Gedenktafel für Martin Katschker: Namenlose Erinnerung?
Am 29. August 1970 wurde der Lehrling Martin Katschker auf dem Konstanzer Blätzleplatz erschossen. Vorausgegangen war eine beispiellose Hetze gegen Jugendliche mit anderen Lebensvorstellungen. Anlässlich des 50. Todestages von Katschker wurde am Ort des Geschehens eine provisorische Gedenktafel installiert. Kurz darauf beschloss der Gemeinderat mit großer Mehrheit, dort eine offizielle zu errichten. Doch an dem dafür vorgesehenen Text gibt es deutliche Kritik.
Beauftragt mit einem neuen Textentwurf wurden Tobias Engelsing, Leiter der Konstanzer Museen, und Stadtarchivar Jürgen Klöckler. Hier der Textvorschlag im Wortlaut, der dem Kulturausschuss kürzlich vorgelegt wurde:
Der Textvorschlag
STADTARCHIV UND ROSGARTENMUSEUM Konstanz, den 20. September 2021
„Gammlermord“ auf dem Blätzleplatz Konstanz, 29. August 1970.
Seit Längerem lagern auf dem Blätzleplatz „Gammler“, also jugendliche Abweichler, die durch lange Haare, eine Vorliebe für laute Rockmusik sowie Drogen- und Alkoholkonsum in der Altstadt auffallen. An jenem Samstag gegen 19:30 Uhr tötet hier ein 38-jähriger Hilfsarbeiter mit einem Kleintierschussapparat, einem sogenannten Hasentöter, einen 17-jährigen Lehrling. Schnell ist vom Konstanzer „Gammlermord“ die Rede.
Was war geschehen? Vorgeschichte der Tat
Nach einem verregneten Open-Air-Festival hielten sich Anfang August 1970 zahlreiche junge Leute in der Stadt auf. Sie lagerten am Blätzleplatz oder aber im nahen Stadtgarten. Dagegen protestierte ein NPD-Stadtverordneter. Er schlug in öffentlicher Sitzung die Bildung einer nicht-staatlichen „Bürgerwehr“ vor, um das Lagern der angeblichen „Gammler“ zu unterbinden. Oberbürgermeister und Stadtverwaltung kümmerten sich jedoch nicht weiter um die teils störenden Verhältnisse auf dem Blätzleplatz.
Der NPD-Politiker ließ daraufhin scharfmacherische Flugblätter in der Innenstadt verteilen. Seine Gegner sprachen besorgt von rechter Hetze und einer Pogromstimmung, die er erzeuge. Im Umfeld dieser aufgeheizten Situation fiel der verhängnisvolle Schuss.
Das Tötungsdelikt vor Gericht
Das Landgericht Konstanz verurteilte den Hilfsarbeiter am 20. März 1972 wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Nötigung zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe. Ein rechtsextremistisches und damit politisches Tatmotiv konnte trotz detaillierter Rekonstruktion des Tathergangs und zahlreicher Zeugenaussagen nicht nachgewiesen werden.
Reaktion der Bevölkerung
Die Bevölkerung reagierte mehrheitlich aufgebracht. Am 3. September 1970 fand hier eine Trauer- und Gedenkveranstaltung mit hunderten von Menschen statt. Gewerkschaftler, Kommunalpolitiker und Geistliche verurteilten als Redner die Tat ausdrücklich. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, ihre Einstellung gegenüber „Gammlern“ und Minderheiten zu überdenken. Schon damals lautete die Forderung: Toleranz gegenüber abweichenden Lebensentwürfen!
Mehr zu den Hintergründen des Konstanzer „Gammlermordes“ sind hier zu erfahren: [## QR-Code mit hinterlegtem Gutachten des Stadtarchivs vom Dezember 2020 bzw. ab Frühjahr 2022 mit dem Aufsatz von Stadtarchivar Jürgen Klöckler in der ZGO 169 (2021) ##]
Stadt Konstanz November 2021
Opfer und Täter hatten Namen
RätInnen von LLK, FGL, SPD und JFK wollen sich mit diesem Text nicht anfreunden und bemängeln vor allem die fehlende Namensnennung. Denn der Täter hieß Hans Obser, das Opfer Martin Katschker, der rechtsradikale NPD-Stadtverordnete und einer der geistigen Brandstifter war der jüngst verstorbene Walter Eyermann. Warum, so die vorgetragenen Einwände, soll auf eine namentliche Nennung verzichtet werden? Ebenso verhält es sich mit dem im Text erwähnten Oberbürgermeister, der damals Bruno Helmle war und dem erst vor wenigen Jahren das Ehrenbürgerrecht aberkannt wurde, weil er sich während der NS-Zeit nachweislich an jüdischem Eigentum bereichert hatte. Mit einer namenlosen Erinnerung also will sich eine Mehrheit des Konstanzer Stadtparlaments nicht zufrieden geben. Das ist nachvollziehbar, denn über den geplanten QR-Code, der auf die neue Tafel soll, wird zu einem ausführlichen Gutachten von Jürgen Klöckler geführt, das dieser zu dem damaligen Geschehen erstellt hat und in dem alle Beteiligten namentlich aufgeführt sind. Warum also nicht auch auf der neuen Tafel?
Auch die Bezeichnung „Gammlermord“ stieß auf Widerspruch. Denn das Opfer, Martin Katschker, war alles andere als ein „Gammler“. Im Gegenteil, der junge Lehrling mit akkuratem Seitenscheitel entsprach keineswegs dem Feindbild eines Teils der damaligen Bürgerschaft, die außer Rand und Band geraten war. Er war, so die Einschätzung vieler, die damals die Geschehnisse mitverfolgten, zur falschen Zeit am falschen Platz. Auch vermittele der vorgeschlagene Text, so ein weiterer Einwand, den Eindruck, zu jener Zeit hätten Jugendliche nichts anderes im Sinn gehabt, als sich von früh bis spät die Kanne zu geben, laute Musik zu hören, dazu ihre langen Haare zu schütteln und bis zur Bewusstlosigkeit harte Drogen einzupfeifen. Das war nicht der Fall. Vielmehr rebellierten zu jener Zeit auch in unserer beschaulichen Provinz Jugendliche gegen die verkrustete Adenauer-Ära und deren gesellschaftliche Reglementierungen, denen sie sich nicht länger unterwerfen wollten.
Der Textentwurf wird nun nochmal überarbeitet und dann erneut vorgelegt. Sichtlich genervt von der Debatte zeigte sich Bürgermeister Andreas Osner (SPD). Eine weitere Diskussion, so erklärte der jüngst mit knapper Mehrheit wiedergewählte Schultes sinngemäß, solle man sich doch lieber sparen, denn eine Entscheidung über den Endtext könne auch über eine profane öffentliche Offenlage herbeigeführt werden. Somit vermittelte Osner den unguten Eindruck, als ob ihm die Angelegenheit eigentlich nur lästig sei.
Text und Bild: H. Reile
Hier das Gutachten von Stadtarchivar Jürgen Klöckler: Gutachten-Konstanzer-Gammlermord-2020
Axel Lapp hat recht: „Gammler“ war in dieser Zeit ein böses, böses Schimpfwort. Das man einen Toten, einen Ermordeten,heute so bezeichnet, ist ungeheuerlich.
Im letzten Jahrhundert gab es nun wahrlich genügend Gelegenheiten über die Formulierung von Erinnerungstafeln und Denkmalen nachzudenken.
Eine der Lehren, die nun wirklich jeder gezogen haben sollte, ist es, nicht die menschenverachtende Sprache der Täter zu verwenden und sie dadurch zu perpetuieren. Allein durch die Verwendung des herabwürdigen Wortes „G…“ in einer offiziellen Gedenktafel erweckt man ja den Eindruck, dass es einen Grund für diese Tat gegeben haben könnte und dass die Verwendung dieses Wortes auch heute noch akzeptabel sein könnte!
Es war ein politisch motivierter Mord an einem Jugendlichen! Und genauso muss das formuliert werden!