Streit um die Gemeinschaftsschule in Rielasingen-Worblingen: Die Verlierer treten jetzt kräftig nach

seemoz-VPM-Efler+ReileLetzte Woche hat der Gemeinderat in Rielasingen-Worblingen mit großer Mehrheit beschlossen, an der geplanten Gemeinschaftsschule (GMS) festzuhalten – damit bestätigte er seinen Beschluss aus dem Sommer. Ein Bürgerentscheid gegen das neue Schulmodell an der Ten-Brink-Schule war nach dem Gemeinderatsbeschluss am Quorum gescheitert. Nun gehen die unterlegenen Gegner der GMS auf die Barrikaden und erheben schwere Vorwürfe. Zumindest einige

In einem Offenen Brief, der vergangene Woche an alle Haushalte in Rielasingen-Worblingen verteilt wurde, behaupten Klaudia und Tankred Schaer, an den Pranger gestellt zu werden und glauben, dafür auch den Grund zu kennen. Sie würden, „nur weil wir uns für eine Bürgerinitiative eingesetzt haben, massiv verleumdet und geschädigt“. Die Schaers betreiben seit rund zehn Jahren die „Bücherstube Rielasingen“ und waren mit federführend bei der Gruppierung, die sich vehement gegen eine Gemeinschaftsschule engagierte und einen Bürgerentscheid gegen die GMS auf den Weg gebracht hatte. Doch dieser erreichte nicht das geforderte Quorum.

„Was jetzt passiert“, klagen Tankred und Klaudia Schaer, „hat mit demokratischen Umgangsformen nichts mehr zu tun“. Schon vor dem Bürgerentscheid am 16.11. seien „Papiere mit rufschädigendem Inhalt“ aufgetaucht. Man müsse „vor den Schaers warnen, sie seien in einer Polit- oder Psychosekte aktiv gewesen“, habe man darin lesen können. Nach Meinung der Schaers wiesen damals „zahlreiche Anzeichen“ darauf hin, „dass die diffamierenden Artikel über die Schulleitung der Ten-Brink-Schule in Umlauf gebracht werden“.

Aber auch Ralf Baumert, Bürgermeister der Gemeinde Rielasingen-Worblingen, ist ins Schussfeld der aufgebrachten Schaers geraten. Auf dessen Facebook-Seite sei ein Hinweis auf einen Blog erschienen, auf dem wiederum „zum Teil 20 Jahre alte Artikel einer politisch motivierten Schmutzkampagne gegen den Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis VPM“ nachgelesen werden konnten. Darunter auch der „haarsträubende Artikel“ eines „Links-Aktivisten“ (womit der Schreiber dieser Zeilen gemeint ist). Der Hinweis auf den VPM bringt die Beschwerdeführer gewaltig in Rage, denn sie waren lange Jahre selbst aktiv beim VPM, wie sie in ihrem Offenen Brief erläutern. Noch immer sind sie zutiefst davon überzeugt, dass es vor allem linksradikale Kräfte waren, die den VPM unter Beschuß nahmen. Auch andere GMS-Gegner in Rielasingen-Worblingen an vorderster Front sind zugewanderte ehemalige VPM-Aktivisten, darunter Angelika Spur und Wieland Spur, letzterer sitzt für die Freien Wähler im örtlichen Gemeindeparlament.

Der VPM, auch als „Akademiker“- oder „Psychosekte“ bezeichnet, löste sich 2002 offiziell auf. Nach zahlreichen Prozessen, die die Gesinnungsgemeinschaft meist verloren hatte, war das Geld knapp geworden, außerdem wollte man endlich aus den Negativschlagzeilen kommen, die den VPM jahrelang begleiteten. Seine  ehemaligen Mitglieder haben sich nach Empfehlung ihrer kürzlich verstorbenen „fachlichen Leiterin“ Annemarie Buchholz-Kaiser zum Teil im Südwesten und im benachbarten Thurgau niedergelassen (seemoz berichtete mehrfach).

Das Buchhändlerpaar fühlt sich verunglimpft und behauptet, ihre Mitwirkung bei den GMS-Gegnern beschere ihnen sogar geschäftliche Nachteile. Denn Bürgermeister Baumert beabsichtige, ihrer Bücherstube „das Schulbuchgeschäft zu entziehen“ und auch den „Vorverkauf für Gemeindeveranstaltungen“. Außerdem würden Gegner der GMS „am Arbeitsplatz aufgesucht und unter Druck gesetzt“. Auch von telefonischen Belästigungen und sonstigen „Diffamierungen, Verleumdungen“ und „Unterstellungen“, die GMS-Kritiker zu ertragen hätten, ist in dem zweiseitigen Offenen Brief der Schaers die Rede. Sie wollen nicht hinnehmen, „dass unser guter Ruf (und unsere Bücherstube) ruiniert werden“.

Der Gemeindefrieden ist in der Tat nachhaltig gestört. Ein Pfarrer soll geklagt haben: „Wie konnte soviel Hass in unserer Gemeinde entstehen, der zum Teil Familien entzweit?“ Nach Ansicht von vielen Einheimischen haben die alten VPM-Kader daran den größten Anteil. Aber das werden sie, wie immer, mit Empörung zurückweisen.

Autor: H. Reile

Weitere Texte zum Thema:

18.11.2014: Gemeinschaftsschule ein marxistisches Teufelswerk?

07.08.2014: Rielasingen-Worblingen: Wer organisiert den Widerstand gegen die Gemeinschaftsschule?

Hier ein erläuternder Text über die Geschichte des VPM. Erschienen in der aktuellen Ausgabe des EZW (Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen). Eine Organisation, der man wohl kaum unterstellen kann, dass sie von Linksextremisten gesteuert wird.

Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) Berlin – Lexikon
Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis (VPM) und Zürcher Schule

Der Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis (VPM) wurde 1986 gegründet und war die Nachfolgeorganisation der Psychologischen Lehr- und Beratungsstelle, die auf Friedrich Liebling (1893  1982) zurückgeht. Liebling war ein in Galizien (heute Polen) geborener Jude. 1913 kam er nach Wien und diente bis 1918 als Kriegsfreiwilliger der österreichischen Armee, später wurde er Pazifist. Als Zeichen seiner Lossagung vom Judentum legte er nach dem Ersten Weltkrieg seinen Vornamen Salomon ab und nannte sich Friedrich. Mit seiner Familie floh er vor dem Nationalsozialismus in die Schweiz. Autodidaktisch beschäftigte er sich mit der Individualpsychologie Alfred Adlers und verband sie mit sozialistischen und anarchistischen politischen Ideen.

In den 1950er Jahren zog Liebling nach Zürich, wo er 1955 zusammen mit seinem aus Wien stammenden Pflegesohn Josef Rattner (geb. 1928) die Psychologische Lehr- und Beratungsstelle Zürich gründete, die später von ihm selbst Zürcher Schule genannt wurde. Hauptarbeitsgebiete waren Psychotherapiegruppen (Großgruppentherapien, s. u.), die Bildung eines Netzwerkes für Erzieher und Jugendliche sowie gesundheitspolitische Aktivitäten. Rattner, der nach Lieblings Vorstellungen sein Nachfolger werden sollte, entfremdete sich in den 1960er Jahren zunehmend von seinem Mentor. Ein Forschungsauftrag in Berlin bot ihm 1967 einen geeigneten Vorwand für eine räumliche Trennung, ohne mit Liebling brechen zu müssen. 1968 eröffnete er dort einen Arbeitskreis für Psychotherapie und 1976 ein eigenes Psychotherapie-Institut, an dem bis heute Großgruppentherapien durchgeführt werden, die jedoch entgegen der ursprünglichen Intention nur noch nicht öffentlich stattfinden. Liebling überhäufte seinen Pflegesohn später mit harscher Kritik und erkannte dessen Berliner Großgruppenprojekt nicht an.

Während der 68er-Bewegung wurde Liebling trotz vorgerückten Alters mit seiner Lehr- und Beratungsstelle in Zürich als  Begründer einer Therapieschule bekannt, die bis nach Deutschland hineinwirkte. In dem Klima studentischen Aufbruchs gelang es Liebling dank seiner charismatischen Ausstrahlung, für seine Verbindung von psychologischer und politischer Utopie eine junge Anhängerschaft hauptsächlich mit akademischer Bildung zu gewinnen. In dieser Atmosphäre wurde die Vision von der idealen Gemeinschaft, die durch eine Verbindung von persönlicher Bewusstseinsveränderung (Heilung des Gemeinschaftsgefühls) und politischem Bewusstsein entstehen sollte, zur Lebensorientierung vieler dieser jungen Menschen. Man glaubte, durch Lieblings Großgruppentherapien fähig zu werden, sich von der seelischen Deformation durch Staat, Religion und Erziehung zu befreien und die eigentlich vorhandene, aber verschüttete Gleichheit und Friedlichkeit des Menschen wieder freizusetzen. Ziel war die Entstehung eines libertären Kommunismus.

Die Bewegung wurde von der Begeisterung für das gemeinsame Ziel und der Verehrung für Friedrich Liebling getragen. Sie konzentrierte sich auf zwei Schwerpunkte: zum einen auf die eigene Befreiung durch eine  der Idee nach  lebenslange Therapie und Selbsttherapie, zum anderen auf die Förderung von Kindern und Jugendlichen durch eine an Wissenschaft und psychologischer Aufklärung orientierten Erziehung. Von den späten 1960er bis in die 1980er Jahre war die Zürcher Schule die größte psychologische Bewegung der Schweiz mit zuletzt gut 3000 Anhängern im In- und Ausland. Der Dogmatismus Lieblings und seine umstrittenen Therapiemethoden führten allerdings kurz vor seinen Tod zu heftigen Auseinandersetzungen vor allem mit der kritischen Züricher Presse, die er mit juristischen und propagandistischen Mitteln einzuschüchtern suchte.

Nach Lieblings Tod im Jahr 1982 wurde die Aktiengesellschaft Psychologische Lehr- und Beratungsstelle Friedrich Liebling AG gegründet. Die Töchter Lieblings setzten drei langjährige Schüler ihres Vaters ein, um seine Arbeit fortzuführen. Als Leiterin wurde Annemarie Buchholz-Kaiser (1939  2014) bestimmt. Allerdings gab es bei der ersten größeren Zusammenkunft der Gruppe nach Lieblings Tod ein Misstrauensvotum gegen die neue Leitung. Jutta Dierks, die Sprecherin der gegnerischen Fraktion, provozierte mit der Frage: Warum drei, warum nicht fünf? (VPM 1991, 261). Nach einem Teilnehmerbericht wurde der Konflikt mit Mitteln persönlicher Diffamierung ausgetragen und endete damit, dass die Gruppe um Dierks isoliert wurde (Boller 2007, 184). Seit vielen Jahren betreibt die pensionierte Lehrerin Dierks eine eigene psychologische Lehr- und Beratungsstelle in Böblingen.

Buchholz-Kaiser übernahm sowohl die Leitung der Lehr- und Beratungsstelle als auch die Supervision der übrigen Therapeuten und Berater, obwohl sie außer der zwanzigjährigen Ausbildung durch Friedrich Liebling, auf die sie immer verwies, über keine klinisch-therapeutischen Qualifikationen verfügte (VPM 1991, 239). Entscheidend für die Zukunft der Zürcher Schule wurde die Frage, welchen Kurs die neue Führung einschlagen würde. Ein Teil der Anhänger wollte die Zürcher Schule aus ihrer fachlichen Isolierung herauslösen und sich um anerkannte Ausbildungen und Abschlüsse bemühen. Das hätte aber gleichzeitig eine Abkehr von den utopischen Idealen Lieblings bedeutet. Buchholz-Kaiser kritisierte die Vorschläge einer fachlichen Öffnung als Verrat an der Vision des Gründers. Die Alternative bestand darin, die Utopie durch Schließung der Gruppengrenzen zu bewahren. Nach erbitterten Streitigkeiten und Trennungen folgte schließlich die Mehrheit dem letzteren, fundamentalistischen Kurs. Um Buchholz-Kaiser konstituierte sich 1986 der Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis (VPM). Nach der Übernahme der Zürcher Schule durch die Gruppe um Buchholz-Kaiser formalisierte diese das bestehende therapeutische Konzept, um das begonnene Werk Lieblings fortzusetzen.

In den frühen 1990er Jahren weiteten sich die Auseinandersetzungen mit Kritikern im Raum Zürich zu einer regelrechten Prozesslawine aus. In einem auffallenden Gegensatz zu Friedrich Liebling begann der VPM, vor der linken Unterwanderung des Erziehungswesens und der Gesundheitspolitik zu warnen. In Sachen Drogenpolitik entwickelte der VPM rechtsbürgerliche Positionen. Bei den Mut zur Ethik-Tagungen verbanden sich VPM-Psychologen mit ausgeprägt konservativen Christen. Kritiker erklärten diese dem VPM selbst nicht bewusste Wende von den religionskritischen, anarchistisch-linkssozialistischen Anfängen zu den rechtsbürgerlichen, religiöskonservativen Positionen der späteren Zeit mit der ausgeprägten Autoritätsgläubigkeit der Zürcher Schule und des späteren VPM: Der Weg, den die Leitung einschlägt, wird zum rechten Weg für alle (Schmid 2000).

Im Jahr 2002 gab der VPM offiziell seine Auflösung bekannt. Es gibt jedoch Hinweise dafür, dass einzelne Anhänger weiterhin organisiert aktiv sind. So gab der VPM die Zeitschrift Zeit-Fragen im gleichnamigen Verlag heraus, die bis heute als Print- sowie als Web-Projekt existiert (www.zeit-fragen.ch).

Lehre und Praxis

Charakteristisch für die Lehre Lieblings war eine Mischung aus tiefenpsychologischen und politischen Emanzipationshoffnungen. Zu den inneren und äußeren Gegenkräften, die den Menschen an seiner Entfaltung hinderten und die durch psychologische Menschenkenntnis zu überwinden seien, gehörte bei Liebling neben Nationalismus, Rassismus, Sexismus und Kapitalismus auch die Religion. Sie wurde von ihm mit Aberglauben gleichgesetzt und als Gegenmacht der Wissenschaft verstanden.

Liebling und später der VPM waren davon überzeugt, über die allein richtige, befreiende wissenschaftliche und psychologische Menschenkenntnis zu verfügen (VPM 1991, 390). Seine angeblich verlässliche, weil wissenschaftliche, Menschenkenntnis bestand aus eigenwilligen Interpretationen der Individualpsychologie nach Alfred Adler. Danach sind alle Menschen unbewusst seelisch geschädigt worden  durch eine unwissende und unaufgeklärte Erziehung. Diese Deformationen könnten durch das befreiende Wissen des VPM überwunden werden. Ziel sei es, das eigentlich zum Menschen gehörende Gemeinschaftsgefühl wieder herzustellen und damit allem Übel des persönlichen und politischen Lebens zu entfliehen. Ziel des Vereins war die Schaffung einer intakten Gesellschaft aus seelisch gemeinschaftsfähig gewordenen Individuen.

Das Neue an der von Friedrich Liebling praktizierten Therapie bestand darin, dass die Sitzungen in großen Gruppen mit bis zu 100 Teilnehmenden stattfanden. Die von Liebling in Zürich und später von Rattner in Berlin durchgeführten Großgruppentherapien waren ein Novum in der deutschsprachigen Psychotherapie. Hier agierte der Therapeut subtil durch die Steuerung der Gruppendynamik. Berichte persönlicher Erlebnisse und Bekenntnisse einzelner Gruppenmitglieder konnten ähnliche Prozesse sind aus religiösen Großgruppen bekannt  einzigartige seelennahe Gemeinschaftserfahrungen auslösen. Das intensive Gemeinschaftsgefühl, das sich in der therapeutischen Gruppe einstellte, wurde später sogar zum Maßstab seelischer Gesundung. Die intensive Stimmung in Lieblings Therapiegruppen und die suggestive Kraft seiner Persönlichkeit führten zu einer fast grenzenlosen Ergebenheit der Schüler gegenüber ihrem Meister.

Einschätzung

Da die Entscheidung über den Stand, den die Mitglieder in der Umsetzung ihrer Menschenkenntnis (angeblich) erreicht hatten, bei der Führung lag und von der Loyalität zur Führung abhing, muss der VPM als vereinnahmend bezeichnet werden. Als ein weiteres problematisches Merkmal der Therapiegruppen ist zu nennen, dass die Trennung zwischen dem therapeutischen Prozess und der Lebenswelt des Klienten aufgehoben wurde. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer entwickelten untereinander Freundschaften und lebten teilweise in Wohngemeinschaften zusammen. Damit wurde ein Grundprinzip der psychotherapeutischen Berufsethik, die Abstinenzregel, bewusst außer Kraft gesetzt.

Der VPM ist als eine ideologische Gemeinschaft mit Emanzipations-Utopien einzustufen. Sein starkes Sendungsbewusstsein speist sich aus der Überzeugung, die allein gültige Menschenkenntnis auf individualpsychologischer Grundlage zu besitzen. Allerdings wurde das von Adler postulierte Gemeinschaftsgefühl sozialutopisch überhöht und damit in sein Gegenteil verkehrt (Utsch 2007). Die Interpretationen des individualpsychologischen Gemeinschaftsgefühls durch Liebling und Kaiser wurden von der Fachwelt ignoriert. Die von Liebling und Rattner praktizierten Großgruppentherapien wurden wegen ihrer hierarchischen Strukturen kritisiert und weil dabei emotionale Abhängigkeiten gefördert würden. Die Idealisierung der Gruppe verwandle sie in eine totale Institution, die absolute Anpassung und die Aufgabe der bisherigen Identität sowie absolute Loyalität fordern würde (Wiegand 2002).

Aus diesen Gründen haben sich sowohl der Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP) als auch die Deutsche Gesellschaft für Individualpsychologie (DGIP) deutlich vom VPM distanziert: Der BDP hält an seiner Einschätzung fest, dass es sich beim VPM um einen Psychokult handelt, der durch seinen Namen bei Behörden, in Fachkreisen und der allgemeinen Öffentlichkeit den Eindruck einer psychologisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaft zu erwecken sucht und sich zudem nach außen den Anschein einer karitativen Organisation gibt, die Menschen in persönlichen Schwierigkeiten oder bei persönlichen Nöten mit psychologischem Rat und mit psychotherapeutischer Behandlung Hilfe leistet. Diese sogenannte psychotherapeutische Betätigung des VPM entbehrt jedoch nach Auffassung des BDP jedweder fachlichen Grundlage (Report Psychologie 8/1994, 19). Der Bundesvorstand der DGIP distanziert sich von den Aktivitäten und psychologischen Auffassungen des VPM. Dieser beruft sich zwar in seiner Theoriebildung ebenso wie die DGIP auf die Individualpsychologie Alfred Adlers.

Der sektenhafte Anspruch des VPM und seiner Organisationen auf eine Art Definitionsmonopol steht aber im krassen Widerspruch zur wissenschaftlichen Orientierung der Individualpsychologie (Presseerklärung der DGIP, in Auszügen publiziert in: Psychologie Heute 5/1994, 19).

1996 legte die Bundesregierung einen Entwurf für eine Informationsbroschüre über so genannte Sekten und Psychogruppen vor, in dem unter anderem auch der VPM thematisiert wurde. Dagegen wehrte sich der Verein mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Veröffentlichung der Broschüre. Das Oberverwaltungsgericht Münster wies diesen Antrag des VPM u. a. wie folgt ab: Vor dem Hintergrund der gesamten vorstehenden Ausführungen erweist sich auch die zusammenfassende Einschätzung in der geplanten Broschüre …, für den einzelnen besteh(e) die Gefahr, dass eine tiefe Abhängigkeit zu der Gruppe entsteht, der individuelle Lebenslauf den Gruppennormen und dem Gemeinschaftsgefühl angepasst wird und so eine zunehmende Entfremdung zum bisherigen sozialen und persönlichen Umfeld entsteht, bei summarischer Prüfung als sachliches Werturteil, das auf einem vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruht. Das oben näher beschriebene Konzept des VPM einer Steigerung des Gemeinschaftsgefühls, der Absolutheits- und Heilsanspruch sowie die subtilen Macht- und Kontrollmechanismen lassen die Warnung der Antragsgegnerin [gemeint ist hier die Bundesregierung], es bestehe die Gefahr der Gruppenanpassung und Abhängigkeit sowie der Entfremdung, als nicht unsachlich erscheinen. Eine solche Gefährdung kommt nicht nur für Mitglieder des VPM, sondern für alle in Betracht, die an den Aktivitäten des VPM und seiner Mitglieder teilnehmen. Hierzu zählen nicht nur (junge) Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche, die ebenfalls eine Zielgruppe des VPM sind (Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Mai 1996, Az. 5 B 168/94, 18).

Durch die Art, wie der VPM vor allem mit Andersdenkenden umging, verstieß er gegen die Verpflichtung zur offenen Diskussion und zur Konsensbildung. Damit ist er ein typisches Beispiel für eine Gruppe, die im Volksmund Psychogruppe oder Psychosekte genannt wird.

Prof. Dr. Michael Utsch, 8.10.2014

Quellen:

Gerda Fellay, Friedrich Liebling. Leben und Werk, Sitten 2010

Psychologische Lehr- und Beratungsstelle Friedrich Liebling (Hg.), Friedrich Liebling 1993  1982 zum Gedenken, Zürich 1982

Josef Rattner, Friedrich Liebling und die Großgruppentherapie, in Alfred Lévy/Gerald

Mackenthun (Hg.), Gestalten um Alfred Adler: Pioniere der Individualpsychologie, Würzburg 2002, 175-202

VPM (Hg.), Zur Theorie und Tätigkeit des VPM, Zürich 1990

VPM (Hg.), Der VPM. Was er wirklich ist. Tatsachen, Hintergründe, Analysen, Zürich 1991

Kritische Literatur: 

Peter Boller, Mit Psychologie die Welt verändern. Die Zürcher Schule Friedrich Lieblings und die Gesellschaft (1952  1982), Zürich 2007

Ingolf Efler/Holger Reile, VPM  die Psychosekte, Hamburg 1995

Hansjörg Hemminger, VPM  der Verein zur Förderung der psychologischen

Menschenkenntnis und Friedrich Lieblings Zürcher Schule, München 1994

Steffen Rink, VPM, in: Michael Klöcker/Udo Tworuschka (Hg.), Handbuch der

Religionen, IX-8, München 1997

Georg Schmid, VPM, www.relinfo.ch/vpm/info.html (Abruf: 3.10.2014)

Michael Utsch, Immanente und transzendente Deutungen des Gemeinschaftsgefühls, in Ulrike Lehmkuhl/Heiner Sasse/Pit Wahl (Hg.), Wozu leben wir? Sinnfragen und Werte heute, Göttingen 2007, 165-188

Ronald Wiegand, Die psychotherapeutische Großgruppe als Gegenwelt, in: Gerd Lehmkuhl (Hg.), Theorie und Praxis individualpsychologischer Gruppenpsychotherapie, Göttingen 2002, 355-37[modal id=“19250″ style=button color=default size=default][/modal]