Gedenktafel für Martin Katschker kommt
Erstaunlich kontrovers wurde im Gemeinderat über die Gedenktafel für Martin Katschker debattiert, der am 29. August 1970 am Blätzeplatz Opfer des „Gammlermordes“ wurde, nachdem es zuvor massive Hetze gegen alternative junge Menschen gegeben hatte und die Verwaltung abgetaucht war. Der damalige OB Bruno Helmle, selbst Ex-Nazi, könnte gar die NPD zum Aufstellen einer Bürgerwehr ermutigt haben. An die Tat und ihren historischen Hintergrund soll durch eine geeignete Gedenkstätte erinnert werden.
Es ist eine der spektakulärsten Gewalttaten der neueren Zeit in Konstanz: An einem Samstagabend ging der angetrunkene Hans Obser mit einem Hasentöter an den Blätzebrunnen neben dem Hertie (heute Karstadt), wo sich einige junge Leute versammelt hatten, und erschoss nach einem kurzen Wortwechsel den 17-jährigen Lehrling Martin Katschker, der dort mit Freunden auf einer Bank saß. Obser, der schon fünf Vorstrafen kassiert hatte und wegen seines Alkoholkonsums öfter seinen Arbeitsplatz wechseln musste, erhielt drei Jahre Freiheitsstrafe wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Nötigung und musste nur rund die Hälfte davon absitzen. Er starb 1988 in Konstanz.
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War der Täter ein Faschist?
Zu diesem Fall und seinen zeitgeschichtlichen Hintergründen hat Jürgen Klöckler, Leiter des Stadtarchivs und Professor für Geschichte, ein äußerst lesenswertes Gutachten verfasst, das den Einzelfall in den Kontext eines gesellschaftlichen Klimas in Konstanz stellt, das durch eine massive öffentliche Hetze gegen „Gammler, Blumenmädchen und Hippies“ geprägt war. Dabei tat sich vor allem der erst jüngst verstorbene Lokalpolitiker Walter Eyermann hervor, der im Bürgerausschuss saß und aus seinem Herzen keine Mördergrube machte. Als er anbot, mit 40 Bürgern die „Gammler“ aus dem Stadtgarten zu vertreiben, antwortete ihm Oberbürgermeister Dr. Bruno Helmle wohl: „Ich habe nichts dagegen, wenn Sie selbst für Ordnung sorgen.“ Der DGB-Vorsitzende Erwin Reisacher sprach daraufhin von der „Bildung einer Bürgerwehr mit Lynchjustiz“, worauf Eyermann ein Flugblatt herausbrachte, das sei, „eindeutig und unverblümt, der Aufruf zur Bildung einer Gammler-Schutztruppe des Deutschen Gewerkschaftsbundes!“
Kurzum, in Konstanz brannte in jenem Sommer die Hütte.
LLK, FGL, SPD, JFK und FDP haben jetzt gemeinsam beantragt, am Ort des „Gammlermordes“ eine Tafel anzubringen oder eine andere Form des Gedenkens zu ermöglichen, wobei sie Jürgen Klöckler und Museumsleiter Tobias Engelsing damit beauftragen wollen, einen entsprechenden Text zu formulieren. Holger Reile (LLK) begründete diesen Antrag politisch, und man darf nicht vergessen, dass jedes Denkmal schließlich nicht nur etwas über die Vergangenheit, sondern vor allem auch über die Zeit, in der es errichtet wird, aussagt. Laut Reile zeigt der Fall Katschker exemplarisch, welche verheerenden Folgen es haben kann, wenn eine gesellschaftliche Gruppe ausgegrenzt und die Öffentlichkeit aufgehetzt wird. „Die Gedenktafel ist gerade auch heutzutage wichtig, da sich soziale Hetzwerke in einem Ausmaß breitmachen, das kaum noch zu ertragen ist. Hass, Drohungen und Einschüchterungen gegenüber Andersdenkenden, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit sind wieder an der Tagesordnung.“
Kein Mord
Dieser klare Gegenwartsbezug der Tafel stieß bei Daniel Groß (CDU) auf wenig Gegenliebe. (Man erinnert sich, dass die CDU schon vor Jahren großes Bauchgrimmen verspürte, als es darum ging, dem ehemaligen CDU-Oberbürgermeister Bruno Helme wegen seiner Nazi-Machenschaften die Ehrenbürgerwürde der Stadt abzuerkennen.) Groß kritisierte vor allem den Ausdruck „Gammlermord“, denn es habe sich schließlich nicht um einen Mord, sondern um eine fahrlässige Tötung gehandelt. Er sieht, gestützt auf das Gutachten, den Täter als vollkommen unpolitischen Menschen, und hält auch die Tat für völlig unpolitisch. „Es bleibt nur eine Mutmaßung, dass die Stimmungsmache der Auslöser für das Geschehen auf dem Platz war.“ Mit einer Gedenkstätte aber werde diese Tat in einen zeitgenössischen politischen Zusammenhang gehoben, wo sie nach seiner Meinung nichts zu suchen hat. Teile der CDU sind also offen gegen die Gedenktafel, weil sie ihr zu politisch und zu aktuell erscheint. Außerdem nahm Groß die damalige Verwaltung in Schutz, und „dem damaligen Oberbürgermeister Helmle letztlich den schwarzen Peter für den Tod von Martin Katschker zuzuschieben, halten wir für erheblich überzogen“.
Dem widersprach neben anderen auch Christine Finke (JFK), die daran erinnerte, dass gerade eben erst der rechtsradikale Mörder von Walter Lübke verurteilt wurde. In seinem Plädoyer habe dessen Verteidiger davon gesprochen, der Täter habe geglaubt, im Interesse des Gemeinwohls zu handeln. Es ist nach ihrer Meinung das rechte Klima gewesen, das auch damals in Konstanz zu Katschkers Tod geführt hat. Auch Normen Küttner (FGL) nannte die Parallelen der damaligen Ereignisse zu heute auffällig. „Wir erleben es in den letzten Jahren immer wieder, dass rechte Morde als die Taten verwirrter Einzeltäter dargestellt werden. Damals wie heute gab es aber im Hintergrund geistige Brandstifter, die die Täter letztlich zum Handeln brachten.“
Ein Stück Konstanzer Geschichte
Nun gibt es ja noch etliche Menschen, die damals in ihrer Jugend das bedrückende gesellschaftliche Klima der zu Ende gehenden Nachkriegszeit noch miterlebt haben und die Atmosphäre quasi noch heute nachschmecken können. Einer davon ist Heinrich Everke (FDP), der die Jahre um 1968 als Schnittpunkt erlebte, „an dem die alten Nazis auf die neue Linke stießen. Die Stimmung in Konstanz ist danach liberaler geworden und die folgende Generation hat klar gesagt, mit diesen Nazis wollen wir nichts zu tun haben. Damals wurde im Kino ein Film gezeigt, ‚Easy Rider‘, und dieser Film war für uns wie eine Befreiung.“
Wenig frei hingegen schien sich bei der Abstimmung (32 Ja-Stimmen bei 38 Stimmberechtigten) allerdings Markus Nabholz (CDU) zu fühlen, der eine Erklärung zu seinem Abstimmungsverhalten abgab, bei der er vor Wut sichtlich kochte. Er gab zu Protokoll, er „finde es unmöglich, dass jemand wie Herr Reile auf Meinungsfreiheit pocht, aber Menschen, die anderer Meinung sind als er, in aller Öffentlichkeit diffamiert. Und ich kann es mir leider nicht leisten, dagegen zu stimmen, sonst hätte ich dagegen gestimmt.“ Was dieser emotional zutiefst aufgewühlte Mensch damit meinte, blieb den ZuhörerInnen allerdings schleierhaft – sollte er etwa Herrn Reile nicht mögen?
Text: O. Pugliese (Bilder: Archiv)
Das Gutachten können Sie hier lesen.
Mehr zum Thema:
31.08.2020 | Konstanz: Gedenktafel für Martin Katschker
02.04.2020 | Walter Eyermann und der Mord an Martin Katschker
Hallo Herr Pugliese,
Sehr interessant die Einlassung zur Causa Martin Katschker und den Einlassungen im GR KN zu lesen.
Möchte mich hier nicht an Einlassungen von Kommentatoren in Seemoz oder einzelnen Stadträten abarbeiten. Lasst uns das alles mal bitte in einen „größeren“ Zusammenhang“ stellen.
Nein, noch interessanter in Corona-Zeiten, ist es die Zeit zu haben, auch mal den Link zum Gutachten von Prof. Dr. Jürgen Klöckler, Leiter des Stadtarchivs Konstanz, Universität Konstanz Fachbereich Geschichte und Soziologie aufmerksam zu lesen.
Das ist sehr aufschlussreich und aus meiner Sicht neutral, aber auch pointiert eine Zeit darstellend, die ich damals auch so (als damaliger „beginnender“ Gammler) wahr genommen habe, konnte mich durch die Ausführungen schnell wieder in meine damalige Situation als pubertierender Mensch zurück versetzen.
Aber zu einem möglichen Mahnmal.
Ja, auch ich sehe, dass dies geschehen muss.
Herr Prof. Dr. Jürgen Klöckler lässt allerdings bewusst offen, welche tatsächlichen Motivationen dahinter standen, ist nicht mehr nachvollziehbar, ob Einzeltäter, angestiftet, etc.
Die Recherchen sind aber absolut nachvollziehbar.
Insbesondere die über das gesamte Gutachten inkludierende Täterbeschreibung, Psychologisierung und auch den Tagesverlauf des Täters nachvollziehenden Beschreibung, halte ich für sehr anschaulich.
Die Schlüsse soll jeder für sich selbst ziehen.
Aber, und da gebe ich jedem Recht, solche Taten müssen – unabhängig von den heutigen Irrwegen und möglichen Bezügen- in einem Mahnmal gedacht werden.
Mit der Idee von Herrn Neuper kann ich mich anfreunden. Das Beste wäre nach einem solchen, aus meinen Augen sehr fundierten Gutachten, mit dem Stadtarchivar einen Text abzusprechen, ein Mahnmal zu bauen.
Nur noch eines
Wir müssen in die Zukunft denken und Zukunft besteht gerade auch darin, dass wir uns an Vorfälle erinnern, die vor Ort stattgefunden haben, dies öffentlich in einer Kommune darstellen , um im Zweifelsfalle wieder darauf zurückverweisen zu können, was vor Ort passiert ist. Insofern ist auch die der Aktion der „Gedenksteine“, eine sehr wichtige Initiative.
Denken wir bitte immer an unsere „junge“ Generation, viele wissen das war und ist eine meine Hauptmotivationen mich auch politisch zu betätigen.
Da muss man nicht nach unbedingt – im Sinne einer „lustigen“ Klassenfahrt – nach Ausschwitz fahren, um anschaulichen Geschichtsunterricht zu machen, sondern es wäre für junge Menschen wahrscheinlich viel näher und bewegender, wenn man im Geschichtsunterricht mal eine „Gedenkreise in Konstanz“ zu den vielen Gedenksteinen in Konstanz macht, vielleicht im persönlichen Bezug zu den Gedenkstein vor der eigenen Tür oder im Wohnquartier findet, darüber recherchiert und dann danach eventuell nach Ausschwitz fährt?
Aber bei einer solchen angedachten „Gedenkreise“ auch ein Mahnmal für Martin Katschker besucht und das dann die Kids alles einordnen lässt (Wäre nur ein kleiner Vorschlag vorwärts in Erinnerung zu arbeiten), denn letzten Endes geht es doch nicht um uns, sondern, wie bringen wir Geschichte anschaubar weiter.
Zuletzt
Die Scharmützel um Positionen und Einschätzungen von vor fünfzig Jahren bin ich langsam leid, und zwar aus allen politischen Richtungen. Ob ich jetzt die Moralkeule schwinge zu wem auch immer, weil ich ja natürlich Recht habe, das auf die heutigen Zeiten rekurriere, daraus wiederum Meinungen in der Echtzeit bilde, ist nicht zielführend. Bringt niemanden weiter. Verstehen, helfen, in die Zukunft schauend muss das Ziel sein.
Wenn ich Seemoz lese oder andere Publikationen/Online-Seiten sind wir uns alle doch alle unseres Weltbildes immer klar? Wir haben alles kapiert? die Positionen sind klar? Aber, bitte, bitte denkt alle darüber nach, wie wir unsere Kids genau in diese spannenden politischen Prozesse mit herein holen können.
Harald Schuster
Daniel Groß… Trotz meiner nächtelangen Recherchen über Verschwörungsmärchen und deren zugrunde liegender Dämlichkeit gehen mir gerade diese Reptiloiden nicht aus dem Kopf…
Die Gedenktafel sollte nur ein erster Schritt sein.
Recht snd Links daneben (genaue Anordnung kann dann ja noch bestimmt werden) sollten zwei Stehle, mit Hintergründen der Tat in Textform.
Auf einer Seite aufgearbeitet durch einen Historiker, der die Schlussfolgerung „damalige Hetze = zumindest Mitursache“darlegt.
Auf der anderen Seite das damalige Urteil (und eventuelle Stellungnahmen der CDU Fraktion).
Dann mag sich jeder seinen Reim drauf machen….
…bei Ansetzen eines Bolzenschussgerätes auf fahrlässige Tötung zu kommen (wie damals das LG Konstanz) mutet schon merkwürdig an.
Eigenartig. Die hochgeistigen Ergüsse des Herrn Nabholz waren im seemoz immer wieder zu lesen. Wie Eingeweihte wissen, hat Holger Reile als Gründungsmitglied dieses Organs keinen geringen Einfluß auf den Inhalt. Die Pamphlete des genannten Herrn waren aber in aller Breite (un)genießbar.
Eine merkwürdige Welt, in der Meinungsfreiheit sofort mit „Diffamierung“ im Mixer gequirlt wird mit dem einzigen Ziel, die eigene Echokammer zu verstärken, andere „Blasen“ aber zu zerstören.
Wer allerdings die „Bildungsrepublik“ der Kanzlerin und den Neusprech Orwells gegenüberstellt, weiß, woran er ist. Wobei Gemeinsamkeiten Merkels mit Nabholz für Mutti weniger, für Nabholz eher schmeichelhaft sind. Der Fall der Nazi-Fasnachtslieder und die Rechtfertigungen drumrum sprechen Bände. Diffamierende natürlich aus Nabholz‘ Perspektive.
Herr Nabholz scheint auch einer der Gesellen zu sein, die Meinungsfreiheit nicht verstehen. Unser Grundgesetz schütz uns davor, dass der Staat uns nicht zensiert.
Es garantiert aber weder, dass man seine Meinung auf jeder privatwirtschaftliche Plattform verbreiten darf (siehe Trump-Sperre bei Twitter), noch sichert es einem das recht zu, dass einem niemand wiederspricht.
Mag ja für Herrn Nabholz ärgerlich sein, wenn Holger Reile ihm wiederspricht, aber eine Einschränkung der Meinungsfreiheit ist das wohl kaum. Oder habe ich was verpasst und Seemoz ist plötzlich staatliches Zensurorgan?
Im Übrigen empfehle ich Herrn Nabholz, wenn er solche Anschuldigungen erhebt, doch den Privatklageweg. Ansonsten sind seine haltlosen Unterstellungen der Diffamierung wohl nichts anders als eben genau das: Diffamierungen.
Und was Herrn Nabholz Geheimnis bleiben wird ist wohl auch noch, was das Ganze mit dem Mord an Martin Katschker zu tun hat.
Herrn Groß‘ Einlassung erscheint mir übrigens auch hochnotpeinlich, so sind die sog. Mordmerkmale (d.h. was einen Mord von einem Totschlag unterscheidet) schon seit langem umstritten und im Übrigen selber eine Erfindung der Nazizeit. Da wird also argumentiert, dass das gar kein Nazimord gewesen sein kann, weil das Naziparagraphen so sagen.
Im Übrigens ist eine solche juristische Definition im historischen Kontext höchst irrelevant: Ich frage mich ob Herr Groß Kains Brudermord an Abel auch kritisiert, weil es ja Kains Brudertotschlag war.