellen und rechtssicheren Einrichtung coronasicherer Rad- und Gehwege zu erlassen. Viele vorhandene Wegen seien einfach zu schmal, als dass es möglich wäre, den gebotenen Sicherheitsabstand zu halten.
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Corona ist noch längst nicht vorbei, aber schon jetzt lassen sich erste Lehren aus der Pandemie ziehen: Viele Einrichtung sind bisher nicht dafür ausgelegt, die Menschen vor einer möglicherweise lebensbedrohlichen Infektion zu schützen, weil sie es unmöglich machen, sich weit genug auszuweichen. Viele Fuß- und Radwege etwa sind einfach zu schmal. Doch nicht zuletzt der massiv reduzierte Autoverkehr eröffnet nach Ansicht der UnterzeichnerInnen der beiden Briefe die Chance, eine im wahrsten Sinne des Wortes gesündere Aufteilung von Verkehrsflächen vorzunehmen, und das umgehend.
Wir dokumentieren hier zwei offene Briefe. Der erste wurde von Zweirat Stuttgart verfasst und von zahlreichen Initiativen und Verbänden unterschrieben. Den zweiten hat Ciclo an Uli Burchardt geschickt.
Offener Brief von Zweirat an Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann
Sehr geehrter Herr Minister Winfried Hermann,
die Coronakrise und die Kontaktbeschränkungen verändern die persönliche Mobilität aller Menschen in Deutschland deutlich. Während der private Autoverkehr stark zurückgegangen ist, sind – auch der Empfehlung des Bundesgesundheitsministers folgend – immer mehr Menschen auf dem Rad und zu Fuß unterwegs. Für diese spürbaren Veränderungen der Verkehrsmittelwahl ist die Raumaufteilung auf der Straße jedoch nicht ausgelegt. Damit der empfohlene Sicherheitsabstand auf der Straße eingehalten werden kann, braucht es daher dringend eine schnelle Veränderung der Aufteilung des Straßenraums.
Bürgerinnen und Bürger, die jetzt aufs Rad umsteigen, brauchen leicht zu findende und sichere Wege. Auch zu Fuß gehende Menschen brauchen dringend mehr Platz auf den Gehwegen, um den Sicherheitsabstand einhalten zu können. Nur so können notwendige Wege sicher zurückgelegt werden. Auch wenn die Verantwortung für die Umsetzung auf kommunaler Ebene liegt, geht es nicht ohne die Landespolitik – es geht nicht ohne Sie und Ihren Beitrag! Sie als Minister für Verkehr können den Kommunen mit entsprechenden Leitfäden, gesetzlichen Rahmenbedingungen und finanzieller Beschleunigung helfen.
Dem Brief der Radentscheide und Initiativen aus ganz Deutschland an Bundesminister Andreas Scheuer folgend bitten wir Sie daher: Setzen Sie sich dafür ein, dass Kommunalverwaltungen schnell und einfach ein rad- und fußverkehrsfreundliches Wegenetz innerhalb und zwischen den Kommunen einrichten können. Schaffen Sie die regulatorischen Rahmenbedingungen, damit Straßen schnell und unproblematisch umgestaltet werden können. Geben Sie aus Baden-Württemberg das Signal, dass Verkehrspolitik ein wichtiger Beitrag für die Gesundheit der Menschen ist!
Die Kommunen kennen geeignete Straßen und Wege, um ein Netz pandemiegerechter Straßen einzurichten, aber es fehlt ihnen die rechtliche Sicherheit und der Auftrag der Landesregierung zu handeln. Mit der Unterstützung der Landesregierung können diese trotz geringer personeller Kapazitäten überall schnell und einfach Realität werden. Dafür braucht es Rechtssicherheit für die zu ergreifenden Maßnahmen. Nur so kann schnell agiert werden.
Wir bitten Sie daher, die Kommunalverwaltungen durch die zügige Bereitstellung von Leitfäden bei der provisorischen Umgestaltung von Straßen zu unterstützen, um sicheren und Fuß- und Radverkehr durch eine qualitativ hochwertige Infrastruktur zu ermöglichen. Wo die rechtlichen Rahmenbedingungen dies noch behindern, bitten wir Sie, entsprechende Verordnungen zu erlassen oder pragmatische Lösungen, auch mit Ihren Kolleginnen und Kollegen auf Bundes- und kommunaler Ebene, zu finden.
Die wichtigsten Maßnahmen, die Kommunen schnell ermöglicht werden sollten, sind:
– Gehwege temporär verbreitern: Wo Fußwege zu schmal sind, sollten sie durch Markierungen auf den Fahrbahnen erweitert werden. Auch das Verlegen von Hochbordradwegen und Parkplätzen von den Fußwegen auf die Fahrbahnen hilft schnell und einfach, um Fußwege zu verbreitern.
– Verlegung von Radverkehr auf die Fahrbahn: Wo Radverkehr derzeit über Gehwege geführt wird, kann er auf die Fahrbahn verlegt werden, damit Platz auf Fußwegen geschaffen wird. Dazu eignen sich sowohl temporäre Radstreifen als auch die Einrichtung von temporären Fahrradstraßen.
– Temporäre Radfahrstreifen auf der Fahrbahn: Breite und gut erkennbare temporäre Radstreifen (Pop Up Bike Lanes) helfen auch Neu-Radfahrenden, sichere Wege durch die Stadt zu finden.
– Straßen für den Rad- und Fußverkehr öffnen: Die Umwandlung ausgewählter Straßen in Zonen ohne Autoverkehr bzw. mit stark reduziertem motorisierten Verkehr schafft zusätzlichen Platz und Verkehrssicherheit.
– Temporäre verkehrsberuhigte Straßen: Maßnahmen wie der Einsatz modaler Filter oder Verengungen der Fahrbahn können kurzfristig Wirkung zeigen. So können sich Radverkehr und zu Fuß gehende Menschen bestmöglich auf der Straße verteilen und Bewegung vor der Tür in ausreichendem Abstand zu anderen Menschen wird möglich. Provisorische Verkehrsberuhigung hilft auch bei der Entlastung von Parks und zur Ermöglichung von Bewegung ohne Ansteckungsgefahr.
– „Bettelampeln“ umprogrammieren: Durch eine Vorrangschaltung für Rad- und Fußverkehr wird das Berühren des Anforderungstasters sowie das Bilden von Gruppen, die auf Grün warten, vermieden.
– Grünphasen für nicht-motorisierten Verkehr verlängern: Da aktuell deutlich mehr Menschen auf Fahrrädern und zu Fuß unterwegs sind, braucht es für sichere Kreuzungssituationen mehr Zeit in den Grünphasen. Kurze Grünphasen sind kontraproduktiv, da viele Menschen sich eng zusammendrängen müssen, um die Straße rechtzeitig überqueren zu können.
– Temporäre Geschwindigkeitsreduktion: Korridore mit Tempo 30 reduzieren die Unfallgefahr und bewirken dadurch auch Entlastung von Krankenhäusern.
– Märkten unter freiem Himmel mehr Platz geben: Wochenmärkte sollten auf angrenzende Flächen wie Straßen oder Parkplätze erweitert werden, um genügend Raum für Warteschlangen mit Abstand zu schaffen.
Mit freundlichen Grüßen
i.A. Zweirat Stuttgart
Offener Brief von ciclo an Uli Burchardt
Sehr geehrter Herr Burchardt,
zahlreiche Initiativen haben sich unter dem Dach von Zweirat Stuttgart an den baden-württembergischen Verkehrsminister gewandt. Darin wird die Forderung erhoben, Vorgaben zur schnellen, rechtssicheren Einrichtung coronasicherer Rad- und Gehwege zu generieren. Das binationale Aktionsbündnis Konstanz Kreuzlingen hat diesen Brief mit unterzeichnet und unterstützt diese Forderungen.
In diesem Brief werden auch einige organisatorische Methoden genannt, wie diese Umwidmung methodisch/technisch erfolgen kann. Aus Sicht von Ciclo ist das Bestechende an den Maßnahmen, dass „zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen werden können“: Zum einen wird der Gesundheitsschutz der Bevölkerung erhöht und zum anderen wird durch die provisorische Umwidmung von Autofahrspuren eine verkehrsberuhigtere Stadt unmittelbar erleb- und anschließend auch kognitiv verarbeitet auch erfahrbar.
Diese Chance in der aktuellen Krise ist einmalig! Hierin liegt nicht weniger als das Potenzial, eine Verkehrswende „plastisch abzubilden“ und die Bevölkerung von Konstanz an die Vorteile derselben sanft heranzuführen.
Führende Fachleute im Bereich Radverkehr schätzen, dass 60% der deutschen Bevölkerung sich nicht sicher genug auf dem Fahrrad fühlen, jedoch als Gruppe der Radfahr-Interessierten gelten. Diese Gruppe kann jetzt insbesondere durch Weitererschließung provisorischer Protected Bikelanes für eine Verkehrswende gewonnen werden. Nur durch die Herstellung eines weitreichenden, lückenlosen, sicheren und komfortablen Radwegenetzes nach niederländischem Vorbild kann aus unserer Sicht die Herkulesaufgabe einer Verkehrswende bewältigt werden.
Jetzt kommt es vor allem auf Ihre Unterstützung und die der Stadtverwaltung an. Ich möchte in diesem Zuge auch Herrn Fischer und Herrn Gaffga freundlich um Mithilfe bitten.
Wir fordern Sie daher in aller Form und Höflichkeit auf, gerade nach Ausrufung des Klimanotstandes diese Initiativen als auch Ciclo zu unterstützen und zahlreiche weitere coronasichere, provisorische Rad- und Fußwege in Konstanz zu entwickeln.
Gerne verbleiben wir mit guten Wünschen gerade in Bezug auf Gesundheit und Bewältigung der Krisenzeit und senden schöne Grüße
Nobert Wannenmacher
i.A. für CICLO Konstanz Kreuzlingen
Aktionsbündnis für eine lebenswertere Stadt
MM/red (Bild: O. Pugliese)
https://zweirat-stuttgart.de/2020/04/15/offener-brief-an-bw-verkehrsminister-winfried-hermann/
https://ciclo-de.jimdo.com
@Nils Jansen,
der Studienleiter den Sie zitieren sagt aber auch dass er keine Ahnung hat was seine Ergebnisse schlussendlich für die Infektionsgefahr bedeuten. Das RKI geht davon aus, dass man entweder über einen längeren Zeitraum den Viren exponiert sein muss, oder die Virenkonzentration durch Husten oder Niesen sehr hoch sein muss.
Als Hobbyrennradfahrer sag ich mal flappsig, es trifft dann wohl am Ehesten die Windschattenlutscher…jetzt bitte nicht so ernst nehmen ich weiß es geht um Leben oder Tod…
Beim Gehen, Joggen und Radfahren sollten die Platzverhältnisse erlauben, dass man mehr Abstand hält. Im Windschatten halten sich die Tröpfchen aus der Atemluft länger in kritischer Höhe, sagt die aerodynamische Studie eines belgischen Forschers: https://www.zeit.de/sport/2020-04/corona-studie-abstand-joggen-infektionsschutz-gert-blocken/komplettansicht
Ich lach mich tot. Pandemiesichere Radstreifen. Das RKI hat erstaunlicherweise ein Bulletin zur sog. Reproduktionszahl veröffentlicht, welches belegt, dass der Lockdown unverhältnismäßig, wenn nicht gar überflüssig war und dass er auch nicht weiter zielführend ist.
Dass die Verkehrswende kommen muss, will ich nicht bestreiten, eine Verkehrspriorisierung wie in Dänemark wäre ein Traum. Dass man nun aber auf den hysterischen Coronazug aufspringt, da bekomme ich persönlich Fremdscham. Statt Pandemiesichere Radwege zu fordern, sollten wir lieber den Lockdown beenden und wieder demonstrieren gehen. Für den Verkehrswandel müsste man nämlich dringend die Kohle von der Automobilbranche und den Luftfahrtgesellschaften zurückfordern. Es sei denn, man meint natürlich, man könne sein ökologisches Gewissen durch Carsharing, E-Bikes und CO2-kompensierte Flugtickets beruhigen …