Gohl, das ewige Leiden
Das Singener Unternehmen E.W. Gohl wird seine Kühlturm-Produktion nach Karlsruhe verlegen. Das hat die Konzernleitung angekündigt. Doch die Belegschaft nimmt das nicht hin – und hat vergangenen Freitag auf einer Pressekonferenz Widerstand angekündigt.
Kühlaggregate sind aus unserer Industriegesellschaft nicht mehr wegzudenken. Automobilwerke, Krankenhäuser, Hotels, Einkaufszentren nutzen die Kühltürme genannte Wärmetauscher, um Temperaturen zu regulieren. Entsprechend zuversichtlich blickte die Belegschaft des Singener Unternehmen E.W. Gohl in die Zukunft. Die Auftragsbücher waren voll, noch im Herbst hatte ein Aufsichtsratsmitglied die Beschäftigten gelobt und von einem sehr zufrieden stellenden Geschäftsverlauf berichtet, alles schien bestens – bis zum Paukenschlag am 20. Februar. „Da hat die Geschäftsleitung zu einer Informationsveranstaltung geladen“, erinnert sich Betriebsrat Michael Kost, „sie hat vier Powerpoint-Folien gezeigt und in wenigen Minuten verkündet, dass die Geschäfte defizitär seien, die Produktion daher im Oktober 2019 verlagert werden müsse“.
„Wir kommen uns für dumm verkauft vor“, sagt Kost, dem die Empörung auf der Pressekonferenz der IG Metall deutlich anzumerken ist. Die Firma Gohl, anfangs im Heizungsbau tätig, existiert seit 1933; sie stieg 1959 in die Kühlturmfertigung ein, expandierte aufgrund innovativer Weiterentwicklungen, beschäftigte um die Jahrtausendwende knapp 200 Arbeitskräfte und baute weltweit Vertriebsstrukturen auf. 2012 wurde das Familienunternehmen von der französischen Cofinair-Gruppe übernommen. Alles schien bestens: eine lange Tradition, eine erfahrene Belegschaft, solide Geschäftszahlen. Und jetzt das: Die Verlegung der Fertigung zur früheren Hauptkonkurrentin, der defizitärem Kühlturm Karlsruhe (KTK), die Cofinair letztes Jahr ebenfalls gekauft hatte.
Aber stimmen die Angaben der Geschäftsleitung überhaupt? Dieser Frage ist Kevin Nitsche nachgegangen, der wie Kost seit der Gremienwahl vor ein paar Tagen ebenfalls im Betriebsrat sitzt. „Jeder kann auf der Webseite des Bundesanzeigers nachschauen“, sagt er. Und siehe da: Statt dem von Geschäftsführer Christian Korinth beklagten Minus weist das Unternehmen seit 2014 positive Zahlen aus: 2014 lag der Jahresüberschuss bei etwas über 300 000 Euro, 2015 waren es knapp 400 000, 2016 erwirtschaftete die Belegschaft immer noch 360 000 Euro Gewinn. Von Defizit keine Spur. Und das, obwohl in den vergangenen Jahren Vertriebsstellen abgebaut worden waren.
Maultaschenpreis und Drohungen
Es ist nicht das erste Mal, dass die Gohl-Geschäftsleitung glaubt, mit den derzeit 65 Beschäftigten nach Belieben umspringen zu können. So bekam die Firma 2011 die „Konstanzer Maultasche“ verliehen; der Preis wird immer wieder an Firmen vergeben, die MitarbeiterInnen schikanieren, Betriebsräte mobben, Mitbestimmungsrechte missachten. Gohl wurde damals für preiswürdig erachtet, weil das Unternehmen jahrelang Lohnerhöhungen verweigerte, die Rechte des Betriebsrats ignorierte, weder Urlaubs- noch Weihnachtsgeld zahlte und eine extrem hohe Leiharbeitsquote durchsetzen wollte.
Jahre später, im September 2016, kündigte die Geschäftsleitung Umstrukturierungsmassnahmen an: Es gebe Absatzschwierigkeiten, lautete die Begründung. Drei Bereiche sollten schließen, 25 Beschäftigte gehen. „Es Verhandlungen verliefen zäh“, erinnert sich der langjährige Gohl-Betriebsratsvorsitzende Joachim Graf, „die Firmenleitung drohte mit Schließung des Standorts“. Diesem Druck gab der Betriebsrat teilweise nach (es blieb ihm kaum anderes übrig) und akzeptierte im März 2017 einen Sozialplan, der seither zum Verlust von 15 Arbeitsplätzen führte. „Dafür bekamen wir die Garantie, dass das Werk und die Produktion erhalten bleiben“, sagt Graf. Interessant dabei: Kaum war der Restrukturierungsvertrag unterzeichnet, heuerte das Unternehmen Leiharbeiter an; die Nachfrage sei sprunghaft angestiegen, hieß es plötzlich aus der Chefetage.
Kein Wunder, dass der Friede nicht lange hielt. Noch im selben Frühjahr verlangten die Chefs die Auflösung des Betriebsrats. Er habe gegen die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ verstoßen, lautete die Begründung der Personalabteilung. Faktisch aber hatten Joachim Graf und seine KollegInnen nur das getan, was zum normalen Tagesgeschäft von Betriebsräten gehört: Sie widersprachen der Kündigung von MitarbeiterInnen. Darin konnte im vergangenen Sommer auch das Arbeitsgericht Radolfzell keinen Grund zur Auflösung des Betriebsrats erkennen – das Unternehmen zog seinen Antrag zurück.
Kämpferischer Geist
„Gohl, das ist das ewige Leiden“, stöhnt daher Raoul Ulbrich, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Singen, auf der Pressekonferenz. Er jedenfalls traue der Geschäftsleitung mittlerweile nur noch so weit, wie man einen Elefanten werfen könne. Denn auch dieses Mal seien elementare Informationsrechte des Betriebsrats verletzt worden, habe man die Belegschaft vor vollendete Tatsachen stellen wollen, liege kein konkreter Plan vor, aus dem hervorgeht, wie sich die Firmenleitung den Umbau vorstellt.
Und so schwebt noch vieles im Ungefähren. Sicher ist nur, dass die Kühlturmfertigung zu KTK nach Karlsruhe verlegt werden soll und dass Beschäftigte das Angebot bekommen, mit umzuziehen. Der After-Sales-Bereich hingegen könne in Singen bleiben – was immer das bedeuten mag. Doch die Betriebsratsmitglieder sind skeptisch: „Serviceleistungen und Ersatzteillieferungen aus Singen ergeben doch keinen Sinn, wenn in Karlsruhe produziert wird“, sagen sie.
Warum also diese Maßnahme, deren Folgekosten unübersehbar sind? Joachim Graf glaubt den Grund zu wissen: „Wir haben in der Belegschaft aufgrund unserer langen Geschichte einen starken Zusammenhalt und sind gewerkschaftlich gut organisiert“, sagt er, „jedenfalls weitaus besser als die achtzig KTK-Beschäftigten in Karlsruhe“. Und Michael Koch fügt hinzu: „Unser kämpferischer Geist ist nicht erwünscht.“ Mit anderen Worten: Die erfahrene Belegschaft – darunter Beschäftigte mit über 40 Jahren Betriebszugehörigkeit – soll zerschlagen werden. Mit ziemlicher Sicherheit werden nur wenige das etwaige Übernahmeangebot akzeptieren: Das Durchschnittsalter der Belegschaft liegt bei 47 Jahren. Und selbst wer mitsamt Familie ins Nordbadische umzuziehen bereit ist, geht ein Risiko ein: Als Neueingestellte fliegen sie bei der nächstbesten KTK-Restrukturierung als erste raus.
Widerstand angekündigt
Spätestens wenn konkrete Pläne und Angebote auf dem Tisch liegen, eine Verhandlungsbasis geschaffen ist, der Anwalt der Belegschaft intervenieren und das gewerkschaftsnahe IMU-Institut Alternativen unterbreiten kann, wollen die Beschäftigten Druck aufsetzen. Sie wissen, dass sie es mit einem ernstzunehmenden Gegner zu tun haben. Schon jetzt führt die Firma Einzelgespräche und bietet Personaldienstleister auf mit dem Ziel, die Beschäftigten mürbe zu machen. Dazu kommt, dass die Cofinair-Gruppe mit Hauptsitz in der Normandie einer jener vielen Konzerne ist, deren Chefs nur auf das nächste Quartalsergebnis starren, nur die momentane Rendite im Blick haben – und denen die langfristige Geschäftsentwicklung, die Standorte und die Beschäftigten herzlich egal sind.
Doch auch solche Unternehmen haben ihre Schwachstellen – und einen Ruf zu verlieren. Hier setzt die Öffentlichkeitsarbeit der Belegschaft an, die mit der Pressekonferenz begonnen hat und in den kommenden Wochen und Monaten intensiviert werden soll. Die GewerkschafterInnen diskutieren bereits über mögliche Aktionen. Der Kampf hat erst begonnen.
Pit Wuhrer
Meine uneingeschränkte Solidarität gilt den Kolleginnen und Kollegen im Betrieb! Lasst euch nicht unterkriegen. Lasst euch keinen krummen Deal aufschwatzen. Euer Arbeitgeber verdient an dieser Verlagerung. Holt euch euren Anteil!
Gruß
Simon Pschorr
Die Linke