Gemeinderat an der Seite der Flüchtlinge
Erst kommt das Fressen, dann die Moral, könnten Betrachter der Weihnachtssitzungen des Konstanzer Gemeinderates meinen, denn die Volksvertreterinnen und -vertreter arbeiten sich schneller als der Schall durch die umfänglichste Tagesordnung, auf dass das für 20 Uhr bestellte Weihnachtsmahl nicht kalt werde. Aber immerhin: Der Masterplan für Mobilität führte denn doch zu einer längeren Debatte, und auch zwei Beschlüsse zugunsten von Flüchtlingen gingen mit erstaunlich breiter Mehrheit durch
Die Konstanzer Verkehrspolitik treibt selbst im Winter ständig neue Blüten, und anlässlich der Debatte um den Nachtragshaushalt 2014 ließen so manche Gemeinderätinnen und -räte ihrer Phantasie wieder einmal sehr freien Lauf. Es ging darum, Gelder für den Masterplan Mobilität zu beschließen, und das gibt natürlich gerade in Vorwahlkampfzeiten wie diesen eine herrliche Plattform für richtungsweisende Reden ab. „Der Masterplan Mobilität Konstanz 2020+ ist ein den Verkehrsentwicklungsplan von 1996 ersetzender Rahmenplan, der Aussagen darüber trifft, in welcher Weise sich Konstanz in den nächsten Jahren verkehrlich entwickeln soll. Er soll verkehrspolitische Zielvorstellungen formulieren und Möglichkeiten sowie Handlungsspielräume aufzeigen, wie sie umgesetzt werden können. Damit sollen die verkehrlichen und räumlichen Bedingungen geschaffen werden, die eine notwendige bzw. wünschenswerte Entwicklung unterstützen.“ D.h., so ist die Vorlage der Stadtverwaltung wohl zu verstehen, der Masterplan ist keinesfalls ein Katalog schnell umsetzbarer Maßnahmen, sondern eher ein Papier, das Zielvorstellungen formuliert.
Ziele des Masterplanes sind die Verringerung des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) in der Stadt und die Stärkung des Anteils von Fußgängern, Radfahrern und Bussen am gesamten Verkehrsaufkommen. Er beruht auf der „Einsicht, dass mit der vorhandenen Infrastruktur – auch unter Berücksichtigung des Ausbaus der B33 und der Westumfahrung Wollmatingen – zusätzlicher Kfz-Verkehr im Stadtgebiet von Konstanz weder von der Funktionsfähigkeit des notwendigen Kfz-Verkehrs, des Wirtschaftsverkehrs, der Funktionsfähigkeiten der übrigen Verkehrsarten (ÖPNV, Fuß- und Radverkehr) noch von den Umweltbelastungen her vertretbar ist. Gleichzeitig besteht Konsens darüber, dass Mobilität, d.h. die Möglichkeit, alle Ziele in der Stadt grundsätzlich erreichen zu können, erhalten werden muss.“ Konkrete Schritte, wie diese Ziele erreicht werden sollen, müssen noch geprüft und in einem Umsetzungskonzept niedergelegt werden. Bürgermeister Kurt Werner versicherte, der avisierte Zeitrahmen von fünf bis sechs Jahren sei für solche Pläne durchaus üblich.
In die Stadt gondeln?
Die Gemeinderätinnen und -räten produzierten gleich so massenhaft Umsetzungs- und Verbesserungsvorschläge im Bereich Verkehr, dass Jürgen Ruff (SPD) seine Ratskolleginnen und -kollegen dazu aufforderte, doch jetzt erst mal den Masterplan selbst zu beschließen, statt Beschlüsse zu fassen, die dem Plan zuwider laufen. Eine weise Mahnung, wie der Verlauf der Debatte beweisen sollte, in dem so mancher biedere Mensch sich plötzlich zum Verkehrsplaner gereift sah. Holger Reile (LLK) vermisste im Masterplan den erwarteten großen Wurf für eine langfristige Verkehrspolitik. Der Plan schiele ihm zu sehr auf die Interessen der Autofahrer, dabei müsse es darum gehen, die Innenstadt autofrei zu bekommen und dem nichtmotorisierten Individualverkehr sowie dem öffentlichen Nahverkehr Vorfahrt zu geben. Er machte dafür auch den Konstanzer Einzelhandel verantwortlich, der seine Kunden am liebsten mit dem Auto an die Ladenkasse fahren lassen wolle und verwies darauf, dass man die Interessen der Wirtschaft nicht mit dem Allgemeinwohl verwechseln dürfe. Er forderte, die Innenstadt für den MIV komplett zu sperren, wenn es zu voll wird – gegen die Blechlawine helfen aus seiner Sicht nur Verbote, und der Masterplan erscheint ihm als bloßer Papiertiger im Kampf gegen die Konstanzer Verkehrsmisere.
Das sieht so mancher Bürgerliche natürlich anders: Heinrich Fuchs (CDU) begründete die Zustimmung seiner Fraktion zum Masterplan damit, dass Handel und Bürger auf fließenden Verkehr angewiesen seien, und dies sei auch Ziel des Planes.
Ein gutes Beispiel für die verschiedenen Stimmungslagen bot dann die Debatte über den P+R-Parkplatz an der Schänzlebrücke Nord. Von 18.05. bis 31.10.2013 wurden dort lediglich 4 198 Park- bzw. kombinierte Park-/Bustickets erworben, und man kann sich unschwer davon überzeugen, dass dieser P+R-Parkplatz an vielen Wochenenden weitgehend verwaist ist. Werner Allweiss (FGL) plädierte für ein verbesserte Parkleitsystem und forderte, das Parken auf dem P+R-Platz für ein Jahr kostenlos zu machen, eine Kerbe, in die auch Jürgen Ruff (SPD) hieb. Anselm Venedey (FWK) konnte sich einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen: Ausgerechnet SPD und Grüne forderten jetzt auf einmal kostenloses Parken. Er konstatierte, Parken dürfe auf keinen Fall kostenlos sein, aber wenn der Handel den Kunden die Parkgebühren erstatte, habe man eine Situation, in der alle nur gewinnen könnten: Für den Kunden sei der Parkplatz durch die Parkgebührenerstattung kostenlos, die Stadt komme an Parkgebühren, und der Handel habe sich werbewirksam in Szene gesetzt.
Holger Reile (LLK) beklagte, dass man den P+R-Parkplatz nach der erheblichen Anfangsinvestition jetzt stiefmütterlich behandele: „Es gibt keine Toiletten, keine Beleuchtung, und der Verkehr wird auch nicht konsequent zu diesem Parkplatz hingeleitet. Wir müssen die Einfahrten in die Stadt dichtmachen, sonst wird das nichts mit P+R.“ Eberhard Roth (UFG) forderte in diesem Zusammenhang, die Gelder für die geplante Machbarkeitsstudie für ein Wassertaxi doch gleich zu streichen, fand dafür aber keine Mehrheit, das Wassertaxi von der neuen Rheinbrücke in die Stadt ist also noch nicht vom Tisch.
Ein Tunnel vor dem Bahnhof?
Insbesondere Ewald Weisschedel (FDP) sowie Gabriele Weiner (FWK) haben eine Vision: Der Autoverkehr soll vom Konzil ebenso wie von der Bodanstraße aus in einem Tunnel vor dem Bahnhof verschwinden, um so Platz für einen echten Bahnhofsboulevard zu gewinnen. Sie forderten, diese Idee zumindest einmal zu prüfen. Jürgen Ruff (SPD) erkannte den Pferdefuß dieses bürgerlichen Vorschlages sofort: Während man mit dem Masterplan den motorisierten Individualverkehr vom Stadtinneren fernzuhalten suche, werde der Verkehr durch den Tunnel, so der denn überhaupt mach- und finanzierbar sei, wieder vermehrt in die Stadt gelockt. OB Uli Burchardt warnte vor übertriebenen Hoffnungen auf den Tunnel: Ein solches Bauwerk mitten durch die Stadt sei aus juristischen Gründen extrem zeitraubend und komplex, von den Kosten einmal abgesehen.
Der Gemeinderat entschied sich, das Tunnelkonzept gar nicht erst prüfen zu lassen. Ebenso lehnte er es ab, den von Jürgen Ruff ins Gespräch gebrachten Einbahnverkehr um die Innenstadt im Uhrzeigersinn weiterzuverfolgen. Er beschloss vielmehr, Geld für die Prüfung von zwei anderen Konzepten zu bewilligen, von denen man in den nächsten Jahren noch viel hören dürfte.
Gemeinderat auf Seiten der Flüchtlinge
Nach Monaten des Zögerns stimmten Gemeinderätinnen und -räte endlich über eine von der Linken Liste eingebrachte Resolution „Lampedusa mahnt: Endlich Umdenken in der Flüchtlingspolitik“ ab, deren Text Verwaltung und CDU erheblich entschärft haben, wie Vera Hemm (LLK) gequält berichtete. Der Gemeinderat schloss sich der umformulierten Lampedusa-Resolution am Ende trotzdem einstimmig an: „Wir fordern die Verantwortlichen in Brüssel, Berlin und Stuttgart auf, ihrer humanitären Pflicht, Flüchtlingen zu helfen statt sie abzuweisen, endlich nachzukommen. Abschottungspolitik führt zu noch mehr menschlichen Tragödien.“
Auch in einer anderen Frage der Flüchtlingspolitik zeigte Vera Hemm Flagge. Sie geißelte die Praxis des Landkreises Konstanz, Flüchtlingen Gutscheine statt Bargeld zu geben. Sie forderte den Gemeinderat auf zu zeigen, dass er die Position der protestierenden Flüchtlinge in Konstanz unterstützt und bereit ist, ein Zeichen gegen Landrat Frank Hämmerle zu setzen, der in diesem Fall das Sagen hat. Das Gesetz lasse den Landkreisen die Wahl zwischen Gutscheinen und Bargeld, und bereits 16 (von 44) Landkreisen hätten die erniedrigende Gutscheinausgabe zugunsten der Ausgabe von Bargeld abgeschafft, ohne dass es die geringsten Probleme gegeben habe. Anselm Venedey (FWK) berichtete außerdem von Initiativen, den Flüchtlingen ihre Gutscheine gegen Bargeld abzukaufen und dann selbst damit einzukaufen. Aber er habe jüngst erfahren, dass diese Gutscheine von kaum einem Händler angenommen werden, so dass das alles wenig Sinn mache. Am Ende beschloss der Gemeinderat bei 34 Ja-Stimmen und 6 Enthaltungen den Appell an Landrat Hämmerle, das Gutscheinsystem abzuschaffen und stattdessen Bargeld auszuzahlen.
Und weil sie so brav zugestimmt hatten, durften die Gemeinderätinnen und -räte bald darauf mit nur wenig Verspätung die Rallye zu ihrem Weihnachtsessen im Restaurant „Seerhein“ antreten.
Autor: O. Pugliese
P.S. Die Berichterstattung über die aktuelle GR-Sitzung wird baldigst fortgesetzt.
Vielen Dank Herr Riehle. Es scheint also so zu sein, dass in Wirklichkeit die Gutscheinlösung von der Mehrheit des Kreistags befürwortet wird, man aber so tut, der Landrat sei allein dafür verantwortlich. Es besteht also sowohl ein Kartell der Inhumanität und als auch eine Art Omerta, der sich alle Parteien im Kreistag stillschweigend anschließen.
Das ist so nicht ganz richtig:
„Der Kreistag ist die Vertretung der Einwohner und das Hauptorgan des Landkreises. Er legt die Grundsätze für die Verwaltung des Landkreises fest und entscheidet über alle Angelegenheiten des Landkreises, soweit nicht der Landkraft kraft Gesetzes zuständig ist oder ihm der Kreistag bestimmte Angelegenheiten überträgt. Der Kreistag überwacht die Ausführung seiner Beschlüsse und sorgt beim Auftreten von Mißständen in der Verwaltung des Landkreises für deren Beseitigung.“ (§ 19 Abs. 1 Landkreisordnung Baden-Württemberg)
Würde also der Kreistag in der Versorgung, Unterbringung oder Betreuung von Flüchtlingen (die der Kreisverwaltung unterliegt), „Missstände“ erkennen (und offenbar gibt es die, ansonsten wären keine Proteste und die entsprechende berechtigte Aufregung nötig), wäre er sogar verpflichtet, hiergegen etwas zu unternehmen.
Darüber hinaus wundert mich, dass einzelne Fraktionen, die zwar Unzufriedenheit und Kritik äußern (beispielsweise die „Grünen“-Fraktion im Kreistag), bisher kaum in dieser Thematik von ihren Rechten nach § 19 Abs. 3 und 4 Landkreisordnung Baden-Württemberg Gebrauch gemacht haben:
„(3) Ein Viertel der Kreisräte kann in allen Angelegenheiten des Landkreises und seiner Verwaltung verlangen, daß der Landrat den Kreistag unterrichtet und daß diesem oder einem von ihm bestellten Ausschuß Akteneinsicht gewährt wird. […]
(4) Jeder Kreisrat kann an den Landrat schriftliche oder elektronische oder in einer Sitzung des Kreistages mündliche Anfragen über einzelne Angelegenheiten […] richten, die binnen angemessener Frist zu beantworten sind […]“.
Warum ist Landrat Hämmerle für seine Entscheidung niemandem Rechenschaft schuldig, nicht einmal dem Kreistag? Wie lange wird unser Gemeinwesen noch von tyrannischen Alleinherrschern schikaniert? Warum kann ihm das Volk nicht auf die Finger hauen? Mehr Demokratie zu wagen im grünen BWB scheint keine Priorität zu haben, jetzt wo man seine veget-arischen Pöstchen hat, Lehrerstellen abbaut und weiter „Fremdpflanzen“ auf der Schwäbischen Alb ausreißen kann, ohne als total meschugge zu gelten.