Geld, Glaube und Herz

Familienstiftungen haben nach dem Verständnis vieler BürgerInnen ein Geschmäckle als Steuersparmodell für Superreiche. Konstanz verkauft jetzt der „Hoffnungsträger Stiftung“ der Familie Merckle zwei Grundstücke. Die will darauf preiswerten Wohnraum für Geflüchtete und sozial Schwache nebst einer sozialen Infrastruktur schaffen. Es gab etliche kritische Stimmen, die die Unterbringung dieser Menschen als ureigene Aufgabe der öffentlichen Hand bezeichneten und eine Lösung durch die Wobak forderten.

Rund vier Stunden lang debattierte der Gemeinderat über die Flüchtlingsunterbringung in Konstanz, und wieder einmal wurde klar, dass die Verwaltung in den letzten Jahren zu wenig getan hat, um ausreichend Anschlussunterbringungen für alle Berechtigten zu schaffen. Daher ist es jetzt wieder einmal fünf nach zwölf, zumal Ausgleichszahlungen für Flüchtlinge, die aus purer Wohnungsnot anderswo untergebracht werden müssen, am Stadtsäckel nagen. Diese Flüchtlinge müssen derzeit weiterhin in Gemeinschaftsunterkünften hausen und die Stadt bezahlt für sie pro Kopf derzeit 283 Euro Ausgleichsabgabe. Wenn Bürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn also auf den erheblichen Termindruck verweist, unter dem die Stadt heute stehe, ist dieser Druck zu einem nicht geringen Teil hausgemacht.

775 Menschen warten

Wie verfahren die Lage derzeit ist, macht die pure Zahl von 775 Menschen deutlich, die eigentlich bis 2021 durch die Stadt Konstanz einen Platz in einer Anschlussunterkunft erhalten müssten. Die drei Anschlussunterkünfte Egg, Schottenstraße und Zergle wurden damals schnell errichtet, weil es dafür Fördermittel gab, und seit dem Auslaufen dieser Sonderförderung hat sich nichts mehr getan. Heute gibt es „nur“ noch die „normale“ Förderung für den sozialen Wohnungsbau, und mit der werden reine Flüchtlingsunterkünfte nicht bezuschusst. Ob Unterkünfte, in denen ausschließlich Geflüchtete leben, der Integration überhaupt förderlich sind, sei dabei dahingestellt.

Man darf nicht vergessen, dass es hier um 775 Menschen geht, die sich nach zum Teil grauenhaften Erfahrungen von Krieg und Flucht dauerhaft in einer gänzlich neuen Umgebung zurechtfinden sollen, was ohne eine vernünftige Unterbringung kaum möglich erscheint. Insofern kommt es einem Offenbarungseid nahe, wenn die Verwaltung angibt, in absehbarer Zeit könne sie höchstens der Hälfte der Berechtigten auch tatsächlich dauerhaft Wohnraum zur Verfügung stellen.

Die Stadt hat jetzt sieben Standorte für Anschlussunterbringungen gefunden, die nicht in Konkurrenz zum Handlungsprogramm Wohnen stehen. Bei den Neubauten soll darauf geachtet werden, dass später auch eine andere Nutzung etwa für Studierende oder andere Bevölkerungsgruppen möglich ist.

Die meisten der künftigen Anschlussunterbringungen sollen wie auch die bisherigen von der Wobak errichtet werden, an die zu diesem Behufe Grundstücke an Gottfried-Keller-Straße, Pfeiferhölze, Luisenstraße, Sonnenbühl und Wollmatinger Straße verkauft werden.

Hoffnungsträger?

Zwei weitere Grundstücke am Alten Bannweg am Friedhof sowie an der Längerbohlstraße in Wollmatingen sollen allerdings an eine Stiftung verkauft werden, die dort ein eigenes Integrationskonzept verfolgen will. Dort sollen je zur Hälfte geförderter Wohnraum und Flüchtlingsunterkünfte entstehen. Es handelt sich um die 2013 gegründete „Hoffnungsträger Stiftung“, die bereits an mehreren Standorten solche gemischten Einrichtungen unterhält und außerdem weltweit Straffällige und deren Familien unterstützt. Hinter dieser Stiftung steht die Familie Merckle, die vor allem durch ihr Pharmaunternehmen Ratiopharm und dessen Geschäfte bekannt wurde, aber auch an etlichen anderen Unternehmen beteiligt ist.

Stiftungen sind eine Sache für sich. Je nach Stiftungsmodell ermöglichen sie es richtig reichen Menschen, ganz erheblich Steuern zu sparen und ihre Erben auf lange Sicht mit Frischgeld zu versorgen – und nebenher auch mehr oder weniger Gutes zu tun. In der Liste der größten deutschen Stiftungen privaten Rechts tauchen denn auch einige der großen deutschen Familiendynastien von Bosch über Krupp bis Thyssen auf. [1]

Solche Stiftungen haben natürlich eine nicht zu unterschätzende Finanzkraft und dürften zudem aufgrund der Person der dahinterstehenden StifterInnen auch beträchtlichen Einfluss ausüben. Nicht zu verwechseln sind solche Stiftungen privaten Rechts mit Stiftungen öffentlichen Rechts (wie der Stiftung Deutsches Krebsforschungszentrum oder der Alexander von Humboldt-Stiftung) und den politischen Stiftungen (wie der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.). Auch die Spitalstiftung ist etwas anderes.

„Christliche Dankbarkeit und Nächstenliebe“

Wes Geistes Kind die „Hoffnungsträger Stiftung“ (ohne Bindestrich) ist, lässt sich aus dem Credo von Vorstand Marcus Witzke erahnen, der die Interessen der Stiftung vor dem Konstanzer Gemeinderat vertrat: Er ist davon überzeugt, dass „soziales Engagement, verbunden mit christlichem Glauben und unternehmerischem Know-how die Welt zum Besseren verändert.“[2] Auch Mitglieder der Familie Merckle bekennen sich öffentlich zu ihrem evangelischen Glauben, und so gehen denn bei dieser Stiftung christliche und kapitalistische Grundüberzeugungen wie so oft Hand in Hand: „Aus christlicher Dankbarkeit und Nächstenliebe heraus geben wir Menschen Hoffnung und eine Perspektive, damit sie selbst zu Hoffnungsträgern werden und sich die Welt auf diese Weise zum Guten verändert. Mit unserem Know-how in der Sozialarbeit, unserer wirtschaftlichen Kompetenz sowie unserem Wunsch, Hoffnung in die Welt zu tragen, machen wir unsere Projekte effektiv und wirkungsvoll.“[3]

[the_ad id=“63034“]

Wenn Mitglieder einer Familie, die über wenige Generationen (auch mit gelegentlich fragwürdigen Methoden) ein Riesenvermögen angehäuft hat, plötzlich ihre christliche Nächstenliebe entdecken, schrillen bei vielen Menschen natürlich alle Alarmglocken. Dabei hört sich das Konzept der „Hoffnungshäuser“, wie es seit drei Jahren an mehreren Standorten praktiziert wird, gar nicht mal schlecht an. In einem „Hoffnungshaus“ wohnen Geflüchtete und andere sozial eher schwache Menschen zusammen, außerdem lebt darin auch eine Hausleitung. Es gibt dort Sprachunterricht, ehrenamtliche Betreuung, Nachbarschaftshilfe und Unterstützung bei der Suche nach Arbeit. Die Häuser sind ökologisch und auf eine lange Haltbarkeit hin konstruiert und lassen sich schnell errichten, in Konstanz könnten sie etwa in zwei Jahren bezugsfertig sein. [4] Die Wohnungen haben einen großen Gemeinschaftsbereich und die Miete liegt deutlich unter der Vergleichsmiete. Für die Stadt hätte diese Lösung zusätzlich den Charme, dass die Stiftung die Wohnungen vermietet und das Risiko selbst trägt, wenn Mieter nicht zahlen können oder Wohnungen leer stehen.

Rege Diskussionen

Etliche GemeinderätInnen wollten dem Verkauf der Grundstücke an die Stiftung trotzdem nicht zustimmen – zu frisch sind die miesen Erfahrungen mit Grundstücksverkäufen an irgendwelche Investoren, die sich mit ehemals städtischen Grundstücken eine goldene Nase verdienen. Daher wurden im Rat zwei Möglichkeiten diskutiert: 1. die Grundstücke in Erbpacht auf 99 Jahre zu vergeben und/oder 2. die Wohnungen wie gehabt von der Wobak errichten zu lassen und Grundstücke wie Immobilien so in öffentlicher Hand zu behalten.

Die Übernahme von Grundstücken in Erbpacht wurde von Marcus Witzke ausdrücklich abgelehnt, da der Erbbauzins das Projekt erheblich verteuere. Bei den derzeit üblichen 4 Prozent des Grundstückswertes als jährlichem Erbbauzins prognostizierte er eine Verteuerung der Wohnungen um 2,70 Euro pro Quadratmeter und Monat, die der Klientel der Stiftung nicht zuzumuten ist. Außerdem sei die Stadt ja abgesichert, denn wenn die Stiftung eines Tages eine andere Nutzung plane oder verkaufen wolle, stehe der Stadt ein Vorkaufsrecht zu. Christoph Sigg, Leiter des Amtes für Liegenschaften und Geoinformation, ergänzte, eine 30-prozentige öffentliche Förderung gebe es nur auf einen Kaufpreis, nicht auf einen Erbbauzins. Auf die Frage, wie der Erbbauzins denn aussehen müsse, damit er für die Stiftung attraktiv sei, hieß es, da müsse eine 0 vor dem Komma stehen, also 0,25 Prozent o.ä., die Zahl war nicht richtig zu verstehen, da die Mikros gelegentlich schwächelten.

Stiftung contra Wobak?

Trotzdem sprach sich etwa Anne Mühlhäußer (FGL) dafür aus, die Grundstücke der Wobak zu geben, denn die Stadt dürfe ihr Tafelsilber nicht verscherbeln. Anke Schwede (LLK) betonte, ihre Fraktion sei gegen jeglichen Verkauf städtischer Grundstücke an wen auch immer. Sie wies darauf hin, dass Stiftungen in Deutschland immer einflussreicher würden und die Wohlhabenden darüber immer mehr Einfluss auf die Sozialpolitik nähmen, die eigentlich eine staatliche Aufgabe sei. Sie erinnerte auch daran, dass sich das Modell Schottenstraße bewährt habe und fragte, ob man nicht in dieser Weise auch auf den fraglichen beiden Grundstücken bauen könne.

In der Tat scheint die Verlockung für die öffentliche Hand groß zu sein, ihr Geld anderweitig zu verwenden und sozial schwache Menschen der Mildtätigkeit der Wohlhabendsten auszuliefern. Von bürgerlicher Seite nimmt sich das natürlich anders aus, dort hieß es, die Wobak sei überlastet und gar nicht in der Lage, diese Unterkünfte so schnell zu bauen, und Roger Tscheulin (CDU) befürchtete, man könne es sich hier auch noch mit einem Partner für die Zukunft verderben. In der Tat hatte Marcus Witzke freundlich angedeutet, dass das Geld seiner Stiftung in anderen Städten herzlichst willkommen sei, wenn Konstanz nicht so wolle wie er.

Wobak war interessiert

Der schließlich herbeitelefonierte Geschäftsführer der Wobak Jens-Uwe Götsch berichtete dem Rat, die Wobak habe über beide jetzt für die Stiftung vorgesehene Grundstücke nachgedacht und dafür auch schon geplant. Er sprach sich gegen eine reine Flüchtlingsunterbringung in Neubauten aus und skizzierte die Praxis der Wobak, Neubauten teils an Bestandsmieter zu vergeben, die eine neue Wohnung suchen, und dafür Flüchtlinge auch in Hausgemeinschaften in Altbauten unterzubringen. Dass das Gelände am Alten Bannweg anderweitig vergeben werden solle, habe er nur durch Zufall erfahren, er könne allerdings zur „Hoffnungsträger Stiftung“ nichts sagen, weil er sie nicht kenne. Auf jeden Fall hätte die Wobak nach seinen Worten die beiden Grundstücke gern genommen und bebaut. Er wies auch darauf hin, dass es derzeit nicht mehr so sehr um die Unterbringung von Familien, sondern um die alleinstehender Männer gehe, für die man einfach anders bauen müsse. Die Wobak konzentriere sich derzeit auf Projekte, die viel Wohnraum schaffen, und könne durchaus so schnell wie die Stiftung bauen, ihr Problem seien eher die seit 2012 um 66 Prozent gestiegenen Baukosten.

Aber all das spielte letztlich keine Rolle mehr, denn am Ende entschied der Rat bei jeweils 18 Ja- und 13 bzw. 14 Nein-Stimmen, die beiden Grundstücke am Alten Bannweg und in der Längerbohlstraße an die Stiftung zu verkaufen.

Es bleibt abzuwarten, ob das tatsächlich im Interesse der wohnungssuchenden Geflüchteten liegt. Eine Zuhörerin jedenfalls nuschelte, als der Stiftungsvorstand sein vom Glauben getragenes Konzept vorstellte und die im Haus wohnende Hausleitung erwähnte, ihrem Nachbarn erbost „christlicher Blockwart!“ zu.

O. Pugliese (Foto: Walter Rügert, Stadt Konstanz)


[1] https://www.stiftungen.org/de/stiftungen/zahlen-und-daten/liste-der-groessten-stiftungen.html
[2] https://hoffnungstraeger.de/fileadmin/Stiftung/Team/Steckbriefe/Steckbrief_Marcus_Witzke2.pdf
[3] https://hoffnungstraeger.de/wer-sind-wir/stiftung/
[4] https://hoffnungstraeger.de/was-machen-wir/hoffnungshaeuser/