Ganz normale Wirrköpfe

Die Corona Rebellen haben die Schnauze voll und wollen sich von denen da oben nichts mehr sagen lassen. Deutschland befinde sich auf dem Weg in eine Diktatur, die Mundschutzpflicht sei schlimmster Auswuchs dieser Entwicklung und die von der Regierung geschürte Angst vor dem Virus sowieso ein „Fehlalarm“, waren nur einige der messerscharfen politischen Analysen an der Demonstration im Konstanzer Stadtgarten.

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Corona Rebellen leben gefährlich, das ist klar. An der von einigen Privatpersonen angemeldeten Demo wollen darum weder Veranstalter noch Teilnehmende ihre vollen Namen sagen. Von der Bühne kommt gleich zu Beginn die Aufforderung, bei Diskussionen Masken zu tragen – nicht wegen Ansteckungsgefahr, sondern um Gesprächspartner nicht zu verängstigen. Blaue Punkte auf dem Kies markieren den Sicherheitsabstand und nicht Wenige tragen einen Zollstock mit sich, augenzwinkernd, versteht sich. „Wir wollen informieren, nicht provozieren“, erklärt eine Moderatorin. „Seid friedlich und respektvoll.“ Corona Rebellen passen sich an!

„Glaubt wenig, hinterfragt alles, denkt selbst“

Rechtsradikal sei hier niemand, sagt Matthias, und der Aufmarsch sei auch nicht von der AfD gelenkt. „Ich bin nicht rechts. Ich bin in keiner Partei“, stellt er klar. „Ich bin Mensch.“ Die Mundschutzpflicht sei in seinen Augen entwürdigend. Auch biete das Stück Stoff keineswegs Schutz, im Gegenteil: „Der Mundschutz ist eine Virenschleuder. Das bestätigt Ihnen jeder Mediziner, der den Namen verdient. Meine Partnerin ist Ärztin, sie sagt das auch.“ Er wehre sich dagegen, als Verschwörungstheoretiker verunglimpft zu werden, sagt Matthias. Die Öffentlichkeit sollte sich mit den Analysen und Bedenken der Demonstrierenden auseinandersetzen, statt sie pauschal abzukanzeln. „Glaubt wenig, hinterfragt alles, denkt selbst“, fordert er die Anwesenden auf, in Anlehnung an den Titel des Bestsellers von Albrecht Müller, Herausgeber der einschlägigen Plattform „NachDenkSeiten“.

Im Publikum verteilt derweil ein als „Dr. Gates“ verkleideter Mann gratis Impfungen mit einer Riesenspritze. Vor der Bühne trägt ein Mann den Slogan „Gib GATES keine Chance – Don’t pay the BILL!“ spazieren.

Corona Deception Unit

Den Ball seines Vorgängers greift Nico DaVinci auf. Man müsse ja aufpassen, was man sagt heutzutage, in diesem Deutschland, das nur noch zwei Meinungen kenne, „Merkel oder Aluhut.“ Dabei seien hier weder Rechtsradikale noch Verschwörungstheoretiker anwesend. Verständlich, wenn da einige die Bezeichnung „Wirrkopf“ fast schon mit Stolz trügen. DaVinci warnt vor den Langzeitfolgen des Lockdowns, besonders für Kinder. Die Zahlen rechtfertigten die Massnahmen nicht. Er prangerte Zensur an: „Alles, was nicht der genehmigten Meinung entspricht, wird aus den Sozialen Medien gelöscht.“ Bei ihm wecke das Erinnerungen an die Diktatur in Argentinien, wo tödliche Attentate durch die Regierung verübt worden seien. Merkel und Co. seien auf dem Weg dorthin. „Die Corona Deception Unit (CDU) nenne ich das“. Er werde gegen „Willkür, Gewalt und Hoffnungslosigkeit“ kämpfen. „Meine Kinder werden nicht in einer Diktatur aufwachsen.“

Das wirft dann doch Fragen auf. Letztens durfte Xavier Naidoo in einem Video über eine der abgedrehtesten Verschwörungstheorien überhaupt informieren: Adrenochrome. Er behauptet, eine mächtige Hollywood-Elite würde Kinder rauben, quälen und ihnen Blut abzapfen, um daraus die gleichnamige Droge herzustellen. Jetzt sei alles ans Licht gekommen, weil sich etliche prominente User durch den Stoff mit Covid-19 infizierten. Wie passt das denn bitte nochmal zusammen mit einer herbei phantasierten „Meinungsdiktatur“? Warum darf der so einen Schwachsinn verzapfen? Ist es heute nicht vielmehr so, dass jeder Depp ein Podium für seinen Stuss findet? Ist nicht diese ganze Veranstaltung hier ein Beweis für das schiere Gegenteil?

DaVinci betreibt unter seinem Pseudonym einen Blog und bezeichnet sich selbst als „SlowCarb Experte, Futter-Rebell und Autor“. Er habe Angst, wegen seiner investigativen Recherchen angefeindet zu werden, darum will er lieber anonym bleiben. Leider konnten wir meine Fragen nicht zu Ende diskutieren; er gibt mir seine Telefonnummer für später.

Die Demonstration erreicht inzwischen mehr Menschen als die rund 200 Teilnehmenden, immer wieder bleiben Passant*innen stehen und hören zu. Zwei junge Männer beugen sich über Flyer, die DaVinci nach seiner Rede vor der Bühne ausgelegt hat. Sie können sich das Grinsen nicht verkneifen. Auch eine Handvoll Gegendemonstrant*innen ist gekommen. „Solidarität=Widerstand“, steht auf ihrem Transparent. „Gegen Herrschaft, Ausbeutung, Verschwörungstheorien.“

Die Querdenker hingegen verteilen Ausgaben der Zeitung „Demokratischer Widerstand“. Darin teilt die Redaktion um den Berliner Theatermann Anselm Lenz ihre Ansichten mit: „Für sie ist die gegenwärtige Medizinkrise (…) ein Griff zur Macht eines fanatischen Polit-, Medien- und Konzernkartells“. Die Regierung setze „V-Leute“ ein, um die bundesweiten Demonstrationen zu verunglimpfen. Darüber mit der Presse reden wollen einige Demonstrant*innen lieber nicht. Eine junge Frau mit Schild um den Hals („Freiheit? Ja bitte!“) schaut erst wie ein Auto, dann dreht sie sich demonstrativ weg.

Gerry Mayr (Foto) tritt wenigstens unter vollem Namen auf. Der Weltenbummler und Inhaber eines Motorradshops in Konstanz kann die Mundschutze nicht mehr sehen. In seinem Laden dürfen Kund*innen jedenfalls auch ohne einkaufen. Er bagatellisiert die Gefährlichkeit des Virus: „Wo ist denn die Pandemie? Wo sterben denn die Menschen? Ich sehe sie nicht!“, ruft er. Und selbst wenn es so wäre: na wenn schon. „Wir sind nicht für die Ewigkeit gemacht.“ Seine Forderungen bringt er auf den Punkt: Deutschland soll die WHO verlassen und „Drosten soll die Koffer packen und sich einen neuen Job suchen.“ Als er von der Bühne geht, fistbumped er den Kameramann erleichtert; er ist augenscheinlich kein routinierter Redner. Aber wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht … Nach Gerry ist eine Frau an der Reihe, die sagt: „Alte Menschen sterben irgendwann“, so sei nun mal der Lauf der Dinge. Sie warnt vor Impfungen: „Eltern sollen selbst entscheiden, ob sie ihre Kinder impfen lassen.“ Jetzt langt es dann doch; bevor ich allerdings den Absprung schaffe, komme ich noch mit Markus ins Gespräch, von Beruf Pfleger, er kennt sich aus. Xavier Naidoo geht auch ihm einen Schritt zu weit, aber das mit dem Impfen sieht er sehr kritisch, unter anderem wegen den Nebenwirkungen. Dass es in Deutschland Zensur gebe, steht fest. „Auf Youtube werden Videos von Dr. Bhakdi gelöscht, weil er eine andere Meinung hat.“ Der junge Mann schaut als Ordner nach dem Rechten, es ist die erste Demo überhaupt in seinem Leben.

Diktatur ist nicht gleich Diktatur

Gibt es nicht zig dringendere Gründe, um auf die Strasse zu gehen, als eine fucking Mundschutzpflicht im Supermarkt, wenn sich ein tödlicher, neuartiger Virus verbreitet, meinetwegen sogar, um gegen Leinenpflicht für Hunde im Park zu demonstrieren? „Ein Mundschutz bringt nichts, er ist sogar schädlich“, berichtigt mich Markus. „Viele Menschen können damit nicht atmen.“ Und sieht so denn eine Diktatur aus? Die Sonne glitzert auf dem Wasser, Ausflügler flanieren, junge Leute sitzen im Gras und trinken Bier. Von der Bühne tönt der Evergreen „Hejo, spann den Wagen an“, etwas abseits meditieren Protestler*innen im Lotussitz. „Im digitalen Zeitalter sieht eine Diktatur vielleicht gar nicht aus wie eine Diktatur“, gibt er mir zu bedenken.

Netterweise zeigen mir Markus und Gianni alias „Dr. Gates“ noch, wie man sich in den einschlägigen Telegram-Gruppen anmeldet. Bei den Corona Rebellen Landkreis Konstanz und Bodensee kommt seltsamerweise eine Fehlermeldung. Es gelingt mir nicht, beizutreten. „Vielleicht“, so die Erklärung von Markus, „hat die Polizei die Gruppe bereits gesperrt.“

Stefan Böker (Bilder: Stefan Böker, AB)

Auch in Kreuzlingen war für Samstag, 14 Uhr, eine Demonstration der Gruppe „Corona Rebellen Schweiz“ angekündigt. Am vereinbarten Treffpunkt, dem Hauptzoll, ließ sich allerdings keine Menschenseele blicken. Stattdessen nutzten Bürger*innen beider Länder den erst am Vorabend wieder geöffneten Grenzübergang, um Verwandte zu besuchen. Mit einer Selbstdeklaration (Vordruck im Netz) ist dies neuerdings erlaubt.