Gewerkschaft und Betriebsrat schimpfen: Erpressung
Der Alcan-Betriebsrat rief und alle kamen: Die Betriebsversammlung des Singener Werkes am 9. Mai war überfüllt, nicht einmal Stehplätze gab es noch. Doch die Informationen, die Betriebsrat Heinrich Holl und Gewerkschafter Paul Rodenfels für die 1700 Beschäftigten hatten, waren ernüchternd: Die Geschäftsleitung bleibt bei ihrer „Telefonnummer 1701011“ (so Rodenfels): 170 Arbeitsplätze weg, 10 Prozent längere Arbeitszeit, 11 Millionen Euro Investitionen. Die Gegenwehr lässt nicht auf sich warten: Für nächste Woche ist eine neue Demonstration geplant.
„Das einzige, was die Heuschrecke Apollo uns gebracht hat, ist ein neuer Name. Hört sich an wie ‚Komm, stell dich um‘ – Constellium“, witzelte Betriebsrats-Chef Holl auch auf der anschließenden Pressekonferenz. Sonst wetterte er: „Die 11 Millionen für die neue Presse lassen sich lässig aus der Umlaufkasse (cash flow, d. Red.) nur eines Monats finanzieren. Dafür die Alcan-Arbeitnehmer bluten zu lassen, ist eine Unverschämtheit.“
Constellium, wie Alcan Singen seit Anfang Mai heißt, plant in den kommenden zwei Jahren den Abbau von 170 Arbeitsplätzen (s. seemoz v. 28.4.). So will die Geschäftsleitung Kosten einzusparen, um in eine moderne, elf Millionen Euro teure Presse investieren zu können. Darüber hinaus will die Geschäftsleitung, dass alle Mitarbeiter in den kommenden vier Jahren ihre Arbeitszeit um 10 Prozent erhöhen. Betriebsrat und IG Metall wehren sich gegen „die dreisten Forderungen der Heuschrecke Apollo“
Der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Singen, Paul Rodenfels, legte nach: „Arbeitszeit-Regelungen sind Tarifvertrags-Angelegenheiten. Und dafür ist die Gewerkschaft zuständig. Als Verhandlungsführer solcher Tarifverhandlungen sehe ich angesichts der Ertragslage von Alcan Singen überhaupt keine Notwendigkeit, über Arbeitszeitveränderungen zu diskutieren, geschweige denn zu verhandeln.“
Sinnlose Pläne der Geschäftsleitung
Zumal, so argumentiert der Betriebsrat, viele Vorhaben der Geschäftsleitung betriebswirtschaftlich ohne Sinn seien. Zwei Beispiele: Um die neue Presse am selben Platz der drei alten zu installieren, braucht es mindestens sechs Monate Umbauzeit. In der Zeit fällt die Produktion im Werk der Presse aus – wer zahlt die Ausfälle, wer bürgt für abgesprungene Kunden? Da der 51-Prozent-Eigner Apollo kein Geld für einen Sozialplan opfern will, wird es zu einer Sozialauswahl kommen, die zuerst die Leiharbeiter (10 Prozent der Belegschaft) und später die jungen Beschäftigten (Durchschnittsalter der Gesamtbelegschaft: 50) ohne Kündigungsschutz treffen wird. „Das ist nun wirklich keine Zukunftssicherung für den Standort Singen“, sagt Betriebsrat Holl.
Die Arbeitnehmer-Vertreter befürchten, dass Alcan Singen – das zweit profitabelste Unternehmen unter 24 europäischen Standorten – vor die Wand gefahren werden soll. „Denn wo ist der Sinn, Arbeitszeiten zu erhöhen, um Arbeitsplätze abzubauen?“ fragt Gewerkschafter Rodenfels. „Standort-Sicherung sieht anders aus.“
Letzte Chance: Der Staat
Betriebsräte und Gewerkschaft wollen dennoch weitere Hebel in Bewegung setzen: Ein Fragekatalog für den Interessensausgleich ist in Vorbereitung, eine Sondersitzung des Aufsichtsrats in der kommenden Woche ist anberaumt, Arbeitsniederlegungen werden nicht ausgeschlossen. Kurzfristig aber fokussieren sich die Anstrengungen der IG Metall – eingedenk ihrer guten Beziehungen zur SPD – auf den neuen Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg: Nils Schmid soll eingeladen werden, um sich um die Alcan-Arbeitnehmer zu kümmern. Hoch-Tief lässt grüßen.
Was bleibt, ist der Frust der Arbeitnehmer-Vertreter; „Wir werden erpresst“, sagt Betriebsrats-Chef Holl: „Standort-Sicherung gegen Arbeitsplätze, Arbeitszeit-Verkürzung für Investitionen. Was bleibt, ist der Profit der Heuschrecke Apollo.“ Doch die nächste Kundgebung, in die auch die Singener BürgerInnen einbezogen werden sollen, ist für nächste Woche schon geplant.
Autor: Hans-Peter Koch
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