„Großer Wurf“ gegen die Wohnungsnot?

Nicht ganz so interessant wie die Debatte um die Lage der Philharmonie fand das Konstanzer Publikum andere Themen der Gemeinderatssitzung am letzten Donnerstag. Dabei war vor allem die Debatte um die Wohnungsbedarfsprognose 2030 wichtig, denn angesichts der seit Jahren verheerenden Lage auf dem Konstanzer Wohnungsmarkt wurden hier die für viele Menschen bedrohlichsten irdischen Dinge verhandelt

Man muss den Konstanzer Gemeinderätinnen und -räten schon ein erhebliches Pflichtbewusstsein attestieren, als sie an diesem Nachmittag trotz des aller prächtigsten Hörnlewetters bereits um 14 Uhr im schnell stickigen Konstanzer Ratssaal zusammenkamen, um zwei Stunden lang hinter verschlossenen Türen über die Lage der Südwestdeutschen Philharmonie zu debattieren. Aus dieser nicht öffentlichen Sitzung drang nicht viel an die Öffentlichkeit, was vermuten lässt, dass so ungeheuer Interessantes dort nicht auf den Tisch kam.

Neuer Bürgermeister Andreas Osner vereidigt

Als gegen 16.00 Uhr die Tore zu den heiligen Hallen der Konstanzer Rätedemokratie geöffnet wurden, strömte das auf den Auftritt Florian Riems gespannte Stimmvolk zuhauf, und so kriegte der frisch gewählte erste Beigeordnete und Boldt-Nachfolger Andreas Osner bei seiner Vereidigung einen unverhofft großen Bahnhof. Nach der gerade an diesem heißen Sommernachmittag steif wirkenden Vereidigungszeremonie (s. Foto), die in ihrem antiquierten Ernst und angesichts der Wirklichkeit des Politikbetriebes durchaus zum Lachen reizte – so musste Andreas Osner mit ernster Miene schwören, «Gerechtigkeit gegen jedermann» zu üben (wofür er wohl ziemlich bald um einen, nämlich seinen, Kopf kürzer gemacht würde). Danach machte sich der Gemeinderat dann mit großer Disziplin daran, über 40 Tagesordnungspunkte abzuarbeiten.

Konstanz – kein Platz für normal zahlende Menschen

Worte sind manchmal recht wohlfeil, aber es scheint so, als sei die Verwaltung jetzt tatsächlich dabei, ernsthaft an Maßnahmen gegen die Konstanzer Wohnungsnot zu arbeiten. Die Daten, die Maria Theresia Krings-Heckemeier anlässlich der Präsentation der Wohnungsbedarfsprognose 2030 vorstellte, lassen in den nächsten Jahren keinerlei Nachfrageknick erkennen, und zusätzlich zu dem jetzt schon erheblichen Fehlbestand vor allem an bezahlbarem Wohnraum dürfte Konstanz auch noch weiter wachsen, so dass sich die Lage massiv verschärfen wird, wenn die Stadt nicht endlich mit aller Kraft gegensteuert.

Das Gutachten rechnet mit einem weiteren Bevölkerungswachstum in Konstanz, das vor allem durch Zuzug und nicht durch Nachwuchs entsteht, und vor allem 18-30-Jährige nach Konstanz führt, die aus beruflichen Gründen hierher ziehen. Derzeit entstehen in Konstanz nur etwa 350 Wohnungen im Jahr, so viele wie im wesentlich kleineren Kreuzlingen nebenan auch. Der neu geschaffene Wohnraum ist nur zum Teil für die Miete gedacht, viel ist Wohneigentum, das durch Selbstnutzer erworben wird – und, so darf man aus eigener Lebenserfahrung wohl ergänzen, für Normalverdiener nicht erschwinglich sein dürfte.

Die Wissenschaftler sehen bereits heute Verdrängungsprozesse: Wirtschaftlich Schwächere mit unteren und mittleren Einkommen ziehen verstärkt nach Radolfzell, weil sie sich das Wohnen in Konstanz nicht mehr leisten können, und schlechter gestellte Radolfzeller weichen nach Singen aus. Bei Konstanzer Kaltmieten von teils 12, 14 und mehr Euro sowie Kaufpreisen von um die 4 000 Euro bis 7 500 Euro pro Quadratmeter ist Konstanz kaum mehr ein Platz für normale Menschen. Das Gutachten konstatiert, was die Linke schon seit Jahren predigt: Es fehlen Angebote für untere und mittlere Einkommen. Die Gutachterin jedenfalls forderte familienfreundliches Wohnen und schlug durchaus in dieselbe Kerbe wie die Linke, als sie als Lösung die Subventionierung von Mieten (nicht aber die von Wohnungen!) durch die Stadt vorschlug und als ein Element auch Studentenwohnungen, die sich später bei sinkender Nachfrage altengerecht umgestalten lassen, ins Gespräch brachte.

Das fiel natürlich bei Vera Hemm (Linke Liste) auf fruchtbaren Boden, denn sie fordert schon seit langem bei jeder sich bietenden Gelegenheit billigen Wohnraum und einen durch Stadt und Land beherzt geförderten sozialen Wohnungsbau. Herbert Weber (SPD), zugleich Vorsitzender des Deutschen Mieterbundes Bodensee, wiederholte seine alte Forderung, die in Konstanz praktizierte Innenverdichtung sei längst an ihre Grenzen gekommen, man müsse jetzt endlich neue Baugebiete ausweisen. Die von Alexander Stiegeler (FWG) und Heinrich Everke (FDP) ins Spiel gebrachte Umwandlung leerstehender Gewerberäume in Wohnraum kann nach Angaben der Gutachterin nur begrenzt helfen, weil der Umbau genauso teuer wie ein Neubau sei. (Aber Hand aufs Herz: Was sonst könnte man mit der Investitionsruine Kompetenzzentrum schon anfangen – sie vielleicht als Denkmal für den unbekannten Wirtschaftsförderer leer stehen lassen, bis sie zerbröselt?

Jürgen Faden (Freie Wähler) geißelte die Wohnungsnot als selbst verschuldet, eben weil man keine Neubaugebiete ausgewiesen habe, und forderte zudem, die Stadt Konstanz müsse Baugrundstücke billiger abgeben; durch diese Maßnahmen werde der Preis für Neubauten und damit die Miete sinken. Den Marktoptimismus des Jürgen Faden sollte man nicht zwingend teilen, denn die Erfahrung lehrt, dass billigere Grundstücke durchaus von Investoren und Spekulanten dazu genutzt werden können, mehr Reibach zu machen, weshalb die Stadt nur dann Grundstücke billiger abgeben sollte, wenn sie dafür soziale Auflagen durchsetzt.

Nur der Grüne Peter Müller-Neff mochte nicht so recht mitspielen. Die Lösung bauen, bauen, bauen ist ihm zu einfach, er fordert auch Freiflächen für die Menschen und eine hohe Bauqualität und nannte als abschreckendes Beispiel die seiner Meinung nach seelenlosen Neubauten am Petershausener Bahnhof.

Hoffen wir, dass nach Jahren wohlmeinenden Redens das Warten auf ein Wunder jetzt endlich ein Ende hat. Oberbürgermeister Uli Burchardt jedenfalls erklärte, er arbeite gerade gemeinsam mit der gesamten Verwaltung mit voller Kraft an einem umfassenden Handlungskonzept für den Wohnungsbau in Konstanz, das er am 19. September im Gemeinderat vorstellen will. Er selbst nannte seine Pläne «einen großen Wurf» und legte sich damit die Messlatte denkbar hoch. Man darf hoffen, dass er die Latte nicht reißt, denn eine wirkungsvolle Lösung dieses Problems ist verdammt dringend nötig und könnte als Konstanzer Modell Schule machen.

Kirchtumspolitik ade?

Der Radolfzeller Bürgermeister Jörg Schmidt hatte sich eigens unter das Publikum gemischt, um der erneuten Debatte über die Konstanzer Haltung zur Erweiterung des Radolfzeller Seemaxx-Einkaufszentrums beizuwohnen. Der Hintergrund: Die Radolfzeller wollen das Seemaxx stärker vergrößern, als es ihnen eigentlich zusteht, denn für bestimmte Städte sind nur bestimmte Größen zulässig. Konstanz als Oberzentrum könnte gegen diese vom Land zu genehmigende Vergrößerung Einspruch erheben und damit das Projekt vermutlich kippen. Der Radolfzeller OB durfte erleben, wie der Konstanzer Gemeinderat mit nur einer Stimme Mehrheit dafür votierte, die Entscheidung des Landes über dieses Radolfzeller Projekt zu akzeptieren, wie auch immer sie ausfällt, und auf jeden möglichen Einspruch gegen die Entscheidung des Landes jetzt und auf immerdar zu verzichten.

Damit sind die Chancen, dass das Land die Erweiterung genehmigt, wohl sehr gut. Die Argumente der Befürworter eines Einspruchs sind klar: Konstanz ist berechtigt, Einspruch zu erheben, um seinem Einzelhandel die Konkurrenz aus Radolfzell zu ersparen. Konstanz ist Oberzentrum und muss bestimmte Pflichten schultern – etwa für den gesamten Landkreis kulturelle Einrichtungen bereitstellen -, dafür soll es auch seine Privilegien bei der Größe von Einkaufszentren ausschöpfen, um die nötigen Mittel für seine Aufgaben aufzutreiben. Für die CDU vertrat Roger Tscheulin die reine Lehre, dass die Landesplanung den Städten bestimmte Rechte und Aufgaben zuweist, und daran solle man nicht rütteln, auch weil es darum gehe, zum Wohle der Stadt in Konstanz hiesige Arbeitsplätze zu sichern. Anne Mühlhäußer (FGL) und Brigitte Leipold (SPD) riefen gar selbstlos die klägliche Lage von Stockach in Erinnerung, dessen Innenstadt durch die verstärkte Konkurrenz aus Radolfzell noch weiter zu veröden drohe, aber zumindest Brigitte Leipold wollte den Radolfzellern keine Knüppel zwischen die Beine werfen. Heinrich Everke (FDP) hingegen erklärte, dass seine Fraktion sich uneinig sei und er selbst sich enthalten werde.

Oberbürgermeister Uli Burchardt fasste die Lage noch einmal zusammen und forderte vor allem eine klare Zusammenarbeit in der Region, um hier vor Ort gemeinsam zu entscheiden, was man eigentlich wolle. So wurde denn vom Gemeinderat dem zusätzlichen Antrag, im Kreis mit den anderen Gemeinden über ein Gesamtkonzept zu verhandeln, zugestimmt.

Schöner die Lichter nie leuchten …

Wie vorausschauend es doch ist, im Sommer schon an den Winter zu denken! Die Verwaltung jedenfalls hat den noch unter tropischen Temperaturen ächzenden Gemeinderat gebeten, außerplanmäßig 15 000 Euro für die Planung der Weihnachtsbeleuchtung in der Stadt zu genehmigen. Natürlich hat der Gemeinderat fast geschlossen diesem Antrag zugestimmt – wer denkt bei Weihnachtsbeleuchtung schließlich nicht an funkelnde Kinderaugen unter einem künstlichen Sternenhimmel und einen veritablen Glühweinrausch im Lichte tausender verheißungsvoll zwinkernder Glühbirnchen?

Lediglich die Linke Liste mit Vera Hemm und Holger Reile («Kommerzialisierung», «Lichtterroristen», «der Weihnachtsmarkt soll wohl demnächst noch bis an Hörnle gehen») stimmte gemeinsam mit Griesgram Jürgen Ruff von der SPD dagegen. Und das war von diesen drei Spielverderbern für einmal wirklich menschenfreundlich gedacht, denn ohne eine prächtige Weihnachtsbeleuchtung wird sich der Winter kategorisch weigern, nach Konstanz zu kommen. Wir Konstanzer können dann an Weihnachten am Hörnle in der Sonne liegen und haben endlich mal einen echten Standortvorteil gegenüber Radolfzellern und Singenern, die zur Strafe für ihre Lichterprotzerei bis zum Halse im Schneematsch stecken und Trübsal blasen.

Autor: O. Pugliese