„Gefragt ist ein konstruktiver Vorschlag des OBs“

seemoz-KühnleWenn am morgigen Donnerstag der Konstanzer Gemeinderat zur Sondersitzung zusammentritt, kommt es auf Oberbürgermeister Burchardt an. Meint jedenfalls Stadtrat Stephan Kühnle (FGL) im seemoz-Gespräch. Schützenhilfe erhält er von Wolfgang Schnee, der sich als Anwohner erneut in die Debatte um eine Fahrradstraße auf der Petershauser Straße und Jahnstraße einmischt. Das Interview mit Stephan Kühnle (s. Foto) und den Diskussionsbeitrag von Wolfgang Schnee lesen Sie hier:

Du bist Ideengeber für eine Fahrradstraße in der Jahnstraße. Jetzt bremst der OB eine knappe Pro-Entscheidung des Gemeinderates aus – juristischer Winkelzug oder ernsthafte Skepsis? Was ist Deine Einschätzung?

Die Idee, eine Fahrradstraße auf der Petershauser Straße und Jahnstraße zu entwickeln, ist nicht neu. Vorstöße in diese Richtung gab es bereits in den 90er Jahren aus unterschiedlichen politischen Gruppierungen. Wir als FGL haben die Forderung einer Fahrradstraße in unserem Wahlprogramm dokumentiert und sehen sie als eine notwendige Fortentwicklung der Konstanzer Rad-Infrastruktur.

Dennoch dauerte es lange von der Idee bis zur konkreten Forderung.

Den Antrag zur Fahrradstraße haben wir bereits vor der Sommerpause gestellt. Seitdem sind einige Monate vergangen, in denen unterschiedliche Vorschläge diskutiert wurden. Es dürfte für den OB eigentlich keine Überraschung gewesen sein, dass die FGL ihren ursprünglichen Antrag aufrecht erhalten hat, also: Fahrradstraße von Ebertplatz bis Zähringer Platz, Tempo 30, ohne Poller, Anlieger frei. Noch im Oktober hat der OB selbst eine Vorlage für die Sitzung des TUA freigegeben, in der die Verwaltung, ohne Beschlussfassung durch den Rat, den Bahnübergang sperren wollte. Inhaltlich war diese Forderung weitgehender als der FGL-Antrag, der weiterhin ein Miteinander der Verkehrsteilnehmer ermöglicht hätte.

Unstreitig passt der „Gib-Gas-Fraktion“ im Rat die ganze Richtung nicht – Fahrradstraße, C-Konzept, das ist zu viel der Neuerung. Hast Du ein Rezept, wie man die Konservativen überzeugen könnte?

Es sollte im Gemeinderat nicht um „Gib-Gas“ oder „Brems-Aus“ gehen. Skepsis bei größeren politischen Vorhaben ist durchaus berechtigt und auch ich fordere die sukzessive Ausweitung von Bürgerbeteiligung mit Hilfe geeigneter Verfahren. An die Verwaltung adressierte Vorwürfe, beim C-Konzept auf die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger keine Rücksicht zu nehmen, empfinde ich jedoch als ungerechtfertigt.

Auch das C-Konzept ist so neu nicht.

Das C-Konzept ist kein Vorschlag, der so mir nichts, dir nichts aus der Hüfte geschossen kommt. Erste Überlegungen hierzu gab es ebenfalls bereits vor 20 Jahren. Dieses Konzept, wie es uns jetzt vorliegt, ist ein Gewinn für alle Verkehrsteilnehmer. Fußgänger bekommen bessere Querungsmöglichkeiten und der Sternenplatz wird barrierefrei zugänglich. Durch die Schaffung der durchgehenden Busspur kommt man mit dem ÖPNV künftig staufrei durch die Altstadt und auch für Radfahrer gibt es Verbesserungen, insbesondere in der Konzilstraße und an der alten Rheinbrücke. Doch auch der Autoverkehr profitiert durch das C-Konzept, da insbesondere an bestimmten innerstädtischen Knotenpunkten der Verkehr besser geregelt werden kann.

Gar keine Zweifel?

Natürlich hat jedes gute Konzept auch seine Tücken. Bedenklich ist sicherlich die Autoverkehrszunahme auf der Laube. Ich würde beim C-Konzept am ehesten den langen Planungs- und Umsetzungshorizont kritisieren, der mit 6-8 Jahren wahrlich nicht besonders ambitioniert ist.  Da könnte es durchaus schneller an die Umsetzung gehen.

Auch in der Bevölkerung gibt es, angefeuert vom „Südkurier“, manchen Widerstand gegen Verkehrskonzepte, die den Autoverkehr eindämmen wollen…

Ängste oder Sorgen vor Veränderungen, die Unsicherheiten mit sich bringen, sind etwas zutiefst menschliches. Ich erachte die Debatten um das C-Konzept und die Fahrradstraße jedoch als ungeeignet für große gesellschaftliche Kontroversen. Wenn man sich mit dem C-Konzept genauer beschäftigt, wird einem schnell klar, dass die Konstanzer Verkehrsplaner eine hervorragende Arbeit machen. Breiter Konsens ist doch, dass wir uns möglichst zügig und vor allem sicher bewegen können. Unstrittig ist wohl auch, dass die Konstanzer Verkehrsinfrastruktur in vielen Bereichen an ihre Grenzen stößt. Und genau deshalb sehen die Bürgerinnen und Bürger und auch der Gemeinderat Handlungsbedarf.

Kommen Kinder und Senioren unter die Räder der Autolobby?

Sehr geehrte Damen und Herren von Gemeinderat, Verwaltung und Südkurier, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

es ist vollbracht! Die Fahrradfahrer wurden in ihre Schranken verwiesen und werden ihre „Narrenfreiheit“ (Zitat von Herrn Lischka, Südkurier, 25. 11) weiterhin nur auf Rad- und integrierten Rad- und Fußgängerwegen ausleben. Endlich dürfen wieder die Autos und Lastwagen mit Tempo 50 die Jahn- und Petershauserstraße entlang donnern – freie Fahrt für freie Bürger – es ist doch gar nichts passiert. Genau: Nichts passiert:

Nichts für die Anwohner und die Radfahrer (und meiner Meinung nach auch die Autofahrer), für die sich an der unbefriedigenden Situation nichts ändert. Nichts passiert ist vor allem für diejenigen, die immer wieder aus dem Blickfeld der Politik verschwinden: die Fußgänger und dabei besonders die Kinder und Senioren. Sie müssen weiterhin die untragbare und gefährliche Situation an den Bahnschranken, auf dem integrierten Fußgänger- und Radweg an der Jahnstraße und den nebeneinander verlaufenden engen und zugeparkten Wegen an der Petershauser Straße aushalten und die gefährliche Situation bei der Überquerung der leicht geknickten Jahnstraße an der Bahnschranke. Versetzen Sie sich doch einmal in ein Kind (oder einen älteren Menschen), das (oder der) vor dem Betreten der Fahrbahn nicht nur zwei Richtungen des schnellen Auto- und LKW-Verkehrs beachtet haben muss, sondern auch noch zwei Richtungen Radverkehr – eine Aufgabe, die durch die geparkten Autos noch weiter erschwert wird.

Ist das normalerweise schon unübersichtlich, wird das nach dem Öffnen der Schranke und zu den Stoßzeiten zum Schulanfang und -ende unmöglich. Angesichts der Nähe zur Gemeinschaftsschule und zum Kinderhaus Edith Stein sollte man meinen, die Situation würde entschärft werden, nicht jedoch in Konstanz, hier sind die Kinder so sehr aus dem politischen Denken verschwunden (in diesem Fall vielleicht unter die Räder der Autolobby geraten), dass sie einfach gar nicht bedacht werden. Also: an der Jahn- und Petershauser Straße wird sich für die Fußgänger nichts verändern. Wir müssen also weiterhin hoffen, dass kein schlimmerer Unfall geschieht – also auch in diesem Sinne nichts passiert.

Genauso frustrierend wie die neue Situation ist jedoch, wie diese argumentativ begleitet wurde: Der Besitzer eines Ladens für Kinderbedarf bekommt eine überproportionale Öffentlichkeit und fördert, statt sich für seine eigentlichen Kunden einzusetzen, fahrlässig eine Verschlechterung für die Kinder. Damit wird auch klar, auf wen es ihm ankommt, nicht die Konstanzer Kinder, sondern die zahlungskräftigen Eltern von außerhalb. Immer wieder wurde argumentiert, die 1600 Unterzeichner der inoffiziellen Petition für freien Autoverkehr müssten in die Waagschale geworfen werden – die 11.000 offiziellen Wähler des Antragstellers Stephan Kühnle allein aber nicht? Und dann noch die Argumentation gegen die Anliegerstraße: Wurde eine Verbesserung der Gefahrensituation für Radfahrer von vielen Seiten abgelehnt, weil sich Radfahrer ja per se nicht an Regeln halten würden („Narrenfreiheit“, s.o.), so wird die Entscheidung des Gemeinderates gekippt, weil sich ohne eine Durchgangssperre die Autofahrer ja sowieso nicht an das „Anlieger frei“-Schild halten würden.

Und dann kommt noch die Argumentation aus dem Gemeinderat und vom Oberbürgermeister: Hatte der Vorsitzende der CDU-Fraktion die Entscheidung der Verwaltung im Sommer noch abgelehnt, weil dies eine Entscheidung des Gemeinderats sein solle, kippt der CDU-Bürgermeister kostbare Wochen später die Entscheidung des Gemeinderats, weil dies die Verwaltung entscheiden müsse! Ja, was denn nun, liebe CDU?

Da ich von manchen sicherlich sofort wieder in diese Ecke gestellt werde, möchte ich noch einmal betonen: Ich bin kein Autohasser und kein Fahrradfetischist. Ich bin Autofahrer, Zug- und Busfahrer, Fahrradfahrer, Fußgänger, Konstanzer (auch Wähler und Steuerzahler) und vor allem Familienvater. Jede der genannten Mobilitätsarten hat ihre eigene Berechtigung. Ich weiß aber und erlebe dies immer wieder, und das ist die Ecke, aus der ich komme, dass ich und meine Kinder mit dem Fahrrad und zu Fuß deutlich gefährdeter sind als mit dem Auto. Für mich stellt sich deswegen die Frage, wie kann diese ungerechte Verteilung der Gefährdung behoben werden, oder anders formuliert: wie kommen wir zu einer Gleichberechtigung aller Mobilitätsarten? Ich bedanke mich bei denjenigen unter Ihnen, die sich dafür bereits eingesetzt haben, sehe Sie aber alle in der Pflicht, dies im Sinne aller Bürgerinnen und Bürger, auch der Kinder und Senioren, möglichst schnell durchzusetzen.

Mit freundlichen Grüßen,

Wolfgang Schnee

P.S.: Ich bin gerne bereit, Ihnen vor Ort die Problematik auch aus Perspektive der Kinder zu erläutern, gerne auch, wenn möglich, zu den Stoßzeiten am Morgen und am Abend.

Die Petershauser Straße und Jahnstraße galten jahrelang als eine der gefährlichsten und unfallträchtigsten Straßenzüge in Konstanz. Folglich sollten aus unserer Sicht auf jeden Fall verkehrsregulierende Maßnahmen durchgeführt werden, da viele Kinder, Schülerinnen und Schüler, ältere Menschen, Konstanzerinnen und Konstanzer, diese Straßen insbesondere als Fußgänger und Radfahrer nutzen.

Gibt es eine Chance auf Einigung bei der Sondersitzung am Donnerstag?

Das liegt in der Hand des Oberbürgermeisters. Die Mehrheit des Gemeinderates fordert die Einrichtung einer temporären Fahrradstraße, konkret 60% der anwesenden Stadträtinnen und Stadträte. Wir sind gespannt, ob es ihm gelingt, dem Gemeinderat einen konstruktiven Vorschlag zu unterbreiten, der dem Wunsch der politischen Mehrheit gerecht wird.[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]

Autor: hpk