Gabriels Halbwahrheiten
Vergangenen Montag warb Außenminister Sigmar Gabriel auf dem Konstanzer Münsterplatz für die SPD. Das „Konstanzer Bündnis für gerechten Welthandel – gegen TTIP, CETA und TiSA“ war auch dort – mit einem Transparent und Anti-CETA-Fahnen. Gabriel nutzte den Auftritt für ein Plädoyer zugunsten des EU-Kanada-Handelsabkommens. Und stellte ein paar Behauptungen auf, die nicht so stehen bleiben dürfen.
1. Behauptung: Die Wirtschaft ist auf die geplanten EU-Handelsabkommen angewiesen. Fakt: Die Unternehmen sind bisher ohne Abkommen ausgekommen, die nichttarifäre Handelshemmnisse (wie Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitsschutz) abbauen; die deutsche Ökonomie ist auch so Exportweltmeisterin. Dazu kommt: Die expansive Wachstumspolitik der EU (Europa soll „der wettbewerbsfähigste und dynamischste Wirtschaftsraum in der Welt werden“, so die EU-Lissabon-Strategie) zerstört den Planeten.
2. Behauptung: Wir hätten gern neue Regeln im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO getroffen. Aber das war leider nicht möglich. Fakt: Seit dem WTO-Gipfel 1999 in Seattle stecken die Verhandlungen fest – weil die größeren Schwellen- und Entwicklungsländer nicht mehr den übertriebenen Freihandelszielen der Industriestaaten nachkommen. Wenn die Staaten des Nordens dem globalen Süden entgegen kämen, wäre ein Fortschritt in der WTO denkbar.
3. Behauptung: Wenn nicht wir die Regeln für den globalen Handel setzen, tun das andere – und dann wird es schlimmer. Fakt: Die Drohung („ich sage nur China!“) ist seit Jahren bei PolitikerInnen beliebt, aber wenig belegt. Regeln werden entweder von allen durchgesetzt – oder von den mächtigsten Playern. Die ostasiatischen Staaten zum Beispiel sind noch weit davon entfernt, internationale Maßstäbe zu setzen; sie sind dazu nicht in der Lage.
4. Behauptung: CETA ist ein fortschrittliches Abkommen; schließlich wurde es mit Kanada vereinbart, das europäischer ist als viele EU-Staaten. Fakt: Als US-Präsident Donald Trump die Ölpipeline Keystone XL bewilligte, die sein Vorgänger Barack Obama nach langem Streit gestoppt hatte, war Kanadas Ministerpräsident Justin Trudeau der erste Gratulant. (Siehe: Wie entscheidet die EU-Sozialdemokratie?)
5. Behauptung: Abkommen wie CETA verhindern, dass die großen Handelsakteure die kleinen dominieren; mit ihnen wird die Welt gerechter. Fakt: Bei den geplanten Economic Partnership Agreements (EPAs) mit afrikanischen Staaten ist es genau anders herum: Hier zwingt die mächtige EU die armen afrikanischen Staaten zur Öffnung ihrer Märkte für Billigwaren aus dem EU-Raum. Siehe: EPAs: Neokoloniale Erpressung.
6. Behauptung: CETA ist nicht so wichtig, schließlich macht der EU-Handel mit Kanada gerade mal zwei bis drei Prozent des gesamten Außenhandels aus. Fakt: Mit CETA kommt TTIP durch die Hintertür. Rund 41 000 US-Unternehmen haben eine Niederlassung in Kanada – und können daher die Vorteile nutzen, die CETA den profitorientierten Unternehmen bietet.
7. Behauptung: Der mit CETA geplante Handelsgerichtshof für Investorstreitigkeiten ist ein großer Fortschritt. Fakt: Das vorgesehene ICS-Gericht ist tatsächlich besser als die bisherigen, privaten Schiedsstellen: Es tagt öffentlich, die Urteile sind anfechtbar, das Personal ist unabhängiger. Gleichwohl ändert dies nichts an der Bevorzugung von internationalen Konzernen, die jetzt einen eigenen Gerichtshof bekommen, um Staaten zu verklagen. Und es gibt weitere Defizite, wie eine Analyse zeigt: Das Investitionsschutz-Kapitel im EU-Kanada-Freihandelsabkommen (CETA): Eine kritische Analyse.
Zudem hat sich der Deutsche Richterbund ganz entschieden gegen das Sondergericht ausgesprochen: Es gebe dafür „weder eine Rechtsgrundlage noch eine Notwendigkeit“ (siehe: Stellungnahme zur Errichtung eines Investitionsgerichts für TTIP).
8. Behauptung: Ein Investitionsgericht dient nicht den großen Unternehmen, sondern dem Mittelstand, der sonst nicht zu seinem Recht käme. Fakt: Eine Klage kostet Millionen und kann sich lange hinziehen (siehe: Wie Sie mit Ceta abkassieren). Das zeigt nicht zuletzt die Klage von Vattenfall gegen die Bundesrepublik (siehe: Die Kanonenboote des 21. Jahrhunderts).
9. Behauptung: Das Prinzip Vorsorge statt Nachsorge ist fest verankert, es steht sogar in der Präambel des CETA-Vertrags. Fakt: Die Präambel ist eine reine Absichtserklärung, die nicht bindend ist. Im Vertragstext selber wird das in Europa geltende Vorsorgeprinzip (nur getestete Produkte dürfen auf den Markt kommen) nur sehr vage erwähnt. In Kapitel 21 ist zum Beispiel davon die Rede, dass die Parteien nach Möglichkeit eine „gemeinsame wissenschaftliche Basis“ schaffen sollen. Das bedeutet, dass das in Kanada und den USA verbreitete Nachsorgeprinzip (erst wenn ein Produkt Schaden angerichtet hat, wird es vom Markt genommen) ebenfalls berücksichtigt werden kann. Siehe dazu: CETA – Lesen und verstehen.
10. Behauptung: CETA schützt die Rechte der Beschäftigten. Fakt: In einer gemeinsamen Erklärung haben der Canadian Labor Congress und der DGB darauf hingewiesen, dass „CETA die Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht ausreichend schützt“ und dass die Gewerkschaften den Vertrag „in seiner derzeitigen Form ablehnen“. Siehe: CETA: nachbessern!
11. Behauptung: Wer gegen CETA ist, hat den Vertragstext nicht gelesen. Das ist eine Unterstellung.
12. Behauptung: Die Bewegung gegen die Handelsabkommen ist zu ängstlich. Sie könnte stolz auf das Erreichte sein. Übersetzt heißt das: Ihr malt den Teufel an die Wand, wir haben inzwischen verstanden und werden das Beste tun. Aber kann man den PolitikerInnen wirklich vertrauen?
Immerhin hat Gabriel zugestanden, dass das geplante japanisch-europäische Freihandelsabkommen JEFTA (siehe: Fünf Argumente gegen JEFTA) vor allem in Sachen Investitionsschutz erheblich verbessert werden muss. Fazit: Das Konstanzer Bündnis wird auch beim nächsten Gabriel-Besuch mit Anti-CETA-Fahnen dabei sein.
Pit Wuhrer