Gemeinwohlökonomie: Zukunft oder Utopie?

weihnachten2013Christian Felber ging kürzlich in der Singener Gems der Frage nach, wie man transnationale Konzerne für eine soziale Wirtschaftsweise einspannen könnte. Felber hat es geschafft, mit seinem Konzept der Gemeinwohlökonomie Fragen aufzuwerfen. Weltweit beteiligen sich mittlerweile über 1700 Firmen in 35 Staaten an der Idee. Ziel sei es, der Gier des jetzigen Kapitalismus ein ökologisches und soziales Wirtschaften entgegenzusetzen. 

Christian Felber  ist Mitbegründer von attac Österreich und war dort lange Jahre im Vorstand. Mit dem Thema Gemeinwohlökonomie (GWÖ) widmet er sich explizit der Wirtschaft. Das habe er bewusst nicht studiert, da der Ausschnitt ihm zu klein gewesen sei, da es da nur um Profite ginge. Dass er unter anderem Psychologie studierte, merkt man. Er versteht es, einen Saal  mit knapp 200 Anwesenden mitzunehmen und wirbt für ein Miteinander statt ein Gegeneinander. Die Quintessenz seines Vortrages: Nahezu 90 Prozent der Menschen in Deutschland und Österreich  wünschen sich laut einer Umfrage der Bertelsmannstiftung eine sozialere und verteilungsgerechtere Wirtschaftsordnung. In der derzeit herrschenden dominierten ausschließlich Konkurrenz und Gewinnstreben. Was das hervorrufe, fragt er das Publikum. Es kommen Antworten wie bei anderen Vorträgen auch: Geiz, Gier, Neid, Angst, – das Publikum spielt mit. Weltweite Studien würden deutlich zeigen, so der Referent, dass diese Antworten überall ähnlich ausfielen.

Je ethischer desto nachteiliger

Für Felber ist die Problemlage eindeutig: Je ethischer man sich heutzutage als Unternehmen verhalte, „desto nachteiliger ist es.“ Mehrfach fügt er an, dass das Gewinnstreben im Kapitalismus gegen vielerlei Verfassungen verstoße. So stünde in der bayrischen Landesverfassung: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“, in dieselbe Richtung gehe, zumindest auf dem Papier, auch die italienische Verfassung und einige andere mehr. Er plädiert dafür, dass die Wirtschaft der Gesellschaft diene: „Die Verfassungswerte sollen zum Erfolg führen.“ Statt Konkurrenz solle Kooperation der Leitfaden sein und statt Gewinnstreben Gemeinwohlstreben.

Unethisches Verhalten sanktionieren, Ampelsystem für ethische Produkte

Um dieses Ziel zu erreichen, sollte eine soziale Bank bei der Kreditvergabe neue Kriterien anlegen. Umweltfreundlichkeit sowie der soziale Umgang mit MitarbeiterInnen müssten zukünftig ebenso eine Rolle spielen – nicht primär der zu erwartende Gewinn. Der mit UnternehmerInnen entwickelte GWÖ-Chart könne Unternehmen dabei helfen, eine sogenannte Gemeinwohlbilanz zu erstellen. Sie umfasst rund 20 Faktoren wie Umweltverträglichkeit, die Frage nach der Verteilung des Gewinns im Unternehmen oder ob ILO-Standards eingehalten würden (Standards der internationalen Arbeitsorganisation, einem weltweiten Zusammenschluss von Gewerkschaften). „Feindliche Übernahmen“ konkurrierender Unternehmen oder die grobe Verletzung von Sozialstandards fielen bei der Bilanz dann negativ ins Gewicht. Würden unethische Produkte in andere Länder exportiert, sollten die Zollschranken angehoben werden, aber wer sich ethisch verhalte, könne mit Steuererlässen rechnen.

Felber bemängelt, dass in der derzeitigen Marktwirtschaft die Kundschaft kaum nachvollziehen könne, auf welchem Wege ein Produkt entstanden ist. Die GWÖ hingegen versucht, dies transparent zu machen. Ihr Vorschlag: Ein Produkt solle mit einem ampelartigen System versehen werden. So  habe ein Kunde die Chance, mit einem Blick erkennen, wie sozial- und umweltverträglich ein Produkt ist. Über ein QR-Code-System könnte dann via Handy über die Gemeinwohlbilanz des Unternehmens entschieden werden.

Der Faktor 10

Was Felber im Vortrag nicht deutlich formuliert, das stellt er im Gespräch mit seemoz klar heraus: „Ich bin gegen Kapitalismus“ und meint damit das profitorientierte Wirtschaften. Was die Gesellschaft von der Wirtschaft verlange, sollten die Leute selbst in Versammlungen regeln. In Singen spielt er das anhand des Beispiels eines fiktiven Mindestlohns und einer fiktiven Lohnobergrenze mit dem Publikum durch. „Fast immer gewinnt der Faktor 10“, stellt er am Ende fest, und die Singener Abstimmung bestätigt ihn in seiner Meinung. Faktor 10 bedeutet: Spitzengehälter sollten maximal zehnmal so hoch sein dürfen wie der gesetzliche Mindestlohn. Zudem bemängelt er, dass die Parlamente dem Thema zuwenig Bedeutung zumessen würden.

Zwar brauche es Parlamente, die das politische Tagesgeschäft erfüllen, jedoch sollte die Verfassung von der Bevölkerung direkt geschrieben werden. An dieser Verfassung könne dann festgemacht werden, wie ethisch ein Unternehmen agiere. Später angesprochen auf die Tatsache, dass allerdings eine Bevölkerung durchaus auch reaktionäre Positionen vertreten und im Extremfall z.B. auch die Todesstrafe mehrheitlich befürworten könne, hält Felber entgegen: „Es gibt keine Gemeinwohlgarantie und die Bevölkerung kann auch gegen die eigenen Interessen entscheiden. Was wir aber brauchen, sind allgemeine Grundrechte, mit denen dann Abstimmungen zur Todesstrafe oder Ergebnisse wie in der Schweiz (Minarettverbot/Fremdenfeindlichkeit, Anm.d.Red.)  nicht möglich wären.“

GWÖ-Regionalgruppe Konstanz: Fast nur UnternehmerInnen (?)

Dass sich an einem anderen Abend in der Konstanzer Regionalgruppe fast ausschließlich UnternehmerInnen finden, aber kaum Studierende, Arbeitslose oder lohnabhängig Beschäftigte, die man eigentlich ansprechen will, ist kaum verwunderlich. Schließlich scheint vordergründig immer wieder die Frage im Raum zu stehen, wie man ein Unternehmen sozialverträglich aufbauen kann. Vor allem aktiven linken BeobachterInnen fällt schnell auf, dass der GWÖ-Vortrag Felbers zwar ILO-Standards anspricht, aber Gewerkschaften ansonsten dabei weitgehend ausgespart werden. Hier besteht Nachholungsbedarf und das weiß man auch: „Wir haben einen Arbeitskreis Betriebsräte und Gewerkschaften“, stellt Felber heraus und bekräftigt, dass die ILO-Kernarbeitsnormen von der GWÖ zu 100 Prozent unterstützt würden.

Gesellschaftliche Duselei?

In einer Kritik im Netz an Felbers Schriften heißt es wörtlich, er sei ein Traumtänzer. „Es ist ganz sicher eine Utopie, die Wirtschaftsleute heute noch nicht haben“, sagt Felber: „Aber es gibt diese Utopie mit den Mitteln des Kapitalismus heute schon.“ Und um das Thema von anderer Seite aufzurollen: Die althergebrachte linke Vorstellung, dass Emanzipation von unten, also der lohnabhängig beschäftigten Masse, und nicht von kapitalistisch geführten Unternehmen kommen muss, ist nur allzu richtig und wünschenswert. Und die GWÖ mag in der Tat auch die Schwäche haben, dass sie Konkurrenzdynamiken im Hier und Jetzt gerne mal ausblendet. Einer Mehrheit der UnternehmerInnen wird es wohl branchenbedingt kaum möglich sein, so lange auf dem Markt zu überleben, würden sie plötzlich auf das Unternehmensmodell GWÖ setzen. Auf der anderen Seite bieten sich mit ihm praktikable Lösungen, indem man sich zum Ziel setzt, unethisches Verhalten zu sanktionieren und von den Menschen selbst festgelegt werden soll, was ethisch ist und was eben nicht. So fiele die Gemeinwohlbilanz eines Unternehmens entschieden negativer aus, wenn sie im Rüstungsgeschäft verortet wird. Mancher IG Metall-Betriebsrat reibt sich hingegen nicht nur klammheimlich die Hände, wenn der Handel mit Kriegswaffen die Arbeitsplätze in seinem Unternehmen sichert. Über diese Tatsache täuscht auch nicht hinweg, wenn Felber in seinem Vortrag den Eindruck erweckt, der Kapitalismus hätte bis vor ca. 30 Jahren die Aufgabe gehabt, den Wohlstand der Bevölkerung zu sichern.

Auch wenn im Laufe des Vortrags kaum darauf verwiesen wurde: Die primäre Funktion des Kapitalismus hat die Gewinnakkumulation einiger Weniger zum Ziel und beutet daher – vor allem in Richtung Entwicklungsländer – von oben nach unten aus. Festgehalten sollte werden, dass in einer Konkurrenzgesellschaft der Raubbau an Mensch und Natur im Sinne des kapitalistischen Systems leider nur allzu logisch ist.

GWÖ auch in Konstanz 

Wer sich ein Bild davon machen will, was die GWÖ-Regionalgruppe Konstanz (siehe Teaserbild) genau plant, erhält unter http://konstanz.gwoe.net/ umfangreiche Informationen. Man erfährt, wie Gemeinwohlbilanzen erstellt werden, für welche Produkte die jeweiligen Unternehmen mit ihrem Namen stehen und welche Schritte sie in Zukunft in Richtung Sozialverträglichkeit und Umweltfreundlichkeit  gehen möchten. Dass viele dieser Konstanzer UnternehmerInnen profitabel wirtschaften und auch in sozialen Projekten abseits ihrer Erwerbstätigkeit engagiert sind, macht zumindest Hoffnung. Es wird spannend zu beobachten sein, ob sich der innovative Ansatz GWÖ weiter entwickelt und auch vor Ort neue Perspektiven aufzeigt.

Autor: Ryk Fechner