„Grafi10“: Geldstrafen gegen Besetzer
Gestern wurde vor dem Amtsgericht Konstanz gegen zwei junge Leute wegen der Besetzung des seit Jahren leerstehenden Hauses in der Markgrafenstraße 10, kurz „Grafi10“, verhandelt. Nach rund drei Stunden wurden die Urteile gefällt: Beide wurden wegen Hausfriedensbruch zu Geldstrafen zwischen 800 und 1200 Euro verurteilt. Zumindest einer der Anwälte will in Berufung gehen.
Rechtsanwalt Gerd Zahner monierte zu Beginn des Prozesses den zu kleinen Verhandlungssaal, denn viele Interessierte hätten keinen Einlass gefunden. Das, so Zahner, verletze den Grundsatz der Öffentlichkeit. Das Gericht aber verwies auf die geltenden Pandemieauflagen, die eine größere BesucherInnenzahl nicht zuließen. Christoph Nix, der Anwalt des zweiten Angeklagten, erklärte, sein Mandant gehöre eher auf die Besucherbank, denn es sei nicht vollumfänglich erwiesen, dass dieser überhaupt im Haus gewesen sei. Aber die junge Richterin ging nicht darauf ein.
In der Tat scheint die Beweislage doch etwas dürftig, wie Christoph Nix sinngemäß anmerkte. Denn die Aussagen diverser Polizeibeamter seien teilweise widersprüchlich und unklar. Waren die Beklagten wirklich im Haus während der Räumung am 22.7.2020? Oder befanden sie sich lediglich vor dem Haus und rannten ob des gewaltigen Polizeiaufgebots, das in früher Morgenstunde anrückte, in das Haus, um die BesetzerInnen zu informieren?
Zahner und Nix wiesen mehrmals eindrücklich darauf hin, dass in Konstanz eine exorbitante Wohnungsnot herrsche und es nicht angehe, dass vorhandener Wohnraum über Jahre hinweg leer stehe. Eine Kriminalisierung derjenigen, die darauf hinwiesen, sei schlichtweg „absurd“. Da dürfe sich das Recht, so Nix, auch „etwas Moral“ zumuten. Einig waren sich alle Zeugen, und dabei handelte es sich fast ausschließlich um Polizeibeamte, dass sich die BesetzerInnen ausnahmslos „friedlich“ verhalten hätten und keine „Widerstandshandlungen“ festgestellt werden konnten.
Als Zeuge geladen war auch Oberbürgermeister Uli Burchardt, der deutlich missmutig lange auf seine Vernehmung warten musste. Verständlich, denn der Mann hat rund um die Uhr den Konstanzer Klimanotstand zu regeln. Viel beitragen zur Klärung konnte er sowieso nicht. Einmal sei er eine Stunde vor Ort gewesen, um deeskalierend zu wirken. „Mit einigen konnte man reden“, so der Rathauschef, „mit anderen nicht“. Und ja, die Stadt wollte das Haus kaufen, denn die Wohnungsnot in Konstanz existiere durchaus, aber die Verhandlungen mit dem Immobilienbesitzer seien im Sande verlaufen.
Die Staatsanwaltschaft forderte Geldstrafen zwischen 1000 und 1500 Euro, denn der Hausfriedensbruch sei hinlänglich erwiesen. Anwalt Zahner plädierte darauf, seinen Mandanten eine Verwarnung zu erteilen, um ihm damit einen Eintrag ins Strafregister zu ersparen. Christoph Nix plädierte auf Freispruch. Das Gericht aber entschied: 800 Euro Geldstrafe für den Mandanten von Zahner, 1200 Euro für den von Nix. Gerd Zahner will in Berufung gehen, Nix weiß es „noch nicht“.
Was bleibt? Die Angelegenheit geht wohl in die Verlängerung. Da trifft man eventuell auf den Hausbesitzer Heinz Schafheutle. Der entzog sich, obwohl ebenfalls als Zeuge geladen, ohne Entschuldigung der gestrigen Verhandlung. Gegen ihn wurde deswegen eine Geldstrafe von mageren 100 Euro verhängt. Das wird den Versicherungsmakler nicht groß schmerzen. Doch in seine Richtung bleiben Fragen: Wem gehört das Haus nun wirklich? Nur ihm allein? Stimmt es, dass in der Immobilie, die weiter vor sich hin rottet, mittlerweile mehrere Personen gemeldet sind, obwohl man dort wegen einer defekten Heizung gar nicht wohnen könne, wie seemoz zugetragen wurde?
Fakt ist: Gegen Schafheutle läuft ein Verfahren wegen Verstosses gegen die Zweckentfremdungsverordnung, das bei Zuwiderhandlung eine Geldstrafe bis zu 50 000 Euro vorsieht. Die dementsprechende Akte liegt mittlerweile beim Regierungspräsidium in Freiburg, weil Schafheutle angeblich nicht gewillt ist, der zuständigen Konstanzer Verwaltung Auskunft zu erteilen.
Die verhängten Geldstrafen gegen die frisch Verurteilten werden von Prozessbeobachtern als „unverhältnismäßig“ bezeichnet. Bleibt es dabei, kommen hohe Kosten auf sie zu, da sich beide in Ausbildung befinden, und neben der Geldstrafe auch noch die Verfahrens- und Anwaltskosten zu stemmen haben. Grund genug also, sie finanziell zu unterstützen:
Die Falken – IBAN DE65 6929 1000 0226 6516 08
Verwendungszweck: Grafi
Text und Bild. H. Reile
Zugabe: Sollte es zutreffend sein, dass dort mehrere Personen gemeldet sind, trifft auch diese die Pflicht zur Zahlung von Zweitwohnungssteuer und Kurtaxe, wenn es nicht deren alleiniger Hauptwohnsitz ist. Möglicherweise hat es die Stadt mit einem veritablen Täuschungsversuch zu Lasten der Stadtkasse zu tun..
Die bisher unbekannten Mieter sollten sich, „zur Klärung eines Sachverhalts“ wie es einmal in der deutschen Amtssprache hieß, umgehend beim Finanzamt und der polizeilichen Meldestelle melden. Insgesamt dürfte dort inzwischen ein Betrag angefallen sein, der so hoch ist, dass es jedem Steuerzahler schwer fallen wird, für diese Form einer möglichen Nachlässigkeit das nötige Verständnis aufzubringen.
Den Hausbesetzern und Unterstützern sollte die Strafe erlassen werden, sie handelten vermutlich rechtsirrtümlich im öffentlichen Interesse, denn letztlich ist es ihnen zu danken, dass der vermutete Finanzskandal ans Licht der Öffentlichkeit kam.
Herr Buchardt, Sie als oberster Polizist und Oberbürgermeister der Stadt Konstanz, ermitteln jetzt sicher ohne weiteren Zeitverzug, entschlossen und mit Erfolg. Sie wissen ja: „Schöner die Kassen nie klingeln, als in der Weihnachtszeit.“
Wenn ich es richtig sehe, dann verzichtet die Stadt Konstanz zugunsten eines Eigentümers (vermutlich auch weiterer Spekulanten und Eigentümer) mehrerer Wohnungen seit Jahren auf die zu zahlende Zweitwohnungssteuer (25% der Jahreskaltmiete bezogen auf den Mietspiegel) und zwar für jede seiner leerstehenden Wohnungen, egal ob er darin wohnt oder nicht bzw. ob er in der Stadt wohnt oder nicht.
Vielleicht kann ein helles Köpfchen aus dem Finanzamt, dem Rathaus oder Gemeinderat das einmal zur Kenntnis nehmen und sowohl die bisherigen als auch zukünftige Beträge einfordern. Es gibt für Konstanz sowohl die Zweitwohnungssteuersatzung als auch eine Satzung die die Kurtaxe regelt.
Der Eigentümer hat möglicherweise seit Jahren gegen seine Meldepflicht verstoßen. Darüber hinaus wäre der Eigentümer auch zur Zahlung der Kurtaxe heranzuziehen. Überlingen führte 1973 als erste Stadt Deutschlands diese Steuer, oft auch Abgabe genannt ein, die es möglich macht 25% (Konstanz) für jede nicht an Wohnungssuchende vermietete Wohnung einzufordern.
Darüber hinaus besteht auch noch eine Instandhaltungspflicht, der sich der Eingentümer, will er sich nicht der Gefahr einer staatlichen Ersatzvornahme aussetzen, nachkommen müßte. Das u.a. entscheidet den Rechtsstaat von der Bananenrepublik und sollte genügen aufzuzeigen, dass nicht nur Mieter Pflichten haben..
UND DIE GROSSEN LÄSST MAN LAUFEN
Traurig, das da die Justiz sich wieder klar im Interesse von Haus und Grundeigentümer:Innen positioniert.Bleibt nur zu hoffen dass solche Urteile Menschen in ihrem Kampf für bezahlbaren Wohnraum, für nicht kommerzielle Freiräume und gegen Spekulation nicht abschreckt.Denn nie war dieses Engagement wichtiger den je .Ob es in Berlin der Widerstand gegen die Räumung der letzten alternativen Freiräume ist ,oder die Intiative „Deutsche Wohnen und co enteignen..Oder eben in Konstanz die tolle Besetzung der Grafi ,die viele Fragen zum Thema“wem gehört die Stadt“und was für eine Stadt wollen wir ,aufgeworfen hat .Lasst euch nicht entmutigen und macht weiter!!!!!
Eigentlich vergeht einem bei diesem Urteil endgültig das Lachen: zwei Geldstrafen wegen Hausfriedenbruchs, weil junge, engagierte Menschen – ganz im Sinne des „Fischkults“ anfangs der 80er-Jahre – ein jahrelang leerstehendes Haus besetzen, um die Stadtführung auf ihre viel zu passive Haltung gegenüber Leerstand von Wohnraum und auf die Wohnungsnot im Allgemeinen hinweisen. Doch trotz des Ärgers über den Ausgang hat dieser Prozess auch eine humorvolle Seite: Oberbürgermeister Burchardt, Befürworter der defizitären, städtischen Top-Immobilie Bodenseeforum und 2020 Last-minute-Wahlsieger gegen einen „waschechten linken“ Hausbesetzer aus Stuttgart, wird ausgerechnet vom Ex-Stadttheaterintendanten Nix zu seiner Rolle bei der Besetzung einer heruntergekommenen Bruchbude befragt. Das müsste doch genügend Stoff für eine Komödie aus Gerd Zahners Feder liefern.