Gestatten: Hans Robert Jauß, SS-Hauptsturmführer
Hans Robert Jauß (1921-1997) war ein weltweit angesehener Romanist und Literaturtheoretiker. Mit Wolfgang Iser und Hans Blumenberg initiierte Jauß die einflussreiche Forschungsgruppe Poetik und Hermeneutik. Ab 1966 lehrte er an der neu gegründeten Universität Konstanz. Erst in den 1990er Jahren wurde intensiver über Jauß´ SS-Vergangenheit diskutiert. Gerd Zahner, im Hauptberuf Rechtsanwalt in Konstanz, hat sich den brisanten Stoff vorgenommen und ein Bühnenstück dazu geschrieben. seemoz hat ihn befragt und wollte wissen, was an den Vorwürfen gegen Jauß dran ist und wie Zahner diese thematisiert
Herr Zahner, Ihr neues Bühnenstück handelt von Hans Robert Jauß, der an der Konstanzer Universität lehrte und eine lange verschwiegene NS-Vergangenheit hatte. Wen interessiert das heute noch?
Das habe ich mich anfangs auch gefragt, aber dann bin ich auf meiner Recherche an der Universität Prag drauf gekommen, dass Herr Jauß an einer Junkerschule in Kienschlag unterrichtet hat und Chef einer Inspektion war, die damals nichts anderes tat, als in rascher Zeit SS-Offiziere ideologisch und waffentechnisch für den Krieg vorzubereiten. Und da hatte ich mein Thema: Schule als Waffe, die Universität als Waffe, mit dem Bogenschlag zur Gegenwart, dass heute solche Institutionen die modernen Kriege mit Soldaten versorgen – das Prinzip liegt eben in dieser Zeit begründet und Jauß war Schüler an einer dieser Junker- oder Unterführerschulen, und dann auch Dozent an einer solchen Schule. Somit haben wir eben den Bogenschlag zu einer Universität. Er hat dieses wichtige Thema nie angesprochen, er hat es verschwiegen und daraus erwächst meines Erachtens die Aufgabe für die Universität Konstanz, diese Problematik Junkerschule aufzuarbeiten, diese Problematik Schule als Waffe aufzuarbeiten.
Was für eine Position hatte Jauß damals genau?
Jauß ist in allem ein Musterbeispiel für einen Nazikarrieristen und das sage ich mit einer großen Gelassenheit, wissend, das es Ärger bereitet. Immerhin ist er 1946/47 in Recklinghausen nach den Kontrollratsgesetzen als Kriegsverbrecher zu einer Geldstrafe verurteilt worden, was man auch noch nicht weiß. Die Verurteilung basiert auf seinen eigenen Angaben. Jauß kommt aus einem bürgerlichen Haus. Sein Vater war Lehrer und selbst im Verdacht, Nazi zu sein. Grüßte immer mit Hitlergruß, ließ die Kinder Nazilieder singen. Der typische Spießbürger im Nazigewand. Sein Sohn Hans Robert tritt früh ein in die NS-Jugendorganisation, bringt es dort zum Oberführer der Jugend und wird dann freiwillig SS-Soldat. Er absolviert eine SS-Ausbildung in München, wo in den Unterlagen als Ausbildungsort ein „D“ zu finden ist. Eventuell Dachau?- ich weiß es nicht.
Es war damals nicht unüblich, dass Waffen-SS-Soldaten „zur Verbitterung“, wie es hieß, in Konzentrationslagern einen Teil ihrer Ausbildung ableisteten, um später im Sinne des Nationalsozialismus eingesetzt zu werden als Waffe. Er macht dann einen rasanten Aufstieg, bringt es schlußendlich, im Alter von 24 Jahren, zum SS-Hauptsturmführer, also Hauptmann, führte eine Brigade und ist 1a-Offizier von General Krukenberg, der die Charlemagne, diese legendäre Freiwilligenarmee der Franzosen führte, die ganz zu Kriegsschluss versuchte, Berlin zu verteidigen. In seinen Angaben vor den Untersuchungsbehörden nach Kriegsende erklärt Jauß später, dass er in Kienschlag, einer Junkerschule in der Nähe von Prag, Chef der 10. Inspektion war. Dort wurden französische und wallonische Freiwillige auch ideologisch als SS-Offiziere aufgerüstet, um sie im Krieg einsetzen zu können. Inspektionschef konnte in Kienschlag nur werden, wer in der SS-Ideologie absolut zuverlässig war und diese auch vermitteln konnte.
Was hatte es mit der Charlemagne-Armee genau auf sich?
In der Wehrmacht gab es damals rund 7000 französische Freiwillige. 1944 beschlossen die Nazis, diese Soldaten in die Waffen-SS zu integrieren und dafür wurden die Freiwilligen teilweise in Junkerschulen ausgebildet. Man hat die bereits erwähnte Inspektion gegründet unter der Führung von General Krukenberg und Jauß war sein 1A-Verbindungsoffizier, also quasi seine rechte Hand. Diese 7000 wurden teilweise zu SS-Offizieren ausgebildet und alle französischen „Freiwilligen“ wurden einer Prüfung unterzogen, ob sie denn rassisch und ideologisch geeignet waren, um den Anforderungen der Waffen-SS zu genügen.
Als ich dann im Militärarchiv in Freiburg recherchierte, sind mir wirklich die Haare zu Berge gestanden, denn ich bin auf die Liste der „Unerwünschten“ gestoßen: Über hundert der französischen Freiwilligen, die gegen den Bolschewismus kämpfen sollten, wurden als „nicht tragbar“ für die SS festgestellt. Darunter Homosexuelle, Juden, Defätisten, Antinationalsozialisten oder Trinker. Die Unerwünschten erhielten dann hinter ihrem Namen entweder das Wort KL, also Konzentrationslager, oder AL, also Arbeitslager. Und so wurden diese rund 100 im Jahre 1944 als Gefangene in das Konzentrationslager Stutthof überstellt, eines der schlimmsten Lager zur damaligen Zeit. Ich habe ein Dokument über einen Franzosen mit Schweizer Herkunft gefunden, dem wird bescheinigt, dass er arisch in Ordnung ist, die erste Zugehörigkeitsprüfung zur SS auch bestanden hat, unterschrieben mit: Jauß, Obersturmführer.
Wie hat Jauß das Kriegsende erlebt?
Das weiß ich nicht genau. Jauß muss aber ein angstfreier Offizier gewesen sein, der über hohe taktische Fähigkeiten verfügte und über einen unglaublichen Mut und eine gewisse Brutalität. Ich habe mir die Unterlagen besorgt, als damals Jauß das „Deutsche Kreuz in Gold“, eine der höchsten Auszeichnungen, erhalten hat, und zwar für einen Militäreinsatz in Estland. Seine Vorgesetzten bescheinigten ihm, wie er immer mit Hurra seinen Soldaten voran in die gegnerischen Linien einbricht, das Feuer auf fliehende Russen eröffnet, die Stellung wieder einnimmt. Jauß ist eine Art Vorzeigeoffizier, der den Tod nicht scheute und ideologisch einwandfrei war. Jauß hat zahlreiche Orden für seine Einsätze bekommen. Als die furchtbaren Massaker in Russland begangen wurden, war Jauß in der Winterschlacht mit dabei. Auch am Frankreich-Feldzug hat er teilgenommen. Er ist ein völlig Anderer, wie später in Konstanz vermutet. Dort hat man seine Kriegszeit runter gefahren auf das Niveau: Einfacher Soldat in der falschen Uniform. Aber das ist wohl nicht zu halten.
Wann und wie begann seine Nachkriegskarriere?
Er war in Kriegsgefangenschaft. Danach hat er seine Studien begonnen, war in verschiedenen Universitäten, hat seine legendäre Antrittsrede über die Rezeptionsästhetik 1967 in Konstanz gehalten. Er ist wohl ein Mann, der in jedem System Karriere macht. Ein brillanter Schreiber, ein großartiger Analytiker. Die Fähigkeiten, die er sich unter anderem als Schüler und Lehrer in den Junkerschulen erworben hat, das hat ihm geholfen gerade an dieser weißen und vergangenheitslosen Universität Konstanz. Da man in den sechziger Jahren keine kritischen Fragen gestellt hat, konnte Jauß sein System aufbauen und anschließend eine Weltkarriere starten. Jauß war einer der entscheidenden Professoren, die man nach Konstanz geholt hat, um der Universität einen Elitecharakter zu verleihen. Dadurch wurde er für Konstanz ein extrem wichtiger Professor. Später, als dann teilweise herauskam, wer er war, hat man sich nicht sonderlich um seine Hintergründe bemüht.
Noch ein kleiner, regionaler Schlenker zu Jauß: Sein Zugführerpatent hat er sich in Radolfzell geholt. Dort war eine SS-Totenkopfeinheit stationiert, dort wurde er teilweise ausgebildet, dort existierte auch eine Außenstelle des Konzentrationslagers Dachau, wo etwa 120 Häftlinge untergebracht waren. Die Radolfzeller SS hat Juden aus der Gegend nach Auschwitz oder Gurs gebracht, wo sie getötet wurden. Die Radolfzeller SS hat ja unter anderem auch die Konstanzer Synagoge gesprengt. Seine Zeit in Radolfzell hat Jauß aber nicht weiter zur Diskussion gestellt.
Hätte es nicht einfach gereicht, einen aufklärenden Artikel über Jauß zu schreiben? Warum jetzt ein Bühnenstück über ihn?
Das hängt mit meinem ganz persönlichen Kunstbegriff zusammen. Ich recherchiere gerne und schreibe gerne über Orte, um sie zu verändern, und es geht mir auch immer um Indifferenzen. Jauß hat hier seine Antrittsrede gehalten und im Audimax der Universität will ich mein Stück als Gegenantrittsrede aufführen. Ich will auch versuchen, die Universität zu motivieren, dies als wissenschaftlichen Stoff aufzugreifen, weil ich glaube, wir könnten Aufarbeitung als Warnung für die Gegenwart brauchen. Dazu ein entferntes Beispiel: Entlang der afghanischen Grenze sind lauter angebliche Schulen, die nichts anderes produzieren als Taliban-Soldaten für einen Krieg, der so nie aufhören wird. Nichts anderes haben die Nazis auch gemacht in ihren Junkerschulen. Und ich möchte eigentlich auch, dass endlich die Lehrer dieser Schulen, die Verantwortlichen, an den Pranger gestellt werden und nicht immer nur die Handelnden. Ein kleiner Vermerk zum Thema noch: Ein Fünftel dieser Absolventen der Junkerschulen sind später Aufsichts- oder Führungspersonen in diversen Konzentrationslagern geworden. Die Lehrer sind mit anzuklagen. Auch sie tragen Schuld.
Die Vergangenheit von Jauß, über die hier in Konstanz einige sehr wohl Bescheid wussten, wurde weitgehend verschwiegen und gedeckelt. Wenn Ihr Stück hier aufgeführt wird, könnten die Reaktionen sehr heftig werden
Ich glaube, dass Jauß hier noch eine breite Anhängerschaft hat. Dass ihm Leute zur Seite stehen, mag alles sein. Ich will mich da auch gar nicht als Märtyrer aufführen, aber das Thema Junker- und Unterführerschulen ist wichtig und sollte aufgearbeitet werden. Die Struktur Schule als Waffe muss an den Pranger gestellt werden. Dazu ist Jauß für mich der geeignete Mann, um das an die Öffentlichkeit zu bringen.
Ich bin davon überzeugt, dass Jauß viele Verteidiger haben wird, aber das ist mir völlig wurscht. Ich ziehe das Ding durch, werde es dem Rektor der Universität schicken und ich werde ihn bitten, dass er mir die geeigneten Räume zur Verfügung stellt, damit ich versuchen kann, dieses Stück vorzustellen. Ich hoffe, dass dann auch die Studenten reingehen und über die Bedeutung von Latenz, über die Funktion eines anderen in einer Person, etwas erfahren und – ich wiederhole mich bewusst – das Problem Schule als Waffe erkennen, ein Thema, das uns im 21.Jahrhundert immer wieder beschäftigen wird.
Das Interview führten HP Koch und Holger Reile
Ich möchte aus der Diskussions-Seite des Wikipedia-Artikels zu H.R. Jauß zitieren:
„Unvergessen bleibt Jauß‘ Auftritt bei einer vierteiligen Vorlesung des US-amerikanischen, 1923 in Köln geborenen Wissenschaftstheoretikers Adolf Grünbaum über „The Foundations of Psychoanalysis“ im Juni 1983 in Konstanz:
Jauß: „Herr Grünbaum, Sie sind doch in Deutschland geboren. Könnten Sie Ihre Vorlesungen nicht auf Deutsch halten?“
Grünbaum: „Herzlichen Dank, Herr Professor Jauß, für diese Anregung. Leider bin ich wegen Leuten wie Ihnen gezwungen worden, im Alter von 15 Jahren aus Deutschland auszuwandern. Ich bitte Sie um Nachsicht dafür, dass ich in den letzten 50 Jahren die deutsche Sprache weitgehend verlernt habe.“
Jauß bekommt einen roten Kopf, vor allem weil sich fast alle im Audimax zu ihm hinwenden, und schweigt.
Es wäre reizvoll, Jauß‘ Rezeptionsästhetik vor dem Hintergrund seines eigenen Lebens zu betrachten: Es kommt nicht auf den Autor und seine Intentionen an, sondern auf die Rezeption seines Werkes. Die Rezeptionsästhetik bietet einen Schutz vor allzu peinlicher Beschäftigung mit der Person. –hwb 22:56, 29. Jul 2006 (CEST)
Ist das irgendwo „belegt“, Zeitung oder so? Ich würds nämlich gern zitieren! –91.23.137.124 13:02, 1. Mai 2007 (CEST)
Ich habe es selbst erlebt.–hwb 23:06, 15. Sep. 2007 (CEST)“
Die Diskussion verblüfft mich, zumal sich hier merkwürdige Kassandra-Rufe dazwischen mengen. Mich nervt es, wenn eine Gegenargumentation quasi aus dem Stand heraus aufgebaut wird. War denn die SS-Vergangenheit von Jauß so bekannt? Vor 1995 ja wohl auch nicht. Ich gestehe, zu den Ahnungslosen gehört zu haben. Durch Gerd Zahner habe ich erstmals die SS-Schießanlagen hinter dem Waldfriedhof gesehen. Und jetzt auch den Fall Jauß. Doch via Ekkehard Faude, den ich noch aus meiner Studienzeit in Erinnerung habe, sind wir schon bei der Rezeptionsästhetik! Man suche sich eine Meta-Ebene – und schon ist man aus der Problemzone hinaus. Mich bewegt die Frage, ob sich da unter den Gründern der Konstanzer Uni ein Nest aus brauner Zeit befunden hat. Gründungsrektor Gerhard Herr war in Heidelberg Doktorvater von Jauß? Wolfgang Iser kannte den „Verein“ auch schon. Und dann gab es noch Leute, die Kultusminister Hahn auch noch wegen Rechtslastigkeit attackierten. Einfach zum Nachdenken.
Nichts gegen historische Aufklärung, schon gar nicht wenn es um die NS-Diktatur geht. Es fragt sich allerdings, was hier aufgeklärt werden soll. Seit Maurice Olenders Interview mit H.R. Jauss in Le Monde 1996 ist die Dokumentation seiner SS-Obersturmführerkarriere öffentlich reichhaltig dargelegt und international diskutiert worden. Hans-Rutger Hausmann hat eine faktenreiche Studie zur Geschichte der Romanistik im Dritten Reich (und danach) geschrieben („Im Strudel der Ereignisse gefangen“), die die etwas naiv anmutende Frage beantworten helfen mag, „wie so einer Professor werden“ konnte. Eine mögliche und naheliegende Antwort: Dank der geltenden Justiz, deren Institutionen-Geschichte es an Kontinuität von NS-Zeit zur Bundesrepublik nun auch nicht gerade mangelt. Die Tätigkeit als Junker-Ausbilder der SS-Waffen-Grenadier-Division 33 Charlemagne ist längst publik (vgl. Robert Forbes, For Europe, The French Volunteers of the Waffen-SS, 2006). Es kann bei dem Bühnenstück,also nicht um historische Aufklärung gehen.
Worum dann? Der „Brückenschlag“ zwischen einer SS- Junkerschule und der Universität ist eine ziemlich steile Vorlage: Soll das heißen, dass jede Form von Unterricht, von der Ausbildung von Panzergrenadieren im Krieg und Studenten an Hochschulen in Friedenszeiten als potenzielle Indoktrination im Sinne von Kriegstreibern gesehen werden soll, die „die modernen Kriege mit Soldaten versorgen“? Dass seit 1966 an der Universität Konstanz keine Erinnerungsarbeit geleistet worden wäre und somit Gefahr im Verzug, die durch eine Aufführung im Audimax gebannt werden könnte? Nach dem Motto „Endlich erfahren wir die ganze Wahrheit!“, die als „Gegen-Antrittsvorlesung“ alle mal so richtig wachrütteln soll.
Störend ist, dass vom Autor ausgerechnet in diesem Zusammenhang das Register des „Märtyrers“ gezogen wird, was gerade im Gestus des „Ich möchte mich da gar nicht als Märtyrer aufführen“ rhetorisch den Tod des Verkünders der Wahrheit durch die vielen Verblendeten evoziert, die automatisch als „breite Anhängerschaft“ in die Nähe der ideologischen Erstarrung gerückt werden.
Beim besten Willen, wenn es darum gehen soll, die Gefahren der Kriegsideologie an Schulen künstlerisch zu thematisieren, ist die Geschichte von Hans Robert Jauss ein allzu weit hergeholter und geschichtlicher Erkenntnis nicht sehr zuträglicher Stoff. Zumal sich beim Interview der Eindruck aufdrängt, dass ein einzelner wieder einmal für das Ganze herhalten soll. Lokalgeschichte wäre tatsächlich anhand der kollektiven Beteiligung und des Wegsehens rund um den See neu, wichtig und sicher interessant und aktuell zu inszenieren.
„muss an den Pranger gestellt werden“
herr zahner, vernebeln sie doch bitte nicht: das war ein zitat aus ihrer eigenen interviewrede. es ist ihre denke, ich habs nicht erfunden. ein historiker würde sich schwerlich einen solchen vorsatz nehmen, das macht aber jemand, der scharfrichter sein will.
ich habe auch nicht mein denken über den ganzen komplex hier ausgebreitet, sie können es also gar nicht kennen – ich hier habe reagiert auf ein interview, das mir als pr-stück für ein noch nicht aufgeführtes stück vorkam. seemoz gab schützenhilfe, okay. das ist brauch im theaterbusiness.
über das stück lässt sich erst reden, wenn es hoffentlich publiziert wird, sodass sich historiker mit ihren recherchen und ihren raschen schlüssen beschäftigen können…
Ein ergänzender Blick über den literarisch biedermännischen Tellerrand hin zur juristischen Feuerwehr –
Zwischenbilanz einer Historikerkommission zur Wirkung der Rosenburg in Bonn.
Manfred Görtemaker, Historiker Universität Potsdam und Christoph Safferling, Rechtswissenschaftler Universität Marburg.
Sie decken im Sinne einer wertneutralen, umsichtigen Wissenschaft auf:
Warum wir wurden, was wir sind: NS Teamgeist der alten Kameraden gegen kritische Juristen
1. Emigrierte Juristen wurden in den frühen Jahren der Bundesrepublik ins Justizministerium nicht eingestellt. Rudi Voelskow: “Diejenigen, die ich erlebte, da hat es Teamgeist gegeben im wirklich positiven Sinne.“
2. Die Beihilfe zu Nazimorden verjährte Ende der 60iger auf einen Schlag. Horst Ehmke SPD, ehemaliger Justizminister, spricht von einer furchtbaren Panne. In diesen Gesetzentwurfsprozess war Eduard Dreher, ehemaliger NS Staatsanwalt, einbezogen.
3. Bundesjustizminister Dehler verteidigte 1952 den belasteten Mitarbeiter Ernst Kanter, 1942-1945 Generalrichter in Dänemark, wegen seiner guten Sachkenntnisse.
http://www.ardmediathek.de/das-erste/tagesthemen/tagesthemen?documentId=17729110
ARD Tagesthemen vom 22.10.2013 ab Minute 18
Schon in der Gründungszeit der Bundesrepublik Deutschland, wurde die verfassungsprägende Tätigkeit kritischer Juristen zunehmend eingeschränkt. So konnte der Konstanzer Jurist Hans Jakob Venedey bei der Ausarbeitung der hessischen Verfassung noch mitwirken, wurde aber wegen seiner liberalen Haltung und seinem Bestreben, eine vorbehaltslose Basis mit der KPD zu schaffen, aus der SPD 1947 ausgeschlossen.
siehe dazu die Hans Venedey Biografie-Recherche von Uwe Brügmann in
http://www.stolpersteine-konstanz.de/
Sehr geehrter Herr Faude,
Ich schreibe auch diese Stücke, dass jeder sich outen mag, indem er Stellung nimmt.
Wenn 100 Franzosen im Jahre 1944 in das KZ Stutthof als Gefangene verbracht werden, von der Waffen SS ausgesondert, wenn Jauss Chef einer Inspektion war, die diese Maßnahme auch durchführte,wenn Jauss an einer Junkerschule in Kienschlag unterrichtet, also SS Ideologie und Ziele unterrichtete, so ist er damit nicht an den Pranger gestellt, sondern die Unmenschlichkeit(Schule als Waffe) der Junkerschulen werden hinterfragt.
Er ist auch nicht an den Pranger gestellt, wenn ich schreibe, dass Jauss gemäß Art.10 Nr. d Kontrollratsgesetz wegen der dort bechriebenen Verbrechen verurteilt worden ist.
Es ist legitim zu fragen, wie so jemand dann Professor werden konnte.
Wer solche Tatsachen und Fragen als Pranger bezeichnet, will nichts verstehen, will, wie Sie selber dankenswerterweise schreiben,die Diskussion und Aufarbeitung dann enden lassen, wenn die Täter verstorben sind.
Da dies in den meisten Fällen geschehen ist, schweigen wir nach der Faudedoktrin?
Besser noch, wenn wir nicht schweigen, stellen wir die Täter an den Pranger, werden also selbst zu Tätern, die andere dikreditieren, beleidigen, vorführen?
So offen formulieren es nicht einmal die Rechtsradikalen.
Wegen Ihrer Art zu denken, Herr Faude, damit diese Art nicht die Oberhand gewinnt, schreibe ich diese Stücke.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Zahner
lieber ekkehard faude,
einspruch, und zwar deutlich. deine attacke ist überzogen. ich kann in zahners recherchen keine „aufgeregte historische argumentation“ entdecken. er hat neues zu tage gebracht und wer will ihm verwehren, dass er ein theaterstück daraus macht, denn mitte der neunziger wurde über jauß´ vergangenheit fast ausnahmslos in printmedien berichtet. deine auffassung, zahner bediene sich „eines pseudolinken gestus der aufarbeitung“ kann ich rein gar nicht teilen. kaum glauben mochte ich, dass du ihm vorwirfst,er diskreditiere sich dadurch, dass er „einen toten an den pranger“ stellt. denken wir da weiter, könnten wir geschichts(fort)schreibung weitestgehend einstellen. und der vorwurf, zahner habe glück gehabt, ohne „versuchung von krieg und diktatur“ aufgewachsen zu sein, entbehrt jedenfalls jeder grundlage. denkt man auch das weiter, kann es nur heißen: wer diese zeit nicht selbst erlebt hat, sollte gefälligst die schnauze halten. das meinst du doch wohl nicht ernst – oder doch?
fragt sich reichlich verwundert
holger reile
Dem Kommentar von Khayim Steinwolf, besonders was die Aufgesetztheit von Zahners historischer Argumentation angeht, kann ich nur zustimmen.
Deutlich ist: der Autor hofft auf mediale Beleuchtung durch den Zoff, den er anstiftet, wenn er nun mit regionalen Aufhängern einen Stoff aufgreift, der in den großen Medien im vorletzten Jahrzehnt durchgedreht worden ist. Es gibt einen pseudolinken Gestus des „Aufarbeitens“, der inzwischen nur noch dem Lautstarken dient, der selber das Glück hatte ohne Versuchungen von Diktatur und Krieg aufzuwachsen. Was mal Aufklärung war, verkommt zur Egokampagne.
Ein Autor, zu dessen Motivation gehört, jemanden an den „Pranger“,einen Toten zudem, diskreditiert sich selbst, – wo lebt der eigentlich, im schlecht erfundenen Mittelalter?
An die Universität sollte er Ansprüche stellen, wenn er mal ein Stück über Tierversuche am Gießberg schreibt. Und die Stadt Singen kann ihn ja auszeichnen, sobald er heutige Bestialitäten ums Asylwesen als Stoff aufgreift.
(Nein, ich habe bei Jauß nicht studiert. Schätzte aber zum Beispiel auch Iser, obwohl er Schüler einer NS-Eliteschule war. Beide haben jahrzehntelang bewiesen, dass sie dazugelernt hatten.)
Den Herren Koch und Reile zunächst ein Kompliment: sie stellen die richtigen Fragen, wenn auch einige fehlen. So hatte zum Beispiel die NSDAP 1945 8,5 Mio. Mitglieder. Wie viele davon waren in Konstanz oder sonstwo um den Bodensee ansässig? Und wieviele waren in der HJ, im BDM?
Welcher Widerstand ist denn von der Bevölkerung um den Bodensee ausgegangen, als die Synagogen gesprengt und verbrannt wurden. Welche Mitbürger haben jüdischen Deutschen geholfen, Schutz geboten, oder sie auch nur gewarnt oder mindestens nicht angezeigt?
Ich denke wir haben genug über die SS-Oberhauptbanngausturmführer aller Gattungen erfahren und auf deren Leichen herumgetrampelt, was ja auch nicht gerade die feine Art ist. Schon gar nicht von uns Nachgeborenen, wie Gerd Zahner und ich nunmal sind.
Ich wünschte – gerade als Nachgeborener, als Sozialist und als Jude – wir hätten erfahren und erführen mehr über die Beweggründe und die Entscheidungen der Abermillionen von Deutschen und anderen Europäischen AnhängerInnen des Nazionalsozialismus und des Faschismus (und des Stalinismus). Erstens.
Und zweitens wünschte ich mir, dass die Bundesregierung die Urteile der Nürnberger Prozesse anerkennt. Und damit den Weg ebnet für alle Deutschen (auch die jüdischen), welche ihr Verhalten, ihre Entscheidungen und ihr Handeln in der Zeit der Naziherrschaft bereuen und es bisher nicht zu sagen wagten weil sie genau die Art pauschaler Anklagen fürchten mussten und müssen, wie Zahner sie gegen Jauss erhebt. Den bereut haben die Verurteilten von Nürnberg nicht. Nicht im geringsten.
Gerd Zahner recherchiert nach eigener Aussage gerne; aber in seiner Erzählung von Hans Robert Jauss fantasiert er gerne, wo er nichts gefunden hat (suggerierter Dienst im KZ) und blendet (nicht als Erster) aus, wie der Mensch Jauss mit seiner Vergangenheit umgegangen ist. Was, wenn er bereute?
Ich hoffe sehr, dass Zahners Stück nicht im Audimax aufgeführt wird. Jauss‘ Antrittsrede dort war definitiv keine SS-ideologische auch keine nazionalsozialistische. Und es gelten bei Jauss gewisse moralische und gesetzliche Regeln welche Gerd Zahner als Jusrist mit Latinum bekannt sein dürften, wenn auch nicht ans Herz gewachsen: in dubio pro reo. non bis in idem. und last but not least: de mortuis nisi bene.
Sehr gezieltes und interessantes Interview.
Herr Zahner scheut sich nicht die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen. Die Brisanz dieses Thema vor dem Hintergrund „Schulen als Waffen“ ist enorm! Es hat nichts mit der üblichen Nazi-Hetze zu tun sondern es ist eine Reflexion über das Verhalten in einer von einer radikalen Ideologie – ob religiös oder politisch – geführten Macht.
Danke und ich bin sehr gespannt auf dieses interessante und spannende Theaterstück!