GEW: Politik setzt auf Selbstausbeutung des Personals
Alle reden über Bundestagswahl und Koalitionsbildung. Nicht so die Mitglieder des Kreisverbands Konstanz der Bildungsgewerkschaft GEW, die letzten Dienstag im Konzilgebäude mit der Landesvorsitzenden Monika Stein über die Politik im Ländle diskutierten – schließlich werden in Stuttgart die wichtigen bildungspolitischen Entscheidungen getroffen. Erstmals besetzen die Grünen hier vier Schlüsselpositionen: Ministerpräsident, Wissenschafts- und Finanzressort sowie neu auch das Kultusministerium.
„Kretschmann nutzt für die Bildungspolitik nicht so viel, auch wenn er Lehrer ist“. Monika Stein sieht die zehn Jahre der grün-geführten Landesregierung durchaus kritisch, auch wenn grundlegende bildungspolitische Reformen wie etwa die Einführung der Gemeinschaftsschule umgesetzt wurden. In der vergangenen Legislatur dominierte CDU-Ministerin Susanne Eisenmann die Bildungspolitik, wobei der Regierungschef ihr wenig entgegensetzte.
Große Verantwortung für die Grünen
Jetzt haben die Grünen erstmals das Kultusressort selbst übernommen und mit Theresa Schopper besetzt, die als Ministerin im Staatsministerium bereits Regierungserfahrung hat. Stein lobt: „Es hat sich im Stil des Umgangs einiges geändert“ und ergänzt: „Die Grünen ducken sich zum Glück nicht wieder aus der Verantwortung. Der Koalitionsvertrag enthält zwar Ideen der GEW, ist aber insgesamt ernüchternd, da alles unter Haushaltsvorbehalt steht.“ Sie sieht finanzpolitische Ziele wie „Schwarze Null“ oder Schuldenbremse sehr kritisch und bemängelt, dass die Politik in den Kategorien des aktuellen Haushalts denke und Folgekosten aus dem Blick verliere. Wenn wir das Problem der Chancenungleichheit für Kinder und Jugendliche nicht in den Griff bekämen, dann müsse mit Folgekosten „im Sozial- und Justizbereich“ gerechnet werden, die weitaus höher lägen als die Einsparungen durch den Verzicht auf Investitionen im Bereich Bildung. Monika Stein kündigt vor diesem Hintergrund an, das Gespräch mit dem neuen Finanzminister Danyal Bayaz zu suchen.
Eklatanter Fachkräftemangel
Den Landesvorsitz hat Monika Stein vor zehn Monaten von Doro Moritz übernommen. Sie sieht sich selbst als „Quereinsteigerin“, da sie zuvor keine herausgehobenen Funktionen in der Landes-GEW übernommen hatte, sondern viele Jahre als Haupt- und Werkrealschullehrerin sowie ehrenamtlich als Kommunalpolitikerin in Freiburg tätig war. Sie sagt offen: „Ich bin schockiert über den Fachkräftemangel im Bildungsbereich“, der ihr vor der Übernahme des GEW-Landesvorsitz so nicht bewusst war. Gerade im Süden von Baden-Württemberg existiere ein großes Problem, da insbesondere an den Grundschulen viel zu wenig qualifiziertes Personal zur Verfügung stehe, das wiederum Voraussetzung für qualitätvolle Bildung sei. Die Forderungen der GEW in diesem Bereich sind die Erhöhung der Zahl der Studienplätze sowie umfassende Qualifizierungsangebote für Quereinsteiger*innen. Wichtig sind insbesondere gute Arbeitsbedingungen, so dass eine berufliche Tätigkeit im Bildungsbereich attraktiv ist. „Die Politik verlässt sich auf die Selbstausbeutung des Personals in Bereichen wie Bildung oder Pflege“, kritisiert Stein.
Enorme Arbeitsbelastung der Lehrkräfte…
Hier knüpft Eva-Marija Schuldt an. Sie ist Vorsitzende des Personalrats beim Staatlichen Schulamt Konstanz und bestätigt den skizzierten Fachkräftemangel für den Norden des Schulamtsbezirks, der die Landkreise Konstanz und Tuttlingen umfasst. Ein drängendes Problem in der Stadt Konstanz sei aber die hohe Arbeitsbelastung der Lehrkräfte insbesondere an der Gemeinschaftsschule. Beispielsweise ist das pädagogisch wichtige und zeitaufwendige Coaching nicht in der regulären Arbeitszeit (sogenanntes Deputat) verankert. Auf Basis der pädagogischen Überzeugung der Lehrkräfte wird es dennoch durchgeführt, womit wir wieder bei der Selbstausbeutung wären. Monika Stein weist darauf hin, dass eigentlich im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, das Coaching als Instrument der individuellen Förderung im Deputat zu berücksichtigen. Allerdings stehe auch dieses Vorhaben unter Haushaltsvorbehalt.
… und prekäre Beschäftigungsverhältnisse
Dr. Cornelia Klocker, „Postdoc“ am Fachbereich Jura der hiesigen Uni, lenkt den Blick auf die Hochschulpolitik. Sie berichtet, dass nach aktuellen Zahlen derzeit 77,4 Prozent der wissenschaftlichen Beschäftigten an den Universitäten des Landes einen befristeten Arbeitsvertrag haben. Monika Stein zeigt sich „fassungslos“ über diesen hohen Anteil prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Das Land müsse dringend mehr unbefristete Beschäftigungsverhältnisse schaffen, so dass Uni-Mitarbeitende „den Rücken frei haben“ für ihre anspruchsvolle Arbeit in Forschung und Lehre.
Spätestens jetzt wird die Breite der Herausforderungen für die Bildungsgewerkschaft deutlich. GEW-Kreisvorsitzender Hans-Georg Pannwitz dankt Monika Stein für ihren Besuch am See. Sie eilt zum Bahnhof, um mit Hilfe der zeitraubenden Bahnverbindung am späten Abend noch zurück nach Freiburg zu kommen.
Text: Till Seiler
Bild: Monika Stein (GEW Baden-Württemberg)